20 Jahre Babyklappe:"Sie geben, hart gesagt, mit dem Baby ja nur das Symptom ab"

Die Sozialforscherin Claudia Krell über Mütter in Not und die vertrauliche Geburt als Ausweg.

Interview von Edeltraud Rattenhuber

Es ist ein umstrittenes Jubiläum: Vor 20 Jahren wurde in Hamburg die erste Babyklappe Deutschlands eingerichtet. Seitdem wurden alleine dort 56 Neugeborene von ihren Müttern anonym abgegeben. Viele andere Babyklappen kamen hinzu, laut Schätzungen sind es zwischen 70 und 100 in Deutschland. Ihre Betreiber beteuern, es gehe vor allem darum, Leben zu retten, und aus ihrer Sicht ist das auch gelungen. Kritiker jedoch sehen keine Anzeichen, dass in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Kindstötungen tatsächlich abgenommen hat. Was sich dagegen feststellen lässt, ist, dass es mehr Kinder gibt, die ohne Kenntnis der eigenen Herkunft aufwachsen. Die Sozialwissenschaftlerin Claudia Krell vom Deutschen Jugendinstitut kritisiert unter anderem die fehlenden rechtlichen Grundlagen für die Babyklappen.

SZ: Die Babyklappe wird als fortschrittlich gepriesen, weil sie viele Leben gerettet habe. Sie stellen das in Frage. Warum?

Claudia Krell: Es gibt in Deutschland keine offiziellen Daten, wie viele Neugeborene pro Jahr tot oder ausgesetzt aufgefunden werden. Man muss die Zahlen über Medienrecherche herausfinden und dafür gezielt Zeitungen durchforsten. Dabei stellt man fest: Diese Zahlen sind seit Einführung der Babyklappen relativ stabil; ein wesentlicher Rückgang ist in den letzten zwei Jahrzehnten nicht erkennbar. Man kann also vermuten, dass die Frauen, die ihre Kinder töten, nicht diejenigen sind, die sonst eine Babyklappe nützen würden.

Babyklappe Karlsruhe

"Für viele Frauen, die sich von ihrem Kind trennen, ist es oft nicht einfach, damit zurechtzukommen", sagt Sozialwissenschaftlerin Claudia Krell. Die Babyklappe Karlsruhe existiert seit 2001.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Warum nutzt eine Frau dann eine Babyklappe?

Das kann 1000 Gründe haben. Es gibt keine bestimmte Gemeinsamkeit, auf die man die Situation der Frauen reduzieren kann, das sind multiple Problemlagen. Was deutlich wird ist: Keine dieser Frauen ist in der Lage, sich angemessene Hilfe zu organisieren. Sie haben einfach nicht genug Vertrauen in ihre Umwelt, um mit jemandem über ihre Schwangerschaft zu sprechen.

Und dann hören sie von einer Babyklappe...

Tatsächlich, in dem Moment, in dem sie diese Idee entwickeln, das Kind anonym abzugeben, erscheint ihnen das sehr attraktiv. Aber: Sie geben, hart gesagt, mit dem Baby ja nur das Symptom ab. Die Ursache, also die Situation, die sie dazu gebracht hat, ihre Schwangerschaft geheim zu halten, alleine ein Kind zu gebären und es anschließend anonym abzugeben, ändert sich nicht. Diese Frauen haben später eher eine Belastung mehr: Aus der Adoptionsforschung weiß man, dass sich durch die Freigabe eines Kindes zur Adoption innerlich etwas ändert. Die Frauen, die ihr Kind in einer Babyklappe abgegeben haben, sind trotz alledem ja Mutter geworden, haben ein Kind geboren. Für viele Frauen, die sich von ihrem Kind trennen, ist es oft nicht einfach, damit zurechtzukommen.

Claudia Krell

Psychologin Claudia Krell, 44, hat über anonyme Geburt und Babyklappen ihre Doktorarbeit geschrieben. Sie arbeitet am Deutschen Jugendinstitut in München.

(Foto: privat)

Welche sicheren Alternativen gibt es denn für Frauen, die ihr Baby anonym abgeben möchten?

Es gibt seit 2014 die Möglichkeit der vertraulichen Geburt, die mit einem Beratungsverfahren verknüpft ist. Die persönliche Hinwendung und der Moment, mit jemanden über das Problem zu sprechen, zeigen den Frauen, dass es andere Lösungen gibt als eine Babyklappe. Das muss nicht heißen, dass die Mutter das Kind behält. Es geht schlussendlich darum, für die Frau und das Kind die beste Lösung zu suchen.

Wie läuft so eine vertrauliche Geburt ab?

Bei der vertraulichen Geburt wird die Frau beraten und begleitet, bleibt aber vorübergehend anonym. Sie entbindet unter einem Pseudonym in einem Krankenhaus, ihre Personendaten werden 16 Jahre lang unter Verschluss gehalten. Das Kind wird in einer Familie untergebracht, die es adoptieren möchte. Nach Ablauf der 16 Jahre kann das Kind den Namen der Mutter erfahren - falls diese nicht Widerspruch dagegen einlegt. Die vertrauliche Geburt stellt eine rechtlich geregelte Alternative zu den anonymen Angeboten dar, wozu auch die Babyklappe zählt. Die Vorteile sind, dass Frauen bestmöglich unterstützt werden und dass ihre Kinder später eine Chance haben, zumindest die Herkunft ihrer biologischen Mutter zu erfahren.

Wo befinden sich eigentlich Babyklappen in Deutschland?

Sie finden sich an unterschiedlichen Standorten, an Kliniken, Kindertagesstätten, aber auch an Privathäusern.

Und das ist erlaubt?

Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, keine Bestimmungen, wie Babyklappen aussehen müssen, wie sie gewartet werden müssen, lediglich Empfehlungen. Auch bei der Frist, wann ein abgegebenes Kind gemeldet wird, gibt es Unterschiede: Beim Auffinden der meisten Kinder werden zeitnah die zuständigen Behörden eingeschaltet. Bei einigen ist es jedoch so, dass sie die ersten acht Wochen nicht bei allen notwendigen Behörden gemeldet werden, um der Frau die Möglichkeit zu geben, es sich noch einmal anders zu überlegen. Ich finde es erstaunlich, dass ein solches Vorgehen in einem Land wie Deutschland möglich ist.

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