Wohnen als Rentner:Schöne Aussichten

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Viele Menschen befürchten, im Alter ihre Mieten nicht bezahlen zu können. Sozialverbände rügen, dass der Staat zu wenige Wohnungen für Bedürftige baut. Eine Privatinitiative hat einen Ausweg.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Niedrige Rente, teure Stadt: Trotz schlechter Voraussetzungen haben Delia Brinkmann (links) und ihre Freundin in München eine neue Bleibe gefunden. Jede hat eine eigene, von der Stadt geförderte Wohnung, doch leben sie und acht andere Frauen in Gemeinschaft und wollen gemeinsam alt werden. (Foto: Corinna Guthknecht)

Eigentlich hatte sie im Alter noch einmal etwas wagen wollen. Weil sie wusste, dass ihre Rente für eine Mietwohnung im teuren München kaum ausreichen würde, dachte sie ursprünglich daran wegzuziehen, in den Norden oder Osten Deutschlands, dorthin, wo es billiger ist. "Mein Traum war eine größere Wohnung, in Görlitz oder in Brandenburg", erzählt die 67-jährige, die hier Renate Beier heißen soll. Ein Film über ein Rentnerehepaar, das auf dem Land noch einmal neu anfing, hatte sie darauf gebracht. Die beiden hätten "für ein Butterbrot ein Haus mit Wiese gekauft", erzählt sie. Er war Arzt, weshalb die beiden mit offenen Armen empfangen wurden. Alles perfekt, das pure Idyll.

Als Renate Beiers Rente näher rückte, sah es jedoch nicht nach einem Happy End aus. Ganz im Gegenteil, es wurde plötzlich dramatisch. Damals lebte sie noch in einer Betriebswohnung in der Klinik, für die sie gearbeitet hatte. "Ich wusste, dass ich zu Beginn der Rente raus muss", erzählt sie. Aber es ging nicht. Wegen familiärer Angelegenheiten war sie nicht in der Lage, sich um den Umzug zu kümmern, von Görlitz war da schon nicht mehr die Rede. Immer wieder bekam sie netterweise eine Verlängerung, durfte in der Betriebswohnung bleiben, doch irgendwann hieß es: Zwangsräumung. Es ging letztlich gut aus, heute hat die Rentnerin eine neue Wohnung, nette Nachbarinnen und konnte in ihrem sozialen Umfeld bleiben. Doch der Schock darüber, wie es gehen könnte, sitzt tief.

VdK-Präsidentin Bentele kritisiert den Verkauf riesiger staatlicher Wohnungsbestände an Investoren

Wer eine geringe Rente hat, kann heutzutage leicht in eine so dramatische Situation kommen wie Renate Beier. Mietsteigerungen machen immer mehr Menschen in Deutschland Angst. Sie fürchten, dass sie sich ihre Wohnungen im Alter nicht mehr leisten können - vor allem wenn sie allein leben und eine geringe Rente haben. Heute 50-Jährige zweifeln zu Recht, ob sie ihren Lebensstandard im Alter noch halten können. Jüngst stellten das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) in einer gemeinsamen Studie fest, dass die steigenden Mieten in den vergangenen Jahren für immer mehr Rentnerinnen und Rentner zu einem existenziellen Problem geworden sind. Bereits 38 Prozent der Haushalte von Mietern über 65 Jahren gelten als "überbelastet", das heißt, sie verwenden mindestens 40 Prozent ihres monatlichen Haushaltseinkommens für die Miete.

Und das Problem wird sich verschärfen, weiß Laura Romeu Gordo. Die aus Spanien stammende Sozialwissenschaftlerin ist stellvertretende Leiterin des DZA in Berlin. Als sie vor 20 Jahren nach Deutschland kam, war sie überrascht, wie viele Menschen hier zur Miete leben. In Spanien sei die Eigentumsquote schon immer viel höher gewesen, erzählt sie. Auch weil sich die Spanier nie auf ihre Rente hätten verlassen können, hätten sie während ihres Berufslebens alles daran gesetzt, Wohneigentum zu kaufen. Aber in Deutschland hätten Rentenhöhe und Miethöhe vor 20 Jahren noch einigermaßen zusammengepasst. Jetzt ist das anders, und der Trend geht in eine unheilvolle Richtung, wie ihr Institut ausgerechnet hat. "Ideal wäre, dass die Mieten für alle bezahlbar sind", sagt Romeu Gordo. "Es sieht aber so aus, als wäre das nicht für alle möglich." Daher muss aus ihrer Sicht der Erwerb von Eigentumswohnungen stärker gefördert werden. Das greife aber nur bei jungen Menschen, nicht mehr bei den heutigen Alten. Für diese fordert Romeu Gordo mehr Investitionen in den Sozialwohnungsbau, dabei vor allem in Wohnungen, die für alte Menschen geeignet sind.

Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, ist derselben Meinung. Ihrer Ansicht nach wird viel zu wenig dafür getan, Wohnraum bezahlbar zu machen. "Den Mietmarkt nur durch die Mietpreisbremse allein zu regulieren, das reicht nicht aus, das haben wir jetzt gesehen", sagt sie. Bentele fordert sozialen Wohnungsbau, und zwar mit einer dauerhaften, nicht nur einer zeitweisen Sozialbindung. "Viele reden davon, aber im vergangenen Jahr wurden nur insgesamt 27 040 Sozialwohnungen gebaut. Da ist ein riesiger Bedarf da, nicht nur bei Rentnern, auch bei jungen Familien, Alleinerziehenden, Menschen mit geringem Einkommen, Menschen mit Behinderung, Arbeitslosen, Studenten."

Bentele fordert überdies, dass auch mehr Sozialwohnungen vom Staat selbst gebaut werden, und nicht nur auf private Investoren gesetzt wird. Bund, Land und Kommunen könnten "die sozialen Kriterien am besten erfüllen". Es müssten alle staatlichen Stellen zusammenarbeiten, "das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Besonders kritisiert Bentele, dass in den vergangenen Jahren riesige Wohnungsbestände an private Investoren verkauft worden seien. Wer wirklich ernsthaft sozialen Wohnungsbau betreiben wolle, müsse zudem dafür sorgen, dass die Mieten deutlich reduziert würden - "oder zumindest nicht mehr anstiegen."

In den Frauen-Wohngruppen wird oft gemeinsam gekocht - auch um Geld zu sparen

Irmgard Schwaetzer kennt das Problem der Mietfalle im Alter, wendet sich aber gegen die aus ihrer Sicht alten Rezepte. Die ehemalige Bundesbauministerin von der FDP ist heute Präses der Evangelischen Kirche Deutschlands und warnt davor, im Sozialwohnungsbau zu viel "Sozialfürsorgetouch" hineinzubringen, "nach dem Motto: Wer über 60 ist, den muss man betüteln". Das müsse man überhaupt nicht - sondern "ganz normale, gut geschnittene, allerdings auch für Rollstühle geeignete Wohnungen gruppenweise, in einem Hausaufgang nebeneinander" anbieten. So hätten Rentner und Rentnerinnen die Möglichkeit, sich quasi als Wohngemeinschaften zu helfen und aufeinander achtzugeben, "gegen die Vereinsamung im Alter". Kommunale Wohnungsunternehmen oder soziale Träger müsse man motivieren, solche altengerechte Wohnungen zur Verfügung zu stellen, sagt Schwaetzer. Es gebe eine ganze Menge Vorgaben, die eine Stadt ihren eigenen sozialen Trägern machen könne, damit sie Wohnungen an Menschen mit geringem Einkommen vermieten. Und Grundstückseigentümer könnten von der Kommune verpflichtet werden, sozialgebundene Wohnungen zu festgesetzten Preisen anzubieten. Schwaetzer kritisiert, dass solche Baugebote, obwohl sie seit Anfang der Neunzigerjahre möglich seien, "kaum in Anspruch genommen werden". Das liege auch daran, dass Menschen mit geringer Rente, zumal wenn sie mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssten, immer ein Risiko für den Vermieter darstellten. Doch gerade in diesem Bereich müsse sich etwas tun, damit das Angebot größer werde. Dann würden auch die Preise wieder runtergehen, hofft sie.

Renate Beier hat eine solche Wohnung bekommen, 40 Quadratmeter, ein Zimmer, Küche, Bad, eine geförderte städtische Wohnung. Und mit ihr neun andere Frauen. Zum Beispiel Delia Brinkmann. Sie war Hauswirtschafterin in Privathaushalten, irgendwann habe man ihr gesagt, sie sei zu alt für den Job. Ein Schlaganfall kam hinzu. Jetzt lebt die 61 Jahre alte Rentnerin mit Renate Beier und weiteren Frauen in einer "sorgenden Gemeinschaft", wie Brinkmann das nennt. Möglich gemacht hat dies das ehrenamtliche Engagement von Christa Lippmann - die vor 28 Jahren gemeinsam mit anderen den Verein "Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter" gegründet hat und seitdem dessen Vorsitzende und Motor ist. Damals hätten sich Frauen gefragt, wie wollen wir im Alter leben? Daraus sei ein Graswurzelprojekt entstanden, das mehrere Wohngruppen ins Leben gerufen hat. Jene, in der Renate Beier und ihre Freundinnen leben, wurde erst im April eröffnet. Allerdings ist es nicht die reine, hundertprozentige Freude. "Alle müssen hinzuverdienen", sagt Lippmann über die Frauen. Da deren Rente so gering sei, dass sie weit mehr als 40 Prozent davon für die Miete ausgeben müssten, habe jede von ihnen sogar eine Bürgschaft von Verwandten vorlegen müssen. Dabei würden diese Frauen niemals ihre Miete nicht zahlen, da sei sie sicher. "Die essen lieber weniger", sagt Lippmann. Oder kochen füreinander. "Da kann man ganz schön sparen", sagt Delia Brinkmann.

© SZ vom 10.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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