Zinsen:Umkehren, Herr Draghi

Die Inflation in Deutschland steigt, doch die Sparer bekommen weiter kaum Zinsen. Das schürt den Zorn auf die EZB. Verliert sie ihre Glaubwürdigkeit in Deutschland, gerät das ganze europäische Pojekt in Gefahr.

Von Marc Beise

Statistik ist dröge, aber manchmal haben amtliche Zahlen dann doch ein Alarm-Potenzial: Dass beispielsweise die Inflation, also die Geldentwertung, zum Jahreswechsel auf 1,7 Prozent gestiegen ist, hat in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Dabei war das zu erwarten, seit Monaten ziehen die Preise an, und zuletzt haben vor allem die Energiepreise zugelegt. Wenn aber Tanken und Heizen teurer wird, dann merken das Statistik und Verbraucher sehr schnell. Der nun bekannt gewordene Dezember-Wert war kein Ausrutscher, im Gegenteil: Es wird wohl so weitergehen.

Das müsste normalerweise kein Anlass zur Besorgnis sein, eine maßvolle Inflation - die Rede ist oft von bis zu zwei Prozent - gilt als Merkmal einer wachsenden Volkswirtschaft. Früher und auch zu Zeiten der D-Mark war die Geldentwertung in Deutschland häufig wesentlich höher. Ungewöhnlich wird es aber, wenn dieser Anstieg, wie zurzeit, mit einem anderen Umstand zusammenkommt: mit extrem niedrigen Zinsen.

Die EZB darf das Vertrauen der Deutschen nicht verspielen

Wenn die Zinsen niedriger sind als die Inflation, verliert der Sparer real Geld. Und Deutschland ist bekanntlich ein Volk von Sparern. Mehr als fünf Billionen Euro horten die Deutschen, große und kleine Summen, häufig ist es die mühsam zusammengesparte Altersversorgung. Bei einer Inflationsrate von 1,5 Prozent - ungefähr damit ist übers Jahr 2017 zu rechnen - gehen rein rechnerisch bei null Zinsen von diesen fünf Billionen Euro 75 Milliarden an Wert verloren. Jährlich.

Entsprechend groß ist die Aufregung all jener, denen das Wohl des Sparers am Herzen liegt. Dazu gehören viele bald wahlkämpfende Politiker. Ehrlich besorgt oder kalt kalkulierend greifen sie gerne zur ganz großen Münze. Eine "Enteignung von Sparern" wird behauptet, was völlig überzogen formuliert ist, weil das Wort Enteignung gezielte staatliche Eingriffe bezeichnet.

Verursacher der Gemengelage höhere Inflation/niedrige Zinsen ist aber nicht der Staat, also nicht die Regierung oder der Gesetzgeber, schon gar nicht "Frau Merkel", die für vieles und jetzt auch für die Leiden der Sparer verantwortlich gemacht wird, sondern eine unabhängige Institution, die einmal auf Druck der Deutschen genau so unabhängig verfasst worden ist: die Europäische Zentralbank (EZB) als Hüterin der europäischen Währung. Sie fährt unter ihrem Präsidenten Mario Draghi seit Jahren einen Kurs des ganz leichten Geldes und hat - mit anderen Notenbanken der Welt - aus Sorge um die Weltwirtschaft so viel Geld geschaffen, dass der Mechanismus des Zinses weitgehend außer Kraft gesetzt ist.

Diese Politik war immer umstritten. Doch es gab anfangs gute Argumente für sie. Nicht zuletzt ist durch Draghis beherztes Agieren ("Wir werden alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.") die Eurokrise 2012 entschärft und damit eine zweite, mutmaßlich noch schlimmere Weltfinanzkrise nach der Bankenkrise zuvor verhindert worden. Dabei hat die EZB stets das Problem, dass sie die Verhältnisse im ganzen Euro-Raum ausgleichen muss. Der Kauf von Staatsanleihen von Krisenländern war, ebenso wie die Rettungspakete der Regierungen, auch ein Stück europäische Solidarität.

Sich mit dieser Politik anzufreunden, fiel den wirtschaftsstarken Deutschen leichter, solange auch die Inflation niedrig lag, zeitweise wurde ja sogar eine Deflation, also das Sinken der Preise, befürchtet. Und man darf auch nicht vergessen, dass nicht jeder verliert: Für Kreditnehmer, die zum Beispiel eine Wohnung oder ein Haus kaufen wollen, sind niedrige Zinsen eine feine Sache.

Nun aber wächst die Inflation, und mit ihr wird in den kommenden Monaten der Druck derer massiv steigen, die von der EZB eine Umkehr fordern, ein vorsichtiges Rückfahren der Anleihekäufe. EZB-Präsident Draghi sieht bei der Abwägung der Argumente für seine Politik immer noch mehr Vorteile als Nachteile - aber da täuscht er sich. Wenn in der maßgeblichen Volkswirtschaft der Widerstand derart wächst und nun sogar noch stärker wird, dreht sich das Bild.

Die EZB darf es sich nicht leisten, ausgerechnet in Deutschland ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Dass eine Stimmung gegen Europa so stark werden kann, dass sie in staatliches Handeln mündet, hat der Brexit gezeigt, der Einstieg in den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Wer in Frankfurt am Main, dem Sitz der EZB, mit europäischem Weitblick die Augen vor dem Zorn von immer mehr Bürgern im Gastland verschließt, gefährdet am Ende das ganze europäische Projekt.

Manche Deutsche mögen das sogar erhoffen. Wer aber "Deutschland alleine" im Sinn hat, denkt leider politisch nicht bis hinter die nächste Wegbiegung.

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