Zweiter Weltkrieg und die Folgen:Griechenlands Misere - Deutschlands Schuld

A woman holds a flower during memorial for war time massacre in Greece

Zeugen wider das Vergessen: Angehörige der Opfer der deutschen Besatzer in dem Dorf Distomo kämpfen bis heute um finanzielle Hilfe aus Deutschland - bislang erfolglos.

(Foto: Yannis Behrakis/Reuters)

Löste die Besatzung unter Hitler die griechischen Dauer-Krisen aus? Historiker Mark Mazower legt das in seinem Buch nahe.

Buchkritik von Knud von Harbou

Erst jüngst waren sie wieder Gegenstand einer Medienkampagne, die griechischen Reparationsforderungen gegenüber der Bundesrepublik. Begründet wurden die Ansprüche mit den Schäden, die durch die deutsche Besatzung in Griechenland zwischen 1941 bis 1944 verursacht wurden.

Scheinen die Rechtspositionen beider Seiten immerhin klar zu sein, so herrscht über die Ursachen hierzulande nach wie vor Unkenntnis. Behaglich richtet man sich unter dem touristischen Sonnenschirm ein und belässt es bei der landschaftlichen Schönheit.

Jetzt hat der Verlag S. Fischer eine überarbeitete Ausgabe des Standardwerks des englischen Gräzisten und Zeithistorikers Mark Mazower "Inside Hitler's Greece" (1993) vorgelegt. Zentrale These bleibt, "dass alles, was in Griechenland auf den Zweiten Weltkrieg folgte (...), nur vor dem Hintergrund des totalen Zusammenbruchs von Staat und Gesellschaft zu begreifen ist, den die deutsche Besatzung und ihre tödlichen Folgen mit sich brachten".

Angesichts eines unvorstellbaren Ausmaßes an Mord, Hunger, Ausplünderung und Zerstörung in Griechenland, sieht Mazower als ursächlich das deutsch-italienischen Bündnis. Dieses und nicht, wie lange behauptet, die Alliierten, bedingten als Reaktion die Entstehung der großen linken Widerstandsbewegung EAM (Griechische Nationale Befreiungsfront) und ihres militärischen Ablegers ELAS.

Als nach Mussolinis versuchter Invasion ohne klare Kriegsziele Hitler zu Hilfe kam und im April 1941 seinerseits Griechenland okkupierte, entstand ein Machtvakuum. Das "Dritte Reich" wollte die Griechen nur als Lieferanten für Rohstoffe, Nahrung und Arbeitskräfte, nicht aber, wie ursprünglich vorgesehen, als politische Partner, dazu waren sie Hitler strategisch zu gleichgültig. Deshalb strebten Berlin und in minderem Maße Rom eine bewusst schwache Athener Regierung an, was zur Folge hatte, dass innerhalb weniger Monate die griechische Volkswirtschaft kollabierte.

Mörderische Logik

Um zu überleben, schlossen sich die Griechen zunächst spontan zusammen, woraus als soziales Phänomen die Widerstandsbewegung, insbesondere die EAM/ELAS, erwuchs. Sie und ihre Verankerung zumeist im dörflichen Hinterland, wurde mit der gleichen mörderischen Logik von Gewaltexzessen und Terror überzogen, wie zuvor schon jene Bewegungen in Polen und der Ukraine.

Mazower beschreibt diese Vorgehensweise anhand vieler unbekannter Einzelbegebenheiten, die Einblick in die tief verinnerlichte Täterideologie geben. Dazu zählen auch die skrupellosen und mit beträchtlichem Aufwand betriebenen Deportationen von Juden, allein 60 000 aus Saloniki.

Umgekehrt ließ der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung bis hin zu gezieltem Verhungern den Widerstand rapide anwachsen; die EAM/ELAS zählte nach eigenen Angaben 1944 mehr als eine Million Mitglieder.

Hermann Görings Vierjahresplan sah eine Versorgung der Griechen nur an letzter Stelle aller besetzten Länder vor, was die Griechen selbst produzierten, wurde konfisziert. Die Stimmung eskalierte nicht nur wegen dieser Umstände, sondern auch, weil die Deutschen begannen, die bereits angedrohte zivile Mobilmachung umzusetzen.

POB Politisches Buch cover für ET 11.7.2016

Mark Mazower: Griechenland unter Hitler. Das Leben während der deutschen Besatzung 1941-1944. Übersetzt von A. Emmert, J. Pinnow und U. Schäfer. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016. 528 Seiten, 29,99 Euro. E-Book: 26,99 Euro.

Das löste am 5. März 1943 einen Generalstreik aus, mit der Folge, dass das verunsicherte NS-Regime den mit den Deutschen kollaborierenden Royalisten Ioannis Rallis als Ministerpräsidenten einsetzten, um der Situation Herr zu werden.

Der Einfluss der EAM war in den Städten deutlich spürbar geworden, genauso wie auf dem Land, wo sich Partisanenverbände, sogenannte Andarten, unter Führung der ELAS konstituierten. Sie machten eine Kontrolle über den Nordosten, das Zentrum und den Südwesten Griechenlands fast unmöglich.

