Pro: Aufhebung des Fraktionszwangs bei § 219a:Das Gewissen ist nicht generalisierbar

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Weibliche Abgeordnete wollen den Fraktionszwang bei der Reform des Paragrafen 219a brechen, damit auch Kollegen der Union für die Reform stimmen können (Symbolbild). (Foto: dpa)

Alle Fragen zum Schutz des menschlichen Lebens sind Gewissensentscheidungen. Der Fraktionszwang zur Reform des Paragrafen 219a gehört aufgehoben.

Ein Pro von Heribert Prantl

Die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Das ist der Grundsatz; so steht es im Grundgesetz. So ist es aber nicht. Im parlamentarischen Alltag ist es anders; es zählt die Fraktionsdisziplin. Nur ganz ausnahmsweise, wenn es um innerste Überzeugungen geht, wird diese Disziplin aufgehoben. Die Abgeordneten müssen dann nicht ihrer Fraktionsführung folgen, sondern dürfen, von dieser ungestraft, ihrem Gewissen folgen und tun, was im Grundgesetz als Normalfall gilt.

Eine Gruppe von weiblichen Abgeordneten hat nun, um die Blockade bei der Reform des 219a zu brechen, hier die Aufhebung der Fraktionsdisziplin verlangt; sie will so erreichen, dass auch Abgeordnete der Union für die Reform stimmen können. Dagegen erhebt sich nun von feministischer Seite Kritik - weil damit eine Selbstverständlichkeit, nämlich die überfällige Aufhebung einer augenfällig widersinnigen, skandalösen Norm, zur Gewissensentscheidung geadelt würde.

Aufhebung des Fraktionszwangs bei § 219a
:Die Gewissensentscheidung darf nicht zur Exit-Strategie werden

Die Frage nach der Reform des Paragrafen 219a ist rein analytisch einfach zu beantworten. Ein merkelhaftes Unwohlsein darf hier keine Kategorie sein.

Ein Contra von Lara Fritzsche

Diese Reform ist bitter notwendig, darüber besteht zwischen Pro und Kontra auf dieser Seite Einigkeit - weil der 219a in der geltenden Fassung bereits die bloße ärztliche Information über die Abtreibung als strafbare Werbung betrachtet. Das ist falsch, schädlich und gefährlich. Ärztinnen sind bestraft worden, weil sie auf ihrer Website darauf hingewiesen hatten, dass sie über Abtreibung beraten. Diese Bestrafung ist ein Skandal.

Es ist aber auch ein Skandal, diesen Skandal aus grundsätzlichen Erwägungen bestehen zu lassen, bis die Fraktionsführung der Union ihn endlich auch als solchen begreift und dann der Reform für die gesamte Fraktion zustimmt. Wer trägt bis dahin die belastenden Folgen für die Pflege der grundsätzlichen feministischen Bedenklichkeit? Es sind die Schwangeren, denen weiter Beratung erschwert wird, und die Ärztinnen und Ärzte, die von Anti-Abtreibungs-Hardlinern mit Prozessen überzogen werden. Die Freigabe der Abstimmung als Gewissensfrage ist wichtig, richtig und pragmatisch. Sie ist im Interesse guter ärztlicher Beratung notwendig.

Das Gesetz macht die Abtreibung zu einer unmöglichen Möglichkeit

Die Kritikerinnen meinen, es handele sich bei der Reform um eine Selbstverständlichkeit, um eine Pflicht geradezu - also nicht um eine Gewissensentscheidung. Das kann man so sehen. Aber Gewissen ist nichts Generalisierbares, sondern etwas höchst Individuelles, der innerste Kern persönlicher Überzeugung. Man kann nicht die eigene Überzeugung an die Stelle der Überzeugung des anderen setzen. Man darf dem anderen die Gewissensnot nicht absprechen, wenn er sie so empfindet. 219a ist eingebettet in eine Gesetzgebung, die das Recht bewusst ambivalent gestaltet und den Schwangerschaftsabbruch zu einer unmöglichen Möglichkeit macht, um dem Konflikt der Gewissen Rechnung zu tragen.

Gewiss: Wer sich jeden Tag aufs Gewissen beruft, macht sich lächerlich. Es ist zwar nicht aus Seife, nutzt sich aber dann ab. Andererseits: Ein Politiker, der nie Gewissensprobleme hat, ist womöglich gewissenlos. Vom Aphoristiker Stanislas Lem stammt der hier passende Satz: Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie.

Alle Fragen, die mit dem Schutz des menschlichen Lebens zu tun haben, sind Gewissensentscheidungen. 219a gehört aufgehoben, weil gute Information über Abtreibung zur gesetzlich vorgeschriebenen Beratung gehören muss. Diese Information als strafbare Werbung zu kriminalisieren, ist ein furchtbarer Fehler.

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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