Zensur in China:Der Schüttel-Wen

Ein Kabarettist verulkt Chinas Premier Wen Jiabao auf offener Bühne - und das Volk darf lachen. Ein kritisches Buch aber über den Staatschef konnte nur in Hongkong gedruckt werden und bleibt im restlichen Land verboten.

Henrik Bork

Was in China verboten ist und was erlaubt, was geht und was nicht geht, das ist oft verwirrend. Die Zensur ist launisch. Chinas Premier Wen Jiabao steht derzeit unfreiwillig mitten auf dieser Linie - ein Bein links, ein Bein rechts davon, könnte man sagen. Die Nation darf gerade über einen Kabarettisten lachen, der den Premier auf offener Bühne verulkt. Ein Buch aber, das den Premier kritisiert, konnte vergangene Woche nur in Hongkong gedruckt werden und bleibt im Rest des Landes verboten.

Newly released copies of 'China's Best Actor: Wen Jiabao' are displayed at a bookstore in Hong Kong

In seinem Buch "Wen Jiabao, Chinas bester Schauspieler" kritisiert Yu Jie den chinesischen Premier. Deshalb durfte es vergangene Woche nur in Hongkong in Druck gehen. Die Staatssicherheit hatte ihm zuvor eine langjährige Gefängnisstrafe angedroht, berichtete Yu Jie.

(Foto: REUTERS)

Das Satirestück des Kabarettisten Zhou Libo kursiert auf einem Video im Internet. Es ist nicht neu, sondern die Aufzeichnung einer Aufführung, mit der Zhou im vergangenen Jahr in Shanghai das Publikum zum Lachen brachte. In diesem Sommer aber hat das Video Kultstatus erreicht. Und die Zensur lässt es zu. Der Kabarettist imitiert den Premier, der den Opfern einer Flutkatastrophe die Hände schüttelt. Im wirklichen Leben ist dies eine Spezialität Wen Jiabaos, der so aktiv wie kaum ein anderer chinesischer Kommunist an seinem Image feilt. Bei vielen Katastrophen ist Wen nach wenigen Stunden vor Ort, schüttelt Betroffenen die Hand, nie ohne mit einem Auge in die Fernsehkameras zu schielen.

"Wir können unseren Premier häufig im Haus von Bauern sehen, und er sucht sich immer die dreckigste Hand aus, um sie zu schütteln", sagt Zhou mit ernstem Gesicht und gespielter Anerkennung in der Stimme. Wen sei "einer seiner liebsten Landesführer", sagt er mit subtiler, jedoch unverkennbarer Ironie. Dann schlüpft er in die Rolle des Premiers. Er imitiert die Gestik und Mimik Wen Jiabaos und murmelt "Wir sind zu spät gekommen!". Das Publikum lacht und johlt.

Chinas Kommunistische Partei arrangiert noch immer sorgsam jeden öffentlichen Auftritt ihrer Führer. Bei Pressekonferenzen werden nur zuvor ausgewählte Fragen zugelassen. Medien ist nur die Verbreitung gefilterter Sprechblasen gestattet. Da ist allein die leibhaftige Verkörperung eines Parteifürsten eine kleine Sensation. Zhou Libo wage sich als erster Kabarettist des Landes auf das glatte Parkett der Politik, bemerkte die Zeitung Südliches Wochenende. Für die Meinungsfreiheit in China ist es ein Fortschritt, vergleichbar dem in Russland nur vorübergehend geduldeten Putin-Puppentheater des Viktor Schenderowitsch.

Das Buch "Wen Jiabao, Chinas bester Schauspieler" des Pekinger Autors Yu Jie hingegen durfte vergangene Woche nur in Hongkong in Druck gehen. Die Staatssicherheit hatte ihm zuvor eine langjährige Gefängnisstrafe angedroht, berichtete Yu Jie kürzlich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Es gibt nur ein Ziel für alles, was Wen Jiabao seit seinem Amtsantritt getan hat, und das ist Schauspielerei", heißt es in dem in Hongkong erschienenen Werk. Der Premier wisse, dass "dieses alte Auto", die Kommunistische Partei Chinas, sonst bald auseinanderfalle, schreibt Yu.

Diese kritische Sicht auf Wen Jiabao ist wohl in China eine Minderheitsmeinung. Viele Chinesen haben sich das öffentlich geförderte Bild eines volksnahen, wahrhaft um die einfachen Menschen bemühten Premiers zu eigen gemacht. Frühere Mitarbeiter sagen, Wens demonstrativ zur Schau gestellte Empathie sei echt. Für Chinas Zensur geht dennoch jede Kritik zu weit, die nicht mit einem Augenzwinkern daherkommt. So bleibt es vorerst dem Kabarettisten Zhou Libo vorbehalten, den Kult um Chinas Parteiführer ein klein wenig aufzuweichen.

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