Wahlrecht:Stimmenfang

Am Ort der sonst so korrekten Bundespressekonferenz fallen Worte wie "Gerontokratie" und "Altherrenclub". Heute fordert hier die Jugend ihr Wahlrecht.

Von Julian Erbersdobler

Im März kettete sich Tracy Osei-Tutu noch in der Kuppel des Bundestags an und schrie: "Wir wollen nicht mehr gezwungen sein, den Erwachsenen in dieser Gerontokratie vertrauen zu müssen." Am Dienstagvormittag geht es deutlich ruhiger zu. Die junge Aktivistin sitzt - diesmal ohne Ketten - im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin auf einer Couch. Gemeinsam mit ihrer Organisation "Demokratische Stimme der Jugend" fordert sie, dass auch unter 18-Jährige wählen dürfen. Links von Tracy Osei-Tutu sitzt Juso-Chef Kevin Kühnert, der zuletzt mit seinen Sozialismus-Thesen auf sich aufmerksam machte. Rechts auf der anderen Couch: Jamila Schäfer, die seit 2018 im Bundesvorstand der Grünen sitzt.

Osei-Tutu, 20, hat eine Petition gestartet, die schon mehr als 50 000 Menschen unterschrieben haben. "Bisher sitzen nur Mama und Papa am Tisch der Demokratie", sagt sie zu Beginn der Pressekonferenz. "Ich finde, Kinder sollten auch an diesem Tisch sitzen." Gerade die Proteste von "Fridays for Future" würden zeigen, dass sich junge Menschen von der Politik übergangen fühlten. So sieht das auch Hermann Heußner. Er ist seit 2006 Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule Osnabrück und veröffentlichte ein Gutachten zum Ausschluss der unter 18-Jährigen bei der Europawahl. Sein Ergebnis: Das sei verfassungswidrig. "Europarechtlich ist das politische Grundrecht der Wahl bei den Wahlen zum Europäischen Parlament an kein Mindestalter geknüpft", heißt es in seinem Gutachten.

Grund genug für die Aktivsten von "Demokratische Stimme der Jugend" den Druck zu erhöhen. Noch während der Pressekonferenz unterschreibt eine 17-Jährige einen Einspruch beim Bundestag gegen das Wählerverzeichnis. Neben der Öffnung des Wahlrechts fordert die Organisation auch einen Jugendrat. Ein Gremium aus jungen Menschen, das den Bundestag berät und im Zweifel auch ein Vetorecht hat.

Kevin Kühnert und Jamila Schäfer finden sich an diesem Vormittag in einer bizarren Rolle wieder. Sie haben die Petition natürlich nicht unterschrieben, finden aber trotzdem schöne Worte. Für Jamila Schäfer ist der Bundestag auch heute noch ein "Altherrenclub". Kühnert sagt, dass es besonders wichtig sei, frühzeitig an die Demokratie herangeführt zu werden. Das sei wie bei einem Instrument.

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