20 Jahre Fatwa gegen Rushdie:Der Feind und seinesgleichen

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Vor 20 Jahren verhängte Ayatollah Chomeini die Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Heute wirkt dieses Todesurteil wie das erste Kapitel einer finsteren Geschichte, die nicht mehr aufhören will. Eine Bestandsaufnahme über das Elend mit den Fundamentalisten.

Thomas Steinfeld

Von heute aus betrachtet erscheint die Fatwa, die Ayatollah Chomeini vor genau zwanzig Jahren, am 14. Februar 1989, über Radio Teheran gegen Salman Rushdie verhängte, wie das erste Kapitel einer finsteren Geschichte, die nicht mehr aufhören will.

Der Schriftsteller selbst musste für zehn Jahre untertauchen, das Todesurteil wurde mehrmals bestätigt, zuletzt im Frühjahr 2005. Salman Rushdie mag sich schon lange wieder in der Öffentlichkeit bewegen und die Drohungen nicht mehr ganz so ernst nehmen. Aber die Fatwa gilt, und sicher kann er sich nicht fühlen.

Ähnliche Anordnungen folgten, so gegen die pakistanische Publizistin Taslima Nasreen. Und auch die Aufstände, Morde und Drohungen, die durch die Veröffentlichung von zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung im Herbst 2005 ausgelöst wurden, gehören in diese Geschichte.

Sie handelt davon, wie eine Form des Islam, die fundamentalistisch geworden war, der Welt mit furchtbarer Gewalt zeigen will, dass ihr Gott und ihr Prophet nicht der Freiheit der Meinung und der Kunst unterliegen. Die Eigenheit aller vormodernen Gesellschaften, jede Form von Atheismus als Lebensgefahr für Staat und Gesellschaft wahrzunehmen und also in eine lebensgefährliche Angelegenheit für den Atheisten zu verwandeln, scheint in der Fatwa gegen Salman Rushdie fortzuleben, oder besser: wiedergekehrt zu sein.

Alle Argumente gegen diesen Dogmatismus sind geäußert worden. Alle Einwände sind vorgetragen. Sie sind richtig, auch wenn sie sich wiederholen. Die Dogmatiker aber erreicht man dadurch nicht. Sie zeigen, zumindest formell, einen unbeugsamen Willen. Starrsinnig bleiben die Führer, und der Mob scheint nur auf eine Gelegenheit zu warten, um sich aufs Neue entfesseln zu lassen. Da mag man noch so oft den Dialog mit dem Islam beschwören oder sich auf Muslime berufen, die bestreiten, dass eine solche Fatwa überhaupt gilt: Es führt zu nichts. So redet dann der Westen mit sich selbst und muss doch wahrnehmen, dass Einigkeit, die sich nicht erst verständigen muss, eindrucksvoller ist als jedes Gespräch.

Die Wertedebatte, die der Islamismus dem Westen aufzwang, hat daher etwas Erbärmliches: zum einen, weil sie die Hilflosigkeit des Redens angesichts von Gewalt offenbart. Zum anderen, weil die westlichen Werte, auf die man sich zur Abwehr des Angriffs beruft, selbst keineswegs frei von Dogmatismus sind. Man bekennt sich zu ihnen wie zu Heiligen Schriften, bildet sich also selbst nach dem Feind, dem man doch eigentlich hatte widerstehen wollen. So landet man in einem heillosen Widerspruch: Denn wie viel ist die Toleranz wert, wenn man zu ihr verpflichtet wird, wie viel die Freiheit, wenn sie mit Zwang einhergeht, wie viel der Pluralismus, wenn er oktroyiert ist?

Ist der Liberalismus nicht ein mildes Joch?

Die islamistischen Gewalttaten und Drohungen gegen Salman Rushdie und viele andere sind furchtbar, zuerst für die Betroffenen, dann für alle, die solche Niedertracht wahrnehmen und dulden müssen. Doch schlimm ist es auch, wenn der Westen angesichts einer solchen "Herausforderung" selber grundsätzlich wird.

Aber ist der Liberalismus nicht ein mildes Joch, möchte man da einwenden, ist die sanfte Gewalt, die von ihm ausgeht, nicht die Voraussetzung für ein Leben in Selbständigkeit und Freiheit? Gewiss, so ist es, aber der Liberalismus ist nicht die Eigenschaft des Westens, mit dem die meisten Menschen in den islamischen Ländern als erstes Bekanntschaft schließen. Nach außen trägt der Liberalismus ein anderes Gesicht als nach innen, er wird nicht als Liberalismus wahrgenommen, sondern als Anmaßung.

Zuerst sind die Bilder des Westens da, die Fotografien und Filme, die zahllosen Produkte maschinell reproduzierter Tagträume, die, ganz gleich, was sie zeigen - die Liebe, den Luxus, den Selbstgenuss - jeder für sich eine Herausforderung aller Vorstellungen sind, die diese Menschen von einem guten Leben hegen.

Der Gießener Politologe Claus Leggewie hat jüngst für die "freien Gesellschaften" ein "Blasphemiegebot" gefordert, damit "die Frommen lernen, selbst obszöne und geschmacklose Religionskritik souverän auszuhalten". Das ist ein törichter Einfall, und zwar nicht nur, weil sich solche "Gebote" mit "Freiheit" schlecht vertragen. Sondern vor allem, weil absehbar ist, was derartige Ideen - die ja auch in Gestalt von Vorschlägen auftreten, Schweine durch Synagogen zu jagen - für Folgen zeitigen: Beide Seiten werden auf Prinzipien pochen, beide Seiten werden in ihren Ansprüchen erstarren, und ähnlicher werden sie einander nie gewesen sein.

Ein Wissen darüber, wie totalitär die Glücksideale des Westens sein können

Nein, man soll auch gläubigen Muslimen nicht die Begegnung mit der westlichen Kultur ersparen, alberne Karikaturen eingeschlossen. Aber suchen muss man die Schmähung nicht. Und am besten wäre es, wenn der Westen ein Bewusstsein dafür entwickelte, was er da massenhaft an Bildern in die Welt setzt, ein Wissen darüber, wie totalitär selbst seine Glücksideale - die Liebe, die sexuelle zumal, das souveräne Ich, der materielle Erfolg - sein können.

Bevor die Fatwa gegen Salman Rushdie verhängt wurde, war er ein Schriftsteller aus dem Osten mit einem halb indischen, halb britischen Lebenslauf. Weltruhm erreichte er, nachdem er im Jahr 1981 für seinen Roman "Mitternachtskinder" den Booker Prize, die höchste literarische Auszeichnung innerhalb des Commonwealth, erhalten hatte. Seine Bücher, die frühen zumal, handeln vom Westen im Osten und vom Osten im Westen. Er war das literarische Versprechen und der poetische Repräsentant einer neuen, vielfarbigen, multikulturellen Welt.

Die Technik aber, in der er seine Geschichten vortrug, der Roman, ist ganz und gar westlicher Herkunft. Als die Führer der iranischen Revolution Salman Rushdie zu ihrem Feind erklärten, wussten sie, was sie taten: Sie zielten auf das Ineinander der Kulturen, auf die Mischung, die sich an solchen Gestalten und um sie herum gebildet hatte. Und sie zielten auf einen Autor, der seine Präsenz in der Öffentlichkeit offensichtlich genoss, so sehr, dass er, später noch und nicht ohne Wehmut, dem Rock 'n' Roll auf Stadienbühnen literarische Denkmäler errichtete.

Ein glückliches Ende ist nicht gewiss

Aber nur zum Schein traten die Kulturen nach der Fatwa gegen Salman Rushdie auseinander. Denn auch der Islamismus operiert mit westlicher Technik, mit Massenmedien, Satellitenübertragung und moderner Bühnentechnik. Die Wertedebatten, die er im Westen entfesselte, nicht zuletzt in den Massenmedien, trafen auch darin auf ihr Gegenstück.

Gibt es keinen Ausweg? Doch, ja, aber es braucht Zeit, ihn zu finden, denn er ist klein, und ein glückliches Ende ist nicht gewiss. Als Salman Rushdie und Orhan Pamuk sich im Herbst 2007 im Highline Ballroom in Manhattan trafen, um öffentlich über "Heimat" zu reden, traten ungleiche Opfer auf die Bühne - Orhan Pamuk hatte im Frühjahr desselben Jahres, nach dem Mord an Hrant Dink, vorübergehend die Türkei verlassen, nachdem auch gegen ihn Todesdrohungen kursierten.

Interessanter noch als alles, was in jenem Gespräch gesagt wurde, ist dieses Nebeneinander: Denn Orhan Pamuk wurde eher als von Islamisten von radikalen Nationalisten, also von völlig säkular gesonnenen Fundamentalisten einer modernen Staatlichkeit, bedroht - von Ideologen eines westlichen Staates ohne westliche Bürger.

Unsichere Fronten

Und als Salman Rushdie vor einigen Monaten auf Einladung der Schwedischen Akademie in Stockholm auftrat, tat er dies in einer Veranstaltung für Roberto Saviano, dem die Camorra den Tod versprochen hatte. Es kam bei dieser Veranstaltung, intellektuell betrachtet, außer gegenseitigen Komplimenten nicht viel heraus. Das muss auch nicht sein, denn es war allen Teilnehmern der Veranstaltung bewusst, dass Roberto Saviano als Opfer eines ebenso tückischen wie feudalen Gemeinwesens dort saß, das sich in Italien an die Stelle des Staates setzen kann.

Die Botschaft aber war: Die eine Morddrohung ist so unerträglich wie die andere, und jeder, dem etwas an der Freiheit liegt, wird sich gegen sie empören. Doch die Fronten sind, zumindest im Westen, unsicher geworden, zu Recht, und die Tode sind einander am Ende furchtbar ähnlich: Überwinden lässt sich der Fundamentalismus nur, wenn man ihm, aufgeklärt, auf allen Seiten entgegentritt.

© SZ vom 14.02.2009/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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