30 Jahre nach dem Tod Mao Zedongs:Die Wiedergeburt des Großen Vorsitzenden

Arbeiter, Bauern, Unternehmer und Parteigenossen - sie alle schaffen sich ihr eigenes Bild vom Gründer der Volksrepublik China.

Angela Köckritz

Am Tag, an dem Mao Zedong starb, herrschte große Aufregung im Politbüro. Nicht nur die politische Nachfolge musste geregelt werden, auch der Körper des Vorsitzenden sollte unsterblich gemacht werden, "die biologische Struktur eines historischen Monuments", wie Lenins Konservator Yuri Denisov es ausgedrückt hat. Nur, wie das Einbalsamieren funktionieren sollte, wusste in China keiner so recht.

Mao-Kult, Reuters

Trotz seiner Verbrechen wird Mao vielerorts noch verehrt.

(Foto: Foto: Reuters)

Man spritzte zu viel Flüssigkeit, bis Maos Körper sich aufblähte und die Haut platzte. Alle Beteiligten fürchteten wegen des Missgeschicks um ihr Leben, berichtete Li Zhisui, Maos Leibarzt. Stundenlang schminkten sie den Großen Vorsitzenden, Schicht um Schicht, bis er wieder sich selbst ähnelte und im Mausoleum im Herzen Pekings aufgebahrt werden konnte. Ein kleiner Körper in einer riesigen Totenhalle.

Medaillon im Taxi

Es war für Maos Nachfolger nicht einfach, sein Erbe anzutreten. Noch schwieriger aber war es, damit umzugehen. Das galt schon für Deng Xiaoping, und es gilt auch heute. Man könnte meinen, dass es im neuen konsumverliebten China keinen Platz mehr gibt für Mao. Und doch werden sich die Menschenmassen 30 Jahre nach seinem Tod am 9. September 1976 auf dem Tiananmen-Platz drängen, um einen Blick auf seinen aufgebahrten Körper zu werfen. Sie kommen, um Mao zu sehen, den Beschützer, der längst in das Pantheon der Volksgötter eingegangen ist.

Taxifahrer hängen sein Medaillon an ihren Rückspiegel, es soll vor Verkehrsunfällen schützen. Protestierenden Arbeitern wiederum dient sein Abzeichen als Zeichen des Widerstands, denn unter dem Vorsitzenden gab es noch Sicherheit und Würde, sagen sie. Und nicht zuletzt machen geschäftstüchtige Unternehmer viel Geld mit seiner Vermarktung, mit Mickey-Mao-Cafés, Erlebnisparks oder Restaurants mit dem Dekors der Kulturrevolution.

"Mao ist längst zu einem frei fließenden Symbol geworden", sagt Geremie Barmé, Professor für Sinologie an der Australian National University in Canberra. Wer sucht, mag in Mao etwas finden, das ihn anspricht: Er war Lehrer und Staatsmann, Revolutionär und Stratege, und nicht zuletzt wird er als potenter Liebhaber bewundert, der unzählige Mädchen in sein Bett holte und auch den einen oder anderen Leibwächter nicht verschmähte. Mao ist zu einem Symbol für alle und jeden geworden - für die Kommunistische Partei ist das nicht ungefährlich.

Ihr ist nicht entgangen, dass "Nostalgie zu einer Bewegung des kulturellen Widerstandes wurde", sagt Yang Guobin, Sinologe an der New Yorker Columbia Universität. Vor allem in den neunziger Jahren feierte Mao seine Wiederkehr, ausgelöst durch die Unsicherheit nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz und die beschleunigten Marktreformen.

Wer Mao nachhängt, protestiert damit auch gegen die Reformpolitik - ohne Kopf und Kragen zu riskieren, denn schließlich bedient er sich eines offiziellen Symbols. "Die Partei hat noch immer Angst, dass ihr Mao geraubt wird von Kräften, die ihrer Politik nicht gewogen sind", sagt Barmé.

Wieder auf Mao setzen Tatsächlich bietet Maos Lehre genug Sprengstoff für Rebellionen: Steht er doch für soziale Gleichheit und das mitten in einem Land, in dem die Unterschiede zwischen Arm und Reich täglich größer werden. Schließlich war es Mao, der die unterjochten Bauern dazu aufgefordert hat aufzubegehren. Kein Wunder, dass die Partei daran interessiert ist, die Oberhoheit über Maos Erbe nicht vollständig an das Volk abzugeben - umso mehr, als sich Regierungschef Hu Jintao des ideologischen Vakuums im Land bewusst ist und wieder auf Mao setzt.

Ende der siebziger Jahre begannen Maos Nachfolger die Reliquien des staatlich verordneten Personenkultes zu entsorgen - leise und so sachte wie möglich. Ein Rundschreiben des Zentralbüros von 1980 etwa forderte die Genossen dazu auf, die "ausufernde Zahl der Mao-Porträts graduell zu entfernen". Es war eine heikle Aufgabe, die unter dem Einsatz "überzeugendster Propaganda" geschehen sollte. In dem Moment, in dem die Partei den Zugriff auf Mao lockerte, konnte sich das Volk seiner bemächtigen.

Die Wiedergeburt des Großen Vorsitzenden

Mao ist auch deswegen ein so starkes Symbol, weil er moralisch reingewaschen wurde. Denn die Partei hat ihn freigesprochen: 1981 bestimmte sie, dass Mao Zedong zwar "die Hauptverantwortung für die schweren Fehler der Linken trage", doch seien sie nun mal die Fehler eines "großen proletarischen Revolutionärs" - und damit zu entschuldigen. Gefasst wurde das in die mathematische Formel, sein Verhalten sei zu siebzig Prozent gut und zu dreißig Prozent schlecht gewesen. Die Vergangenheitsbewältigung war damit abgeschlossen. Die Partei hat es immer verstanden, die Erinnerung an die Kulturrevolution und ihre zahllosen Opfer in ihrem Sinne zu lenken.

Mao in China; AP

Mao-Kult auch heute noch.

(Foto: Foto: AP)

Zum Beispiel indem sie vorgefertigte Erinnerungsmuster so lange wiederholte, bis sie die Menschen übernahmen, so Nora Sausmikat, Dozentin für Sinologie an der Universität Duisburg. Verantwortlichkeiten und historische Bezüge wurden verwischt, Mao verwandelte sich in eine Lichtgestalt, die sich außerhalb von Raum und Zeit zu bewegen schien.

Nicht alle Parteigenossen wollten Mao so leicht davon kommen lassen. Manche plädierten dafür, ihn von seinem Thron zu stoßen. Für sie stand fest, dass er sich schuldig gemacht hatte. Und doch konnte sich eine Partei, deren Geschichte so eng mit der ihres Vorsitzenden verwoben war, nicht ihrer wichtigsten Symbolfigur entledigen, ohne sich selbst zu entblößen.

Mao war nicht nur der Stalin, sondern auch der Lenin Chinas. Man einigte sich darauf, ihn nicht zu verurteilen - und profitiert davon noch heute, meint Geremie Barmé:"China ist in der Lage, seine Identität als Nation zu bewahren und muss nicht mit einer Sinnkrise kämpfen."

Historische Kontinuität ist umso wichtiger, als das Land seit etwa zehn Jahren in einem von der Regierung verordneten Rausch des Patriotismus schwelgt. Doku-Soaps, Filme, Bücher und Schulunterricht lehren die Mär von 5000 Jahren ununterbrochener Reichsgeschichte - und es gibt viele, die darauf hoffen, noch ein paar Jahrhunderte dranhängen zu können.

Hilfe vom Peking-Menschen

Eine Gruppe chinesischer Anatomen versucht seit einigen Jahren, die Herkunft des chinesischen, zumindest des ostasiatischen Menschen auf den Peking-Menschen zurückzuführen. Eine These, die westliche Wissenschaftler anzweifeln. Chinesische Archäologen bemühen sich, die Funde in Erlitou in Zusammenhang mit der legendären Xia-Dynastie zu bringen. "Es geht darum, imperiale Größe nach außen zu zeigen, die eine restriktive Politik nach innen rechtfertigt", sagt Michael Lackner, Professor für Sinologie an der Universität Erlangen.

Geschichte hat dem politischen Imperativ zu dienen - weswegen sie vorsorglich von Brüchen und unangenehmen Fakten, aber auch von marxistischen Paradigmen gereinigt wurde. Die Regierung scheint derzeit nicht allzu interessiert daran zu sein, ihre Schüler im Klassenkampf zu unterrichten. Von offizieller Seite wird Mao heute nicht mehr in erster Linie als Revolutionär gefeiert, sondern vielmehr als großer Staatsmann, der der chinesischen Nation ihre Souveränität und Würde zurückgab. Doch auch das kann sich ändern, meint Geremie Barmé:"Künftige Generationen werden Mao noch oft umdeuten."

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