Marieluise Beck als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Der Mann auf dem Plakat trägt ein Shirt mit der Aufschrift: "Ich bin stolz ein Deutscher zu sein."
(Foto: Foto: ap)sueddeutsche.de: Sie haben 1994 als eine der ersten Grünen den Einsatz militärischer Mittel in Bosnien befürwortet, um den drohenden Krieg zu verhindern. Das war ein absoluter Tabubruch. Gab es keine Zweifel, ob Sie noch in der richtigen Partei sind?
Marieluise Beck: Wir waren auf unserem Godesberger Parteitag eine winzige Minderheit, die Militäreinsätze in Bosnien befürwortet hat. Aber es gab eine große Spannung in der Partei. Wir waren immer eine Menschenrechtspartei, was bedeutet, dass die Menschen geschützt werden müssen.
Die Mehrheit sagte damals noch, die Nato hat außerhalb ihres Bündnisgebietes nichts zu suchen. Es war klar, dass diese Spannung die Partei weiter beschäftigen würde - und es war ein riesige Herausforderung.
sueddeutsche.de: War der Schritt zum Ja zur militärischen Option das Ende des pazifistischen Gedankens bei den Grünen?
Marieluise Beck: Wir haben uns nie als pazifistische Partei definiert. Viele Grüne haben ja auch Befreiungsbewegungen in Lateinamerika unterstützt, die sehr wohl mit militärischen Mitteln vorgegangen sind.
Wir waren und sind eine Anti-Atom-Partei sowohl im militärischen als auch im "zivilen" Bereich. Aber die Frage, wie wir gefährdete Menschen schützen, die haben wir zu der Zeit noch nicht diskutiert. Im großen Stil hat die Debatte erst Joschka Fischer nach dem Massaker von Srebrenica eröffnet.
sueddeutsche.de: Dennoch war es ein harter Kampf, der spätestens mit der Kosovo-Entscheidung 1999 endgültig ausgefochten wurde.
Beck: Das war die größte Zäsur in der Geschichte der Grünen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals ein so hartes Ringen in Fraktion und Partei gegeben hat, wie in dieser Frage. Das Kosovo war ja auch deshalb so unendlich schwierig, weil es keinen UN-Sicherheitsratsbeschluss gab. Wir standen vor der Wahl, zu warten, bis es ein zweites Srebrenica gibt - oder die sofortige Intervention zu fordern.
sueddeutsche.de: Sie haben die Anfänge 1983 als unwirklich beschrieben. Wie unwirklich muss da erst die Regierungsübernahme gewesen sein?
Marieluise Beck: Es gab große Momente der Unwirklichkeit. Ich bin ja zur Ausländerbeauftragten berufen worden und eines Tages kam der zuständige Referatsleiter, der zuvor für Frau Schmalz-Jacobsen von der FDP gearbeitet hat, in mein kleines Abgeordnetenbüro und sagte: "Frau Beck, ich biete Ihnen mein Vertrauen an". Das fand ich unglaublich und wunderbar.
sueddeutsche.de: Dabei gehört doch der Wechsel in der Politik zum Alltagsgeschäft.
Marieluise Beck: Ich sehe vielleicht durch diese Erfahrung erst deutlich, dass Ämter im Parlamentarismus auf Zeit vergeben werden. Ich finde es immer wieder erstaunlich und faszinierend, wie Politiker aus herausgehobenen Positionen zurücktreten ins Glied. Wenn ich heute den Kollegen Hans Eichel mit seiner Aktentasche an einer Ampel warten sehe, dann denke ich immer, das ist eine ganz hohe Form der Zivilität. Das finde ich etwas ganz Besonderes am Parlamentarismus.