20 Jahre Mauerfall:"Ikone für alles, was die DDR ausgemacht hat"

Günter Schawboskis Telefon ist eines der interessantesten DDR-Relikte. Wie SZ-Reporterin Annette Ramelsberger das Telefon ergatterte.

D. Stawski

Annette Ramelsberger ist Ressortleiterin Bayern der Süddeutschen Zeitung. Damals, im Jahr der Wende, arbeitete sie als Reporterin für die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in Ostberlin.

20 Jahre Mauerfall: Das Vorwende-Telefon von Günter Schabowski.

Das Vorwende-Telefon von Günter Schabowski.

(Foto: Foto: Jörg Buschmann)

sueddeutsche.de: Wie sind Sie an dieses Telefon rangekommen?

Annette Ramelsberger: Es war eine Recherche im "Haus der 1000 Augen", der alten SED-Zentrale. Dort, wo heute das Außenministerium steht. Ich habe versucht, den Überbleibseln, den letzten Resten des DDR-Regimes, nachzuspüren. Zum Beispiel war ich in einem Dachgeschoss, wo die Staatsgeschenke der DDR gelagert waren. Die Elefantenhäute und Kameltrommeln, die Honecker bekommen hat.

Wir gingen da von Raum zu Raum, und irgendwann kam eine Frau, ein langjähriges SED-Mitglied, und sagte: "Hier hätte ich etwas, wenn Sie sich schon so interessieren." Und sie hatte das Telefon von Schabowski in der Hand. Ich glaube, es war gerade frisch aus der Wand gerissen. Das Telefon des Mannes, der unwissentlich die Mauer öffnete - dazu sagte ich nicht nein. Ich habe es als Schatz nach Hause getragen, habe es in einen kleinen Schrein gestellt, in meiner Wohnung, geschmückt mit ein paar alten DDR-Orden und Fahnen. Mittlerweile ruht es an einem ruhigen Ort, an dem ihm nichts passieren kann.

sueddeutsche.de: Das Telefon ist keine Schönheit. Oder wie finden Sie es?

Annette Ramelsberger: Es ist typisch. Es ist eigentlich die Ikone für alles, was die DDR ausgemacht hat: Es ist aus Plaste und grau. Und es hat trotzdem eine Form, die mich mehr an die sechziger Jahre erinnert als an die achtziger und neunziger. Und das ist eigentlich auch die DDR: so ein bisschen steckengeblieben im Grau der sechziger Jahre.

sueddeutsche.de: Was bedeutet Ihnen das Telefon heute, 20 Jahre nach dem Mauerfall?

Annette Ramelsberger: Es ist für mich vor allem ein Relikt aus dem "Haus der 1000 Augen". Ich habe besonders den Platz davor in Erinnerung: ein riesiger, grüner Platz, auf den niemand, aber auch wirklich niemand einen Fuß setzen durfte. Das wäre ein Sakrileg gewesen. Aus diesem Haus schaute Honecker heraus, dort war das Zentralkomitee. Es war die Machtzentrale der DDR, viel wichtiger als der Palast der Republik.

Damals, im März 1990 war die erste und letzte freie Volkskammerwahl. Die neu gewählten Abgeordneten zogen ins "Haus der 1000 Augen" ein, "Haus der Parlamentarier" hieß es deshalb zwischendurch. Es kamen neue Leute, vom Neuen Forum, von der PDS. Und sie besetzten plötzlich die Büros von Erich Honecker und Kurt Hager und wie sie alle hießen. Aber der Mief war noch nicht raus, es war noch immer die gleiche Luft, die gleichen Zimmerpflanzen, der gleiche Linoleumboden. Und es war auch die gleiche Beklemmung, die dort noch herrschte. Man hatte das Gefühl, die biegen gleich um die Ecke. Dieses Telefon ist für mich ein Inbegriff dieser Zeit, wo noch alles möglich war, wo die DDR noch nicht vergangen war - sie war noch da, und ihre Insignien auch.

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