Hitler-Attentat:Wie die extreme Rechte den 20. Juli instrumentalisiert

Lesezeit: 3 Min.

Chemnitz im November 2022: Anhänger der AfD und der rechtsextremen Partei Freie Sachsen beanspruchen für sich, "den Widerstand" zu verkörpern. (Foto: Härtelpress/Imago)

80 Jahre nach dem Stauffenberg-Attentat: Vor allem die AfD und ihre radikalen Vordenker versuchen, das Gedenken an den Widerstand gegen Hitler zu vereinnahmen. Doch es gibt Gegenwehr.

Von Johan Schloemann

„Widerstand! Widerstand!“ – so skandieren es seit einigen Jahren Demonstranten mit Sympathien für den populistischen Protest auf der äußersten Rechten. Das fing schon mit Aufmärschen gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik an, dann nahm es noch einmal Fahrt auf bei Kundgebungen und Social-Media-Aktivitäten der Querdenker, wo sich allerlei Kritiker der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sammelten.

Die Geschichtsvergessenheit dieser Proteste fand damals eine exemplarische Figur in der fast schon sprichwörtlich berüchtigten „Jana aus Kassel“: Eine junge Frau hatte im November 2020 – also im Herbst des ersten Corona-Jahres – auf einer Bühne in Hannover erklärt: „Ja, hallo, ich bin Jana aus Kassel, und ich fühle mich wie Sophie Scholl. Weil ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, Flyer verteile (…). Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel.“

Gezielte Instrumentalisierung der Attentäter des 20. Juli 1944

Die Erzählung, man müsse sich im gegenwärtigen Deutschland gegen einen Unrechtsstaat zur Wehr setzen – ob es nun um Migration, Impfungen oder grüne Energiegesetze geht –, bedient sich also eines moralisch hoch angesehenen Vorbilds: des Widerstands gegen eine totalitäre deutsche Diktatur. Zum Teil lautet die Klage, man fühle sich von den demokratisch legitimierten Entscheidungen heutiger Regierungen genau so drangsaliert wie vom Zwangsapparat der DDR, weswegen dann auch der Ruf der friedlichen Revolution von 1989, „Wir sind das Volk“, reaktiviert wird. Zum Teil nimmt man aber auch ausdrücklich auf den Widerstand gegen Adolf Hitler Bezug, dessen die Republik jetzt, 80 Jahre nach dem missglückten Hitler-Attentat am 20. Juli, wieder intensiv gedenkt.

Vereinnahmung durch Geschichtsvergessenheit: "Jana aus Kassel" vergleicht sich auf einer Querdenker-Demo allen Ernstes mit Sophie Scholl. (Foto: Henning Scheffen /Imago)

Während auf der Straße dafür oft nur die Chiffre „Widerstand“ ausreicht, steht in der Ideologie der extremen Rechten eine gezielte Vereinnahmung der Attentäter des 20. Juli 1944 dahinter. Diese hatten in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst eher als Verräter, dann aber zunehmend als Ehrenretter der Deutschen gegolten, die mehrheitlich beim Nationalsozialismus mitgemacht hatten. Nun aber versucht man das Gedenken an den Widerstand für die Opposition gegen eine vermeintliche „Diktatur“ im heutigen Deutschland zu mobilisieren.

SZ PlusMeinung20. Juli 1944
:Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg galt erst als Verräter, später als Held – was er heute für uns bedeutet

Kommentar von Robert Probst

So legte beispielsweise die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt zum 20. Juli 2016 einen Kranz nieder am Denkmal für Henning von Tresckow, der mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg an der Verschwörung gegen Hitler beteiligt war. Die Kranzschleife trug den Aufdruck „Es lebe das heilige Deutschland“ – jene Worte, die Stauffenberg angeblich vor seiner Hinrichtung im Berliner Bendlerblock gerufen hat.­­­ Der Bundestagsabgeordnete und AfD-Ideologe Marc Jongen erklärte zum Widerstandsgedenken vor drei Jahren, die Hitler-Attentäter mahnten zu einem Verzicht auf eine deutsche „Büßerhaltung“: „Sie standen nicht nur für das bessere Deutschland, sondern auch für einen aufrechten Gang“, so Jongen, und deswegen sei der 20. Juli auch „ein Anlass, sich kritisch mit der deutschen Erinnerungskultur auseinanderzusetzen“.

Die Stiftung 20. Juli wehrt sich mit einem Manifest

Diese Stauffenberg-Instrumentalisierung steht aus Sicht der AfD in der Tradition einer „konservativen Revolution“, die vom Nationalsozialismus abzugrenzen sei. Und die Partei lässt da nicht locker: Anfang Juli erneuerte sie im Bundestag einen älteren Antrag mit der Forderung nach einem 20.-Juli-Denkmal am ehemaligen Flugplatz Rangsdorf. In der Antragsbegründung heißt es über Stauffenberg: „Bei vollem Respekt vor den Kulturleistungen anderer Völker sah er in der deutschen Kultur ein besonderes geistiges Potenzial angelegt, das allerdings aufgrund der Besonderheiten der deutschen Geschichte nie zur Entfaltung gekommen ist.“

Dagegen wehren sich inzwischen auch Nachkommen der Widerständler selbst. In dieser Woche veröffentlichte die Stiftung 20. Juli ein Manifest, das vehement den Versuch zurückweist, „den Begriff des Widerstandes gegen unsere freiheitliche Demokratie zu instrumentalisieren“. Unter den Unterzeichnern sind viele Widerstandserben, im Kuratorium der Stiftung sitzt der frühere CDU-Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Kuratoriumsvorsitzende ist die Historikerin Valerie Riedesel, eine Enkelin von Cäsar von Hofacker. Der Reserveoffizier unterstützte 1944 den Umsturzversuch von Paris aus, bot dann dem Nazi-Richter Roland Freisler die Stirn und wurde später in Plötzensee erhängt.

Die Mahnung der Nachkommen ficht die Radikalen aber offenbar nicht an: Ausgerechnet für den 20. Juli hat die AfD in Schleswig-Holstein einen „Tag des Vorfelds“ mit sympathisierenden Extremisten organisiert. Die bei Telegram inzwischen gelöschte Einladung dazu erging im Widerstands-Sound an allerlei Kräfte, die dazu beitrügen, „die notwendige geistige Kehre zu schaffen, um unser Land wieder auf die richtigen Bahnen zu lenken“.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHistorie
:Der Tag, an dem Hitler sterben sollte

Den aufständischen Offizieren des 20. Juli 1944 gebührt jeder Respekt – auch wenn sie kaum heutigen Idealen entsprachen.

Von Joachim Käppner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: