50 Jahre Kuba-Krise:Chruschtschows dreiste Lüge

Der Spionageflug über Kuba im Jahr 1962 war reine Routine. Was die dabei entstandenen Luftbilder zeigten, war für die USA jedoch ein Donnerschlag: Kuba besaß Abschussrampen für sowjetische Atomraketen, die jede Großstadt an der amerikanischen Ostküste binnen Minuten hätten vernichten können.

Hubert Wetzel

Spionage aus der Luft war im Jahr 1962 ein mühsames Geschäft. Satelliten oder Drohnen, die wie heute in Echtzeit gestochen scharfe Bilder an militärische Kommandozentralen liefern, gab es damals noch nicht. Luftaufklärung war sozusagen noch Handarbeit: Ein von Menschen gesteuertes Flugzeug musste ein bestimmtes Gebiet überfliegen und fotografieren.

Bei besonders gefährlichen Missionen wie den Spionageflügen über Kuba im Oktober 1962 kam dabei die U-2 zum Einsatz. Die Maschine flog ungewöhnlich hoch - mehr als 20.000 Meter -, die Gefahr abgeschossen zu werden, wurde dadurch verringert.

Die Kamera der U-2 hatte eine so hohe Auflösung, dass sie aus dieser Höhe noch Gegenstände von der Größe eines knappen Meters abbilden konnte. Nach der Landung wurden die Filme entwickelt und Abzüge gemacht, die wiederum von Luftbild-Spezialisten ausgewertet wurden. Das dauerte Stunden, manchmal Tage.

Der Flug von Major Richard Heyser am 14. Oktober 1962 über Kuba war in diesem Sinn Routine: Heyser überflog wie geplant den Westen der Insel, die Bordkamera machte in gut zwölf Minuten mehrere hundert Bilder. Nachdem Heyser seinen Einsatz beendet und mit seiner U-2 in Florida gelandet war, wurde der Film entnommen und nach Washington geflogen, zum Naval Photographic Interpretation Center (NPIC), die für die Auswertung zuständige Dienststelle der US-Marine.

Nikita Chruschtschow, 1962

Nikita Chruschtschow im Jahr 1962. Der sowjetische Staatschef beteuerte, dass die Sowjets keine Angriffswaffen an Kuba lieferte - bis ihn Spionagefotos widerlegten.

(Foto: DPA)

Am Morgen des 15. Oktober machten sich sodann die Experten an die Arbeit. Was sie im Lauf des Tages auf den Bildern entdeckten, war dann freilich alles andere als Routine: Auf den Fotos war klar zu erkennen, dass an mindestens 25 Orten auf der von Fidel Castro regierten Insel Abschussrampen für sowjetische Raketen vom Typ SS-4 aufgebaut wurden. Ein Donnerschlag: Zwar wusste die Regierung in Washington, dass die Sowjets - der wichtigste Verbündete des kommunistischen Regimes in Havanna - große Mengen Waffen an Kuba lieferten.

Doch bisher hatte der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow hoch und heilig geschworen, dass es sich nur um Abwehrwaffen, keinesfalls um Angriffswaffen handele. Die Bilder widerlegten diese Beteuerungen jedoch eindrucksvoll. Die SS-4 - von den Russen wurde sie R-12 genannt - hatte eine Reichweite von etwa 2000 Kilometern und konnte einen Atomsprengkopf mit einer Sprengkraft von bis zu zwei Megatonnen tragen. Von Kuba aus abgefeuert, hätte sie jede Großstadt an der amerikanischen Ostküste binnen Minuten vernichten können, praktisch ohne Vorwarnzeit für die Amerikaner.

In Washington trat die brisante Entdeckung am späten Nachmittag ihre Reise über den Dienstweg an. Da der CIA-Direktor John McCone in einem Flugzeug saß und unerreichbar war, rief das NPIC dessen Stellvertreter Ray Cline an, um ihm das Ergebnis der Fotoauswertung mitzuteilen. Cline gab den Befehl, alle Bilder ein zweites Mal zu prüfen. Am Abend des 15. Oktober informierte er dann McGeorge Bundy, den Sicherheitsberater von Präsident John F. Kennedy. Dieser entschied jedoch, den Staatschef erst am nächsten Tag einzuweihen.

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