Süddeutsche Zeitung

400 Jahre Dreißigjähriger Krieg:"Hier habe ich als Beute ein hübsches Mädchen bekommen"

Meist stehen Könige und Generäle im Mittelpunkt, wenn es um die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges geht. Christian Pantle erzählt sie anhand der authentischen Berichte eines Landsknechts und eines Mönchs.

Rezension von Markus C. Schulte von Drach

Kriegshandwerk - was für ein irritierender Begriff. Geht es dabei doch vor allem darum, zu zerstören und Menschen umzubringen. Das Töten ist dann eine handwerkliche Tätigkeit, die erlernt und ausgeübt wird, um das Auskommen zu sichern. Der Gegner ist dabei nur jenes Gegenüber, das überwältigt werden muss - sei es der Soldat der feindlichen Armee, seien es die Bürger einer eroberten Stadt, die das Plündern behindern oder nicht verraten wollen, wo die Wertsachen versteckt sind. Schließlich geht es um das eigene Überleben und die Versorgung der Familie.

So muss man sich die Haltung vieler Landsknechte während des Dreißigjährigen Krieges vorstellen. Und zur Beute, das ist eine furchtbare Wahrheit, gehörten immer auch Frauen, die von den Siegern mit einer grauenhaften Selbstverständlichkeit vergewaltigt wurden.

Das zeigt erschütternd und irritierend, aber auch ungeheuer aufschlussreich das Tagebuch des deutschen Landsknechts Peter Hagendorf aus Zerbst im heutigen Sachsen-Anhalt. Als Soldat der protestantischen schwedischen Armee, die um 1634 die Stadt Landsberg am Lech verwüstete, hielt er fest: "Hier sind wir acht Tage stillgelegen, haben die Stadt ausgeplündert. Hier habe ich als Beute ein hübsches Mädchen bekommen und 12 Taler an Geld, Kleider und Weißzeug genug." Was es für das Mädchen bedeutet haben muss, "Beute" des Söldners gewesen zu sein, möchte man sich gar nicht vorstellen.

Fast absurd muss es uns heute erscheinen, dass Hagendorf nicht lange zuvor noch zur katholischen bayerischen Armee gehört hatte. Die Schweden hatten ihn gefangen genommen und in ihren Dienst gepresst. Und so tötete er nun die, die vorher seine Kameraden gewesen waren, und vermutlich machte er sich über das Mädchen her, das er zuvor noch hätte verteidigen müssen.

Der Historiker Jan Peters veröffentlichte das Buch 1993 erstmals, auf das er in der Berliner Staatsbibliothek gestoßen war. Christian Pantle, Chefredakteur von G/Geschichte, hat nun insbesondere auf Hagendorfs Werk zurückgegriffen, um die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges auf eine Weise zu erzählen, die sich deutlich abhebt von den üblichen Sachbüchern zu dem Thema.

Der Krieg aus Sicht der einfachen Menschen

Pantle nutzt die Aufzeichnungen des Landknechts und das ebenfalls erhaltene Tagebuch des Abtes des oberbayerischen Kloster Andechs, Maurus Friesenegger, um die damaligen Ereignisse aus der Sicht einfacher Menschen darzustellen. Was bewegte die Soldaten? Was passierte mit den Menschen in den Dörfern und Städten, die in drei Jahrzehnten immer wieder in Angst und Schrecken versetzt, deren Häuser niedergebrannt, Dörfer und Felder verwüstet, Eigentum geplündert, Vieh getötet und deren Angehörige ermordet wurden?

Pantle fügt die Berichte Hagendorfs, Frieseneggers und einiger anderer ihrer Zeitgenossen in eine relativ knappe Zusammenfassung der Geschichte und Vorgeschichte der Kriege, die insbesondere Deutschland über insgesamt 30 Jahre verheerten. Er beginnt mit dem Auftritt von Martin Luther und der Reformation, die zur Spaltung der westeuropäischen Christenheit führte. Er fasst die Hintergründe und Motive der wichtigsten Protagonisten zusammen, zu denen unter anderem der "Winterkönig" Friedrich von Böhmen zählt, ebenso wie der Habsburger Kaiser Ferdinand II., König Christian IV. von Dänemark, die Generäle Tilly und Wallenstein und schließlich König Gustav II. Adolf von Schweden.

So bereitet er Rahmen und Hintergrund für das, was der Landsknecht Hagendorf und der Andechser Mönch Friesenegger persönlich erlebten. Das Buch wird so zwar kein Standard- und Nachschlagewerk zum Dreißigjährigen Krieg - was es auch gar nicht sein will. Es bringt den Lesern jedoch die Menschen näher, mit all ihren Facetten. Pantle ist ein großartiges Buch gelungen, das jedem zu empfehlen ist, der sich nicht nur für die trockenen historischen Fakten zum Dreißigjährigen Krieg interessiert, sondern auch dafür, wie die Menschen damals gelebt, was sie gedacht, gefühlt und sich einander angetan haben.

Hagendorf begann mit seinen Aufzeichnungen im Jahre 1625, da lag der Prager Fenstersturz, der als Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt, bereits sieben Jahre zurück. Den jungen Mann allerdings beschäftigten die Kämpfe zwischen den katholischen und protestantischen Fürsten, Königen und dem Kaiser in seiner Heimat nicht, sondern eine Reise nach Italien.

Dem jeweiligen Dienstherrn verpflichtet - bis der nächste kommt

Dort ließ er sich, aus welchen Gründen auch immer, von der Republik Venedig als Soldat anheuern, die ihre Soldaten in den Veltlinkrieg (Bündner Wirren) in die Lombardei schickten, um mit französischen Truppen gegen ein spanisches Heer unter dem deutschen Kommandeur Gottfried zu Pappenheim zu kämpfen. Vermutlich lernte Hagendorf hier erst "von der Pike an" das Kriegshandwerk, das nun sein Beruf wurde.

Venedig, also Hagendorfs Seite, verlor gegen Pappenheim. Der Söldner wurde entlassen, heuerte in Parma für eine Weile wieder als Landsknecht an, reiste durch Italien, bettelte, beschrieb die Landschaften in seinem Tagebuch. 1627 kehrte er schließlich nach Deutschland zurück, wo er sich bei Ulm vom Pappenheimer Regiment - seinem früheren Gegner in der Lombardei - anwerben ließ. Nicht weil er wild auf das Kämpfen gewesen wäre. "Denn ich war ganz abgerissen", hielt er fest. Und so demonstrierte Hagendorf die Philosophie der Landsknechte - dem jeweiligen Dienstherrn verpflichteten sie sich für eine Weile, dann kam der nächste, der ein Heer aufstellte.

In den kommenden 22 Jahren, in denen Hagendorf notierte, was ihm wichtig erschien, zog er kreuz und quer durch Deutschland, kämpfte, plünderte, heiratete eine Frau, die mit ihm zog, wurde Witwer, vergewaltigte, heiratete erneut, wurde Vater von acht Kindern, die bis auf eines schon früh wieder starben. Während der Erstürmung von Magdeburg 1631 durch die kaiserlichen Truppen des Generals Tilly wurde er durch zwei Kugeln schwer verletzt - und seine Frau übernahm das Plündern in der brennenden Stadt, um Verbandsmaterial für ihn zu besorgen.

Durch Maurus Frieseneggers Bericht dagegen ist zu erfahren, wie es den Menschen auf dem Land erging, den Bauern in der Region um das Kloster Andechs und den Dörflern in Erling unterhalb des Klosterberges. Immer wieder fielen die Landsknechte ein, und selbst die in der Region stationierten spanischen Soldaten des Kaisers, eigentlich Verbündete der katholischen Bayern, waren für die Bevölkerung eine Gefahr. Dazu brach mehrmals die Pest aus.

Ergänzt hat Pantle seine Darstellung des Dreißigjährigen Krieges durch die Einordnungen etlicher Historiker. Herausgekommen ist ein Buch, das vor Augen führt, wie eng grausame Empfindungslosigkeit und Mitgefühl, Gewalt und Hilfsbereitschaft beieinanderliegen, aber auch Chaos und Organisation.

Der Mensch von damals wird uns auf unheimliche Weise vertraut. Die Zivilisationen und Kulturen haben sich seit dem 23. Mai 1618 erheblich verändert. Aber die Eigenschaften und Abgründe des Menschen nicht. Ist die Schwelle vom Frieden zum Krieg einmal überschritten, schreibt Pantle, "dann können dunkle Kräfte ins Spiel kommen, die niemand vorhergesehen hat, und die niemand mehr beherrschen kann". Was etwa der gegenwärtige Krieg in Syrien einmal mehr belegt.

Christian Pantle: Der Dreißigjährige Krieg - Als Deutschland in Flammen stand. Ullstein Verlag, Berlin 2017. 368 Seiten, 18 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Korrektur: In einer früheren Fassung des Artikels hatte sich ein Tippfehler eingeschlichen. Die Erstürmung Magdeburgs während des Dreißigjährigen Krieges kann natürlich nicht 1531 stattgefunden haben. Es war 1631.

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