23-facher Lottomillionär:Das Glück ist mit dem Friedvollen

Der arabische Israeli hat in den USA das große Los gezogen - heute gönnt er sich den Luxus, in seinem Heimatdorf für die Versöhnung zu arbeiten.

Thorsten Schmitz

Jawat Ibrahim steigt in seine Mercedes-Limousine - Baujahr 2007, außen schwarz, innen cremefarbenes Leder, Anschaffungspreis inklusive aller Extras 150000 US-Dollar - und redet von seiner deprimierenden Kindheit.

Unangeschnallt kurvt er durch sein arabisches Dorf in den Bergen vor Jerusalem, über Schlaglöcher, durch Regenpfützen, im CD-Player die Stimme einer verzweifelt klingenden arabischen Sängerin, und immer wieder nickt er und winkt Bekannten und Verwandten und Freunden zu.

Die viele Aufmerksamkeit gefällt ihm, er lächelt. Lange genug hat in seinem Leben kein Mensch Notiz von ihm genommen. Doch Jawat Ibrahim, 42 Jahre alt und von der Natur mit einer unendlichen Großzügigkeit ausgestattet, hat die Zukunft zum Lebensprinzip erhoben. Den Blick zurück meidet er, so gut es geht. Das Kapitel seiner Kindheit will er kurz halten.

Jawat Ibrahim war vier Jahre alt, als sich sein Vater mit einem Cocktail giftiger Flüssigkeiten das Leben nahm. Weshalb, das wisse er bis heute nicht. Mit fünf Brüdern und einer Schwester und der Mutter lebte die Familie fortan im Kellergeschoss eines unfertigen Hauses, das der Vater für die Familie hatte bauen wollen.

Zugig war es in diesem Rohbau, und in den Wintern feucht und unerträglich kalt. Heute besitzt Jawat Ibrahim ein Auto mit einer digital gesteuerten Klimaanlage und kann seinen Beifahrer an einem wolkenverhangenen regnerischen Wintertag fragen: "Soll ich die Sitzheizung anstellen?"

Zu essen hatten sie damals nie genug, Onkel und Tanten versorgten die vaterlose achtköpfige Familie. Heute besitzt Ibrahim ein florierendes Restaurant, das nicht nur Tausende von vorwiegend jüdischen Gästen jeden Monat anzieht, sondern auch 50 arabischen Kellnern und deren Familien in Abu Gosch ein komfortables Leben ermöglicht.

Nach dem misslungenen Versuch, ein eigenes Unternehmen für Töpferwaren zu gründen, flüchtete Jawat Ibrahim zu Beginn der neunziger Jahre in die USA. 200.000 US-Dollar Schulden hatte er in Israel angehäuft. Nur wenige Stunden, nachdem er bereits im Flugzeug saß, wurde ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt.

Das One-Way-Ticket nach Chicago hatte er sich von einem befreundeten Reisebüro-Besitzer erbettelt. In Chicago musste Jawat Ibrahim erst einmal Englisch lernen, er kam bei einem Onkel unter, schlug sich mit Taxifahrten durch.

Später leaste er mit dem ersten ersparten Geld einen Abschleppwagen und machte in den klirrenden Wintern den besten Umsatz, wenn er anderer Leute Luxus-Limousinen aus Schneeverwehungen befreite. Einen ausgefeilten Plan für die Zukunft besaß er damals nicht. Vielleicht eine Familie gründen, aber erst einmal sich finanziell absichern, dachte er damals.

Das Glück ist mit dem Friedvollen

An einem der langen Winterabende kaufte er sich zum ersten (und zum letzten) Mal in seinem Leben ein Lotto-Los, und als er die Gewinnzahlen im Fernsehen mit denen auf seinem 20-Dollar-Los verglich, schaltete er den Fernseher aus und blieb minutenlang regungslos auf dem Sofa sitzen.

Der Gewinn des Lebens

Er hatte 17,5 Millionen US-Dollar gewonnen. Weil die Lotto-Gesellschaft ihm die Summe zunächst nicht ausbezahlen wollte, da sein Los angeblich beschädigt gewesen sei, wuchs die letztlich ausbezahlte Summe nach einem Gerichtsverfahren auf 23 Millionen US-Dollar an.

Seitdem wird Ibrahim jedes Jahr eine Million US-Dollar auf sein Konto überwiesen, in den USA werden so hohe Lotto-Gewinne nicht auf einmal ausbezahlt.

Ein Jahr lang tat Jawat Ibrahim nichts anderes, als Geld auszugeben. Er lud seine gesamte Familie in die USA ein, inklusive der 90-jährigen Großmutter, kaufte sich einen Porsche, ein Penthouse in Chicago, heiratete eine Amerikanerin in Las Vegas (und ließ sich wieder von ihr scheiden).

Die Welt lag ihm zu Füßen, doch nach einem Jahr hatte Jawat Ibrahim das Interesse an der Welt verloren. Er verkaufte den Porsche (und den Maserati und den Ferrari), behielt das Penthouse, packte seine Koffer und flog Mitte der neunziger Jahre zurück in seine 7000-Seelen-Heimat.

Wenn man Jawat Ibrahim heute fragt, ob Geld glücklich macht, sagt er: "Für einen kurzen Moment. Nicht auf lange Sicht." Und weil das so ist, hat er sich in einen Emissär des Friedens verwandelt. Eine selbst auferlegte Aufgabe, die mit Geld nicht zu kaufen ist.

Als Jawat Ibrahim vor 20 Jahren Abu Gosch überstürzt verlassen hat, steckte das Dorf in einer Sackgasse. Die Arbeitslosigkeit war hoch, die Jugendlichen fanden keine Lehrstellen oder Jobs, von den jüdischen Israelis wurde der Ort besonders während der ersten Intifada zwischen 1987 und 1993 gemieden.

Es gab hier auch nichts, weshalb man den Ort besuchen sollte. Die meisten Bewohner hingen am Tropf staatlicher Unterstützung. Zusätzlich zu den äußeren Missständen hatten die Menschen in Abu Gosch ein Identitätsproblem. In Israel, dem jüdischen Staat, gelten arabische Israelis als Bürger zweiter Klasse.

Dem Gesetz nach besitzen sie zwar dieselben Rechte (und Pflichten) wie jüdische Israelis, doch die Kluft zwischen Gesetz und Realität in Israel ist groß. Arabische Israelis dienen nicht in der Armee, weshalb sie schon deshalb für viele jüdische Israelis nicht zur Nation gehören. Andererseits ließe sich ein arabischer Soldat auch schwer im Westjordanland vorstellen, wo er gegen seine palästinensischen Landsleute vorgehen müsste.

Die Palästinenser wiederum im Westjordanland und im Gazastreifen betrachten arabische Israelis als Kollaborateure. Es sind Palästinenser, die nicht bei der Staatsgründung Israels vor den Juden geflüchtet oder von ihnen vertrieben worden sind, sondern sich für ein Leben in Israel entschieden haben. Die Menschen von Abu Gosch haben sich im Unabhängigkeitskrieg 1948 in einem Benediktinerkloster auf ihrem Gemeindegebiet versteckt gehalten - und dafür entschieden, ihr Dorf nicht aufzugeben.

Arabische Israelis leben mit zwei Seelen in einer Brust. Sie sind Palästinenser und Israelis. Aber in keiner Gesellschaft voll integriert. Obwohl mehr als 20 Prozent der israelischen Bevölkerung israelische Araber sind, gibt es erst seit einem Monat erstmals in der Geschichte des Landes einen arabischen Minister, Raleb Madschadale heißt er.

Die Bestallung hat zu einem Eklat in der Koalitionsregierung geführt, als Esterina Tartman von der rechten Koalitionspartei "Unser Haus Israel" das Ende des jüdischen Staates prophezeite und erklärte, mit der Ernennung eines Arabers zum Minister würde dem Zionismus "der Todesstoß versetzt".

Das Glück ist mit dem Friedvollen

Zum Glück denken nicht alle Menschen in Israel so. Womöglich war Frau Tartman auch noch nie in Jawat Ibrahims Restaurant "Abu Gosch" essen.

Dann könnte sie sich vom Gegenteil überzeugen. Das Lokal ist an den Wochenenden so voll, dass die Leute draußen Schlange stehen. Das Restaurant ist ein Magnet für weltliche Juden aus Jerusalem, die vor der Ereignislosigkeit in der Hauptstadt an Samstagen fliehen, ebenso wie für die jüdischen Bewohner der Küstenregion.

In dem Restaurant wird hebräisch gesprochen, höchstens die Kellner untereinander reden arabisch. Sie wirbeln zwischen den Tischen, jedes Wochenende stürmen allein in Ibrahims Lokal 2000 hungrige Menschen. Es ist Jawat Ibrahim ein großer Spaß, sich an den Wochenenden im eigenen Restaurant nützlich zu machen - und im Akkord Bier zu zapfen. "Warum denn nicht?", lacht der 23-fache Millionär.

Das riesige Lokal liegt an der Hauptstraße von Abu Gosch, wo in den vergangenen Jahren 15 andere Restaurants eröffnet worden sind - von Arabern für Juden. Die Ko-Existenz geht in Abu Gosch durch den Magen. Die Salate und der Humus von Ibrahims Restaurant sind landesweit so begehrt, dass man sie inzwischen überall auch in Supermärkten kaufen kann. Und sogar in die USA werden sie exportiert.

Schnittstelle der Kulturen

Ibrahims Restaurant ist die Schnittstelle zwischen zwei Kulturen. In ihm wird Frieden praktiziert, nicht nur darüber palavert. Für Kinder und Jugendliche schließt er an manchen Tagen in den Sommerferien das Restaurant und zeigt ihnen, wie man Humus macht, das heißt: für arabische und jüdische Kinder und Jugendliche.

Das Restaurant ist auch ein Bitt-Ort. Menschen aus dem ganzen Land kommen zu ihm und bitten um Geld für Operationen, Kleidung, Essen. Kann er nein sagen? "Meistens nicht."

Jawat Ibrahim gibt aber nicht nur Geld, sondern auch Zuversicht. Er feuert seine Landsleute an. "Tut was!" Er träumt davon, dass die arabischen Israelis in Israel so einflussreich werden "wie die Juden in Amerika".

Und dass er daran glaubt, garniert er mit einem Beispiel aus der Realität: "Wer hätte gedacht, dass Südafrika eines Tages von den Schwarzen regiert wird!"

Also hilft er weiter, überkonfessionell und unermüdlich. Er hat eine "Abu Gosch Foundation" gegründet, die landesweit Arabern und Juden das Studium finanziert, arabische Schulen ausstattet und hilfsbedürftige arme Araber und Juden gleichermaßen unterstützt.

Er schreibt eine Kolumne in einer Jerusalemer Lokalzeitung (wo er zuletzt zum Beispiel die Bauarbeiten am Fuße des Tempelbergs für eine neue Fußgängerbrücke kritisiert hat), er wird um Vorträge im ganzen Land gebeten, er besitzt Häuser und Wohnungen in Abu Gosch, die er auch an Juden vermietet, sowie einen Ausweis für die Knesset, das Parlament.

Längst haben politische Parteien in ihm ein Zugpferd erkannt, denn Ibrahim ist der Mensch gewordene Alltagsfrieden, nach dem sich alle sehnen. Auch Regierungschef Ehud Olmert wollte Ibrahim in seiner "Kadima"-Partei. Doch weil man ihm nur einen hinteren Listenplatz angeboten hat, und "weil ich außerhalb der Zwänge des Politikbetriebs besser Einfluss ausüben kann", hat er eine politische Laufbahn bislang nicht eingeschlagen.

Das Glück ist mit dem Friedvollen

Politprominenz im Lokal

Auch ohne Rang und Titel hat Jawat Ibrahim Kultstatus erreicht. Politiker aus aller Welt waren in seinem Restaurant, Bill und Hillary Clinton, der Bürgermeister von Chicago, Dennis Ross, fast sämtliche Politiker Israels, darunter Ariel Scharon, Ehud Olmert, Schimon Peres, Benjamin Ben-Eliezer, Dalia Itzik.

Schon ein paar Mal führten israelische Politiker hier auch Friedensgespräche mit Palästinensern wie Saeb Erekat. An den Wänden des Restaurants hängt ein in Gold gerahmter Brief von Bill Clinton zum Geburtstag Ibrahims und Fotos, auf denen Jawat Ibrahim mit dem verstorbenen König Hussein von Jordanien zu sehen ist.

Im Wohnzimmer seiner Wohnung, die über dem Restaurant liegt, kramt Ibrahim in Fotokisten und zeigt Stars und Sternchen aus aller und der nahöstlichen Welt, wie sie lachen und Humus essen und sich umarmen. Derzeit strebt er eine Städtepartnerschaft mit einer Kommune in Deutschland an.

Und die Liebe? Auch die hat er nach mehreren Anläufen endlich gefunden. Tanyalak Ibrahim heißt sie, ist 34 Jahre alt, und kommt aus Thailand. Gemeinsam haben sie den Sohn Jasem und die Tochter Jasmin, drei und anderthalb Jahre alt, und die Erinnerung an einen Zufall, der sie vor vier Jahren in einem Einkaufszentrum in Bangkok zusammengebracht hat.

Tanyalak Ibrahim sitzt auf dem schwarzen Ledersofa am Wohnzimmertisch, den sie mit einer pinkfarbenen Orchidee geschmückt hat, und erstmals an diesem Tag schweigt Jawat Ibrahim, als er seiner Frau zuhört. Als höre er die Geschichte zum ersten Mal.

Mit einer Freundin war sie damals in einer Shoppingmall in Bangkok, als sie Jawat Ibrahim über den Weg lief. Er wollte bei einem Schneider Anzüge und Hemden in Auftrag geben, aber der Schneider sprach kein Englisch.

Hilfesuchend blickte Jawat Ibrahim sich um und fragte Tanyalak, ob sie ihm übersetzen könne. Das tat sie. Und handelte für Jawat auch noch einen guten Preis aus.

Als der Schneider eine Vorauszahlung wollte, musste Jawat Ibrahim, der 23-fache Millionär, erneut passen. Er hatte kein Bargeld bei sich. Tanyalak bot an, die Summe vorzuschießen und ging anschließend mit Jawat Ibrahim zu einem Geldautomaten. Auf dem Weg dorthin vertieften sie sich in ein Gespräch.

Und verabredeten sich für den nächsten Tag. Tanyalak Ibrahim sagt: "Ich war überzeugt, dass er ein großes Herz hat, denn er war weit weg von Zuhause und dachte an seine Familie und ließ Anzüge und Blusen für sie anfertigen." Noch ein paar Mal reiste Jawat Ibrahim nach Thailand, lernte Tanyalaks Familie kennen, bis die beiden sich vor vier Jahren zur Hochzeit und für den Lebensmittelpunkt Abu Gosch entschieden.

"Meine Freunde haben mich vor Israel gewarnt", sagt Tanyalak Ibrahim. "Bist du wahnsinnig, haben sie gesagt, in einen Krieg zu ziehen. Geh doch nach Deutschland."

Inzwischen haben sich ihre Freunde davon überzeugen können, dass man auch in Israel in Frieden leben kann, und Tanyalak Ibrahim hat Humus lieben gelernt (im Gegensatz dazu kann Jawat Ibrahim der thailändischen Küche nichts abgewinnen).

Auch im Dorf haben sich die arabischen Männer an den Anblick der Asiatin gewöhnt. Behilflich waren dabei nicht nur Tanyalaks Aura, sondern auch die Tatsache, dass sie Muslimin ist. Jawats Mutter hat die Schwiegertochter vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen und liebt deren thailändische Suppen.

Nur an den Konflikt hat sich Tanyalak Ibrahim bis heute nicht gewöhnt. "Hier in Israel ist es wichtig, welcher Religion du angehörst. Alle fragen immer, ob man Muslim oder Jude oder Christ ist. Bei uns in Thailand kümmern wir uns nicht darum, ob du Buddhist, Christ oder Muslim bist. Bei uns sind alle Menschen gleich."

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