Blindwütige Sühne- oder Vergeltungsmaßnahmen

Wie sehr die Partisanen der Wehrmacht zu schaffen machten, zeigte sich an den blindwütigen Sühne- oder Vergeltungsmaßnahmen, die mit den Namen der Dörfer Kalavryta, Klissoura, Distomo verbunden, abseits aller Kategorien von Schuld und Unschuld nur dem blanken Terror dienten.

Anhand des kleinen westgriechischen Dorfes Kommeno im August 1943 ermittelt das Buch detailliert alle Vorgänge einer solchen Auslöschung. Diese "Säuberungen" eskalierten sprunghaft, so dass ganze Regionen verwüstet wurden, es blieb das aus dem Russlandkrieg bekannte "tote Land". Keines der Opfer wurde je entschädigt.

Auftrieb erhielt der Widerstand besonders durch die sich abzeichnende deutsche Niederlage und die Auflösungserscheinungen der verbliebenen italienischen Heeresverbände nach dem Putsch gegen Mussolini Ende Juli 1943. Der sich so zuspitzenden Lage planten SS und SD mittels der bewährten Kriegsführung der verbrannten Erde zu begegnen.

Sehr deutlich zeichnet Mazower die Strukturen der Besatzungsbürokratie in Kooperation zwischen SS, Wehrmacht und Auswärtigem Amt. Immer stärker sah sich diese mit den fest verankerten Widerstandszentren, besonders in Nordgriechenland, konfrontiert.

Schon von jeher nur lose mit dem Zentralismus verbunden, nicht nur geografisch, sondern auch mangels Identifikation mit der herrschenden bürgerlichen Schicht, entwickelten die ländlichen Gebiete und Kommunen zusehends neue volksdemokratische Strukturen. Seit 1943 waren die politischen Fraktionen klar aufgespalten: ein bürgerlich-royalistischer Block und die Republikaner, die sich im Antikommunismus einig waren, sowie die Kommunisten, deren Bedeutung seit 1942 kontinuierlich sank.

Dazwischen die Deutschen, die ihre Sicherheitsbataillone gegen die Engländer positionieren, letztlich aber nur Allianzen gegen die Kommunisten schmieden wollten. "Das Land polarisierte sich immer mehr, der moderate Nationalismus verschwand."

Je nachdem schlossen sich die Griechen als kleinerem Übel entweder den Deutschen an, die ihre Vorherrschaft in Mittelgriechenland und auf dem Peloponnes brutal festigen wollten oder es kämpften nationalistische Einheiten im Norden direkt gegen kommunistische Hochburgen. Im Sommer 1944 versank Athen beinahe komplett in Anarchie. Die meisten Bewohner waren so erschöpft, dass sie jeden unterstützten, der ihnen ein Ende der Gewalt versprach. "Wir sind von der Geschichte ausgelaugt."

Deutsches Beschweigen und Abhängigkeit von der deutschen Wirtschaft

Über diesen Fleckenteppich verschiedener Interessen und nicht endender Grausamkeiten ist viel geschrieben worden. Mark Mazower zeichnet hier feinfühlig in einer glänzenden Übersicht die Positionen nach. Stabilisieren sollte sich die innenpolitische Lage nicht: Nach dem überhasteten Abzug der Deutschen 1944 fungierten englische Truppen und die EAM/ELAS noch am ehesten als Kräftezentren. Die Linke hatte dem überlegenen englischen Militär nichts entgegenzusetzen. Ihre Niederlage in Athen war nur das Vorspiel zu einem rechten Terror in den urbanen Regionen.

Antikommunistische Politiker eroberten mit US-Hilfe und Unterstützung der Engländer die Macht zurück, die sie während der Besatzung verloren hatten. In den Bergen hingegen formierten sich die Andarten neu in einer Bewegung, die für die von den Briten gesteuerte Regierung zu großer Bedrohung erwuchs. Wenigstens in Athen hatten die Alliierten ihr Ziel einer Restauration der konservativen Eliten erreicht.

POB Politisches Buch cover für ET 11.7.2016

Katerina Králová: Das Vermächtnis der Besatzung. Deutsch-griechischen Beziehungen seit 1940. Aus dem Griechischen von Odysseas Antoniadis und Andrea Schellinger. Böhlau-Verlag, Köln 2016. 283 Seiten, 29,99 Euro.

Mazower illustriert das Leben während der Besatzungsherrschaft mit Aussagen Überlebender. Die tschechische Historikerin Katerina Králová greift in ihrer sehr lesenswerten Studie diese für Griechen unvergessene Erinnerung auf, konfrontiert sie mit dem deutschen Beschweigen und entwickelt aus dieser Asymmetrie eine Geschichte der bilateralen Beziehungen: Über die Restauration in Griechenland nach dem Krieg, die Abhängigkeit von der deutschen Wirtschaft, die unterlassene Strafverfolgung der NS-Täter und höchst aktuell die Debatte über die Reparationsansprüche.

Der frühere SZ-Feuilletonredakteur Knud von Harbou ist Historiker und veröffentlichte 2015 ein Buch über die Gründungsgeschichte der SZ ("Als Deutschland seine Seele retten wollte").

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