38-Stunden-Woche:Arbeitszeit bleibt im Osten länger

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Die IG Metall bricht die Gespräche mit dem Arbeitgeberverband über die angestrebte 35-Stunden-Woche ab. Jetzt droht sie mit Schikanen.

Von Detlef Esslinger, München

Viele Arbeitnehmer im Osten werden noch auf unabsehbare Zeit länger arbeiten müssen als jene im Westen. An dem Umstand wird sich auch zum Ende des Jubiläumsjahres der deutschen Einheit nichts ändern. Dies ist klar, seit ein Gesprächstermin am Donnerstag zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall geplatzt ist. Die Gewerkschaft wollte in der ostdeutschen Metallindustrie die 35-Stunden-Woche durchsetzen. Im Westen gilt sie seit 1995.

Wenn eine Gewerkschaft sowie Arbeitgeber verhandeln, gilt ein Ergebnis nicht für alle Beschäftigten einer Branche, sondern nur für diejenigen, deren Betrieb Mitglied im tarifgebundenen Arbeitgeberverband ist. Hätten IG Metall und Gesamtmetall sich geeinigt, hätte die 35-Stunden-Woche immerhin für 84 000 von 490 000 Metallern wahr werden können. Zurzeit gilt eine Arbeitszeit von 38 Stunden.

Aufgeben will die Gewerkschaft nicht. Das Ziel soll jetzt "Betrieb für Betrieb" erkämpft werden

Dass diese Gespräche besonders für die IG Metall schwierig werden würden, war schon an etwas scheinbar Banalem erkennbar: Sie mussten auf Verlangen der Arbeitgeber ausdrücklich "Gespräche" heißen, und nicht "Verhandlungen". In Letzteren geht es immer darum, wie eine Lösung sein soll; in Gesprächen hingegen kann man ausloten, ob man überhaupt eine Lösung will. Zugleich verfügte die IG Metall in diesem Fall über wenig Druckmittel. Am Ende der zurückliegenden Gehaltstarifrunde Anfang 2018 rang sie den Arbeitgebern zwar eine "Gesprächsverpflichtung" zur Arbeitszeit im Osten bis Ende 2019 ab - aber die Manteltarifverträge, die Dinge wie die Arbeitszeit regeln, wären erst von Ende März 2020 an kündbar gewesen. Und da die IG Metall ohnehin nie plante, diese zu kündigen - um nicht bei Neuverhandlungen andere Errungenschaften darin zu gefährden -, musste sie unter Friedenspflicht mit den Arbeitgebern reden; was jene wenig Erfolg versprechende Konstellation ist, die bei Gewerkschaftern unter dem Begriff "kollektive Bettelei" läuft.

Metallarbeiter im Osten – im Bild ein Arbeiter im Hochofen eines Stahlwerks im brandenburgischen Eisenhüttenstadt – werden wohl auch weiterhin 38 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Also drei Stunden mehr als ihre Kollegen im Westen. (Foto: Patrick Pleul/picture-alliance/dpa)

Elfmal trafen die Teams beider Seiten aufeinander. Am Mittwochnachmittag sagte Olivier Höbel, der Leiter des IG-Metall-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, die geplante zwölfte Runde ab. "Der Prozess hat gezeigt, dass keine Verlässlichkeit gegeben ist", erklärte er. Die Arbeitgeber wiederum warfen der Gewerkschaft vor, "überfordert" zu sein, "wenn sie ihren Willen nicht einseitig durchsetzen kann" - so ihr Verhandlungsführer Stefan Moschko.

Die 35-Stunden-Woche sollte im Osten nach und nach bis Anfang 2031 eingeführt werden. Der lange Übergangszeitraum war einst auch im Westen üblich: 1984 wurde sie beschlossen und bis 1995 verwirklicht. Uneins blieben beide Seiten aber nun erstens darüber, wie die Kosten kompensiert würden - und was in einem Branchentarifvertrag zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern zu regeln wäre, und was in zusätzlichen Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung? Der Unterschied ist nicht belanglos. Gewerkschaften überlegen in der Regel sehr genau, was sie Betriebsräten überlassen, die stets in der Friedenspflicht sind und deshalb viel weniger Druckmittel haben.

Arbeitgeber hingegen bevorzugen Betriebsvereinbarungen auch deshalb, weil sie sagen, die darin gefundenen Lösungen seien passgenauer als die in Tarifverträgen. In diesem Fall wollten sie wohl, dass ein Tarifvertrag besonders viel Raum für Betriebsvereinbarungen lässt: Der Tarifvertrag hätte dann zwar noch festgelegt, dass 2020 die erste Stufe der Arbeitszeitverkürzung, von 38 auf 37 Stunden, in Kraft tritt. Aber per Betriebsvereinbarung könne geregelt werden, wann die nächsten Stufen folgen; oder ob ein Betrieb die Chance bekommt, einige Mitarbeiter auch mal 40 Stunden arbeiten zu lassen, um den Ausfall an Arbeitszeit auszugleichen; ob es für jede Arbeitszeitverkürzung wirklich vollen Lohnausgleich geben muss, und so weiter.

Dieser Ansatz war der IG Metall höchst suspekt: Wollten die Arbeitgeber klammheimlich in Wahrheit nicht runter auf 35, sondern hoch auf 40 Stunden? Wollten sie Lohnfragen ernsthaft in Betriebsvereinbarungen regeln? Die Gewerkschaft befürchtete, die Arbeitgeber wollten die Chance nutzen, im Osten die Macht zwischen Arbeit und Kapital grundsätzlich neu zu ordnen - und die Gewerkschaft bei so wesentlichen Verteilungsfragen wie Lohn und Arbeitszeit aus der Partie nehmen.

Aufgeben will die IG Metall nicht. Sie kündigte an, die 35-Stunden-Woche nun "Betrieb für Betrieb erkämpfen" zu wollen. Da sie nicht streiken darf, dürfte erkämpfen ein Codewort für Schikane sein. Man kann Arbeitgeber ja auch anders drangsalieren als mit Streiks: indem der Betriebsrat sein Ja zu Überstunden verweigert, durch überlange Betriebsversammlungen et cetera. Stefan Moschko, der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, sagte: "Wir bleiben trotzdem gesprächsbereit."

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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