Wachstum statt Sparkurs:Wie Paris die Italien-Wahl nutzt

Präsident Hollande

Präsident Hollandes Wachstumspaket könnte wieder aktuell werden.

(Foto: AFP)

Die Regierung in Paris schlachtet das italienische Wahlergebnis zu ihren Gunsten aus und verschärft damit den Konflikt, der Frankreich und Europa spaltet. Das Ansehen des Landes bei den Anlegern schwindet - und die Glaubwürdigkeit von Präsident Hollande auch.

Von Michael Kläsgen, Paris

Frankreichs Reaktion auf die Wahl in Italien ließ nicht lang auf sich warten. Finanzminister Pierre Moscovici interpretierte das Ergebnis umgehend im Interesse des eigenen Landes. Der Ausgang sei ein Aufruf zu einer stärker auf Wachstum ausgerichteten Politik in Europa, sagte der Sozialist. Europa müsse den Menschen eine andere Perspektive als reines Sparen bieten - und die laute Wachstum.

Staatspräsident François Hollande hatte genau vor einem Jahr Wahlkampf damit gemacht, Europa in eben diese Richtung des Wachstums lenken zu wollen. Weg vom angeblichen Spardiktat der Deutschen, hin zu mehr Konjunkturprogrammen. Doch bald war von seinem "Wachstumspakt" keine Rede mehr, weder in Europa noch in seinem Heimatland.

Mit der Italien-Wahl hat die französische Regierung einen neuen Anlass gefunden, den vermeintlichen Konflikt zwischen Wachstum und Sparen zu schüren. Dabei präsentierte Moscovicis konservative Vorgängerin Christine Lagarde, die heutige Chefin des Internationalen Währungsfonds, vor wenigen Tagen die ersten Belege dafür, dass die Sparpolitik in den Ländern Südeuropas allmählich Früchte trägt.

Sparen und Wachstum gilt als Widerspruch

In Frankreich allerdings ist davon nichts zu spüren. Vielen Menschen gilt Sparen und Wachstum deswegen als Widerspruch. Je nach Rechenart hat das Land in den vergangenen Jahren 60 bis 100 Milliarden Euro gespart. Nicolas Sarkozy fing damit an, er leitete eine Rentenreform ein. Die Sozialisten froren die Gehälter von Beamten ein. Jährlich will die Regierung zwölf Milliarden Euro weniger ausgeben. Kritiker behaupten, das alles reiche längst nicht aus. Die Regierung müsse weiter kürzen, straffen und sieben. Längst kursieren Gerüchte über eine weitere Rentenreform, eine Gesundheitsreform und zusätzliche Sozialabgaben.

Spargegner halten dem entgegen, dass alle bisherigen Maßnahmen nichts geholfen haben. Dritte, wie der Ökonom Patrick Artus, bemängeln, die Regierung habe an der falschen Stelle angesetzt. Statt die Steuern massiv zu erhöhen, hätte sie die Ausgaben kürzen müssen. So habe sie jegliches Wachstum abgewürgt.

Tatsächlich liegt das Land darnieder. Das Wachstum stagniert seit gut einem Jahr und wird auch dieses Jahr gegen null tendieren. Doch ohne Wachstum keine Beschäftigung.

Wirtschaftliche Lage in Frankreich droht sich zu verschlechtern

Die Arbeitslosigkeit steigt seit 21 Monaten. Die Quote überschreitet in den nächsten Tagen die Höchstmarke von 1997. Dabei misst die Statistik nur all jene Menschen, die sofort verfügbar sind und eine unbefristete Festanstellung suchen. Demnach sind es knapp 3,2 Millionen Arbeitslose. Zählt man die hinzu, die Teilzeit oder befristet arbeiten wollen, sind es schätzungsweise 5,4 Millionen Menschen, die einen Job suchen. Ihre Steuern und Sozialbeiträge fehlen, um die öffentliche Verschuldung zu verringern. Die ist mit gut 90 Prozent so hoch, dass sie das Wachstum behindert. Frankreich droht, in einen Teufelskreis von Nullwachstum, Rekordverschuldung und Reformstau zu geraten. Das Land gilt deswegen als Wackelkandidat in Europa.

Noch genießt es das Ansehen der Anleger in der Welt. Das zeigt sich darin, dass die Kreditzinsen für seine Staatsanleihen vergleichsweise niedrig sind und nur etwas über den deutschen liegen. Das Land ist einstweilen noch ein "sicherer Hafen" für Investoren, auch mangels Alternativen in Europa. Die Lage könnte sich allerdings rasch verschlechtern, wenