200 Jahre Schlacht von Waterloo: "Napoleons gibt es viele - Blücher nur einmal"

200 Jahre Schlacht von Waterloo: Klaus Beckert in Uniform auf der heimischen Couch

Klaus Beckert in Uniform auf der heimischen Couch

Klaus Beckert ist Rentner, seine Frau nennt ihn "Klausi". Wenn 5000 Darsteller die Schlacht von Waterloo nachstellen, befehligt er als Feldmarschall Blücher die preußischen Truppen. Gegen seinen Sohn.

Porträt von Antonie Rietzschel, Leipzig

Der Bezwinger Napoleons lebt in einer gepflegten Neubausiedlung östlich von Leipzig. Gebhard Leberecht von Blücher sitzt im Wohnzimmer auf einer braunen Ledercouch. Blaue Uniform, goldfarbene Kordeln an der rechten Schulter, Orden auf der Brust. Die Säbel an der Wand hinter ihm bilden einen metallenen Kranz um seinen Kopf. Die Augen strahlen blau, Haar und Schnurrbart sind schlohweiß, genau wie die Handschuhe. "Napoleons gibt es viele", sagt er. "Blücher gibt es nur einmal." Dann klingelt das Telefon und Ehefrau Regina ruft: "Klausi!"

Klaus Beckert ist 78 Jahre alt und Rentner. Eben saß er hier noch im blauen Polohemd, mit Lederschlappen an den nackten Füßen. Dann verschwand er im Keller und kam als Generalfeldmarschall zurück - nicht im Kostüm, sondern in Uniform, darauf legt Beckert Wert. "Wir verkleiden uns nicht", sagt er streng.

Mit "wir" meint Beckert Männer und Frauen, deren größte Passion das Nachstellen historischer Schlachten ist. Reenactment - oder "Räenaktment", wie der Sachse Beckert sagt, der kein Englisch spricht - ist in den USA schon lange sehr populär. Auch in Europa wächst die Szene seit Jahren. Mit Fasching hat das nichts zu tun, denn den Darstellern geht es um die größtmögliche Authentizität, vor allem bei der Kleidung.

Als Blücher-Darsteller ist Beckert konkurrenzlos

Klaus Beckert spielt auf dem Schlachtfeld seit Jahrzehnten die Rolle des Blücher. Der preußische Generalfeldmarschall hat Napoleon zweimal geschlagen: 1813 in Leipzig und endgültig 1815 in Waterloo. Am 18. Juni 2015 jährt sich die Schlacht im heutigen Belgien zum zweihundertsten Mal. Ein Großereignis: 5000 Darsteller reisen an, um am Freitag und Samstag die Schlacht nachzustellen, die eigentlich nur einen Tag dauerte. Für die Rolle Napoleons gab es mehrere Bewerber. Am Ende entschied man sich für den Franzosen Frank Samson (ein Porträt).

Selbst wer nur einen einfachen Soldaten in der Schlacht von Waterloo spielen wollte, musste sich offiziell bewerben. Nur Klaus Beckert nicht. Der Leipziger ist als Blücher-Darsteller in ganz Europa konkurrenzlos. Bei allen größeren Ereignissen in Deutschland, aber auch im Ausland gibt er den Feldmarschall.

1982 begleitete Beckert seinen Sohn zu einer Gedenkfeier am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, an der auch eine Gruppe in historischen Uniformen teilnahm - eine bescheidene Darbietung verglichen mit den großen Schlachtendarstellungen von heute. Beckert schloss sich den Uniformierten an und wurde zunächst Infanterist. Mit 43 Jahren lernte er noch reiten und trat als Husar auf.

Blücher - Waterloo

Klaus Beckert zu DDR-Zeiten als Husar.

(Foto: Antonie Rietzschel)

"Die brauchten einen, der alt war und reiten konnte"

1988 spielten ungefähr 100 Darsteller die Völkerschlacht nach (ein Videomitschnitt). Die DDR-Führung tolerierte das Spektakel nicht nur, sondern unterstützte es auch finanziell. Für Ost-Berlin galten die Befreiungskriege als ein historisches Beispiel für eine deutsch-sowjetische Waffenbrüderschaft. "Darauf haben wir uns immer bezogen, und dann ging das klar", sagt Beckert. "Auch wenn es historisch nicht korrekt war - Deutschland gab es da ja noch nicht."

Klaus Beckert schlüpfte zum ersten Mal in die Rolle des Blücher. "Die brauchten damals einen, der alt war und reiten konnte", sagt er. Die Uniform lieh er sich vom Theater, die Haare musste er sich pudern lassen. "Damals habe ich gesehen, wie ich 20 Jahre später aussehe", sagt Beckert.

27 Jahre ist das jetzt her. Leipzig, Großgörschen, Katzbach, Wartenburg, Kaub, Fontainebleau, Reims, Waterloo - unzählige Male hat er den Blücher seither gegeben. Er hat sich sogar den Segen der Nachfahren des Generalfeldmarschalls eingeholt.

Auf dem Pferd sitzt er nur noch selten. Vor 15 Jahren hatte er einen schweren Unfall. Sein Pferd stürzte und wälzte sich über ihn. Beckert brach sich 23 seiner 24 Rippen. "Ich bin ja jetzt auch ein alter Mann", sagt er entschuldigend. Nur letztes Jahr, da hat es ihn noch einmal gepackt. Er lieh sich bei einer Veranstaltung ein Pferd und ritt wie einst Blücher die Attacke seiner Soldaten mit.

Ferienlager für große Jungs und Mädchen

Fragt man Klaus Beckert, warum er das eigentlich macht, sagt er: "Das ist Teil unserer Geschichte, und wir wollen sie zum Leben erwecken." Doch es schwingt noch etwas anderes mit: das Abenteuer. Pferde, im Zelt schlafen, Lagerfeuer - es klingt nach Ferienlager für große Jungs und Mädchen. "Es ist schon aufregender, wenn Soldaten einen als 'Blücher' anrufen als den Müll rauszubringen." Aber anders als im echten Krieg muss niemand befürchten, nicht mehr vom Schlachtfeld zurückzukehren.

Die Reenactment-Szene ist eine eigene Welt. Manche Freundschaften spielen sich nur in diesen Kreisen ab, das reale Leben berühren sie kaum. Der Rentner Klaus Beckert aus Leipzig würde nie auf die Idee kommen, den Franzosen Frank Samson anzurufen oder ihm einen Brief zu schreiben. Doch in der Rolle des Blücher schätzt er den Darsteller des französischen Kaisers sehr. "Napoleon ist ein guter Freund", sagt Beckert.

Auf dem Schlachtfeld schicken sie ihre Truppen zum Scheingefecht aufeinander los. Am Abend lädt Blücher Napoleon dann auf ein Glas Absinth ein. Und Napoleon revanchiert sich mit kaiserlichen Geschenken. Klaus Beckert hat ein schwarzes Lederkästchen auf den Wohnzimmertisch gelegt. Darin liegen Duplikate der Orden, die Napoleon bei seiner Flucht nach der Schlacht von Waterloo zurückgelassen hat. Samson hat sie Beckert vor zwei Jahren am Rande einer Schlacht überreicht. Geschätzter Wert: 800 Euro.

Blücher - Waterloo

Beckerts Schätze lagern im Keller des Hauses.

(Foto: Antonie Rietzschel)

Im Gegenzug schenkte Beckert Samson eine Kopie des Blücherkreuzes.

Blücher - WAterloo

Beckert überreicht als Blücher einen Orden an Frank Samson (Napoleon).

(Foto: Antonie Rietzschel)

Napoleon will jetzt Cowboy werden

Bei der Schlacht in Waterloo am Freitag und Samstag werden sich die beiden Darsteller womöglich zum letzten Mal gegenüberstellen. Samson will die Rolle des Napoleon aufgeben und künftig Cowboy sein. Beckert möchte kürzer treten und überlegt, nur noch Veranstaltungen in Deutschland zu besuchen. Die langen Autofahrten strengen ihn an.

Einen würdigen Nachfolger hat er bisher noch nicht ausgemacht. Bei der Darstellung der Rheinüberquerung in Kaub an Pfingsten dieses Jahr gab es neben Beckert einen zweiten Blücher. Das dortige Museum hatte ihn engagiert. Doch der habe nicht mal Stiefel getragen, sondern schwarze Halbschuhe, sagt Beckert und verdreht die Augen.

Auch Beckerts Sohn kommt derzeit nicht infrage. Der ist zwar ebenfalls ein begeistertes Mitglied der Reenactment-Szene, aber sozusagen ein Überläufer. In Waterloo wird er bei den französischen Soldaten mitmarschieren. "Er war es leid", sagt Beckert, "immer nur der Blücher-Sohn zu sein."

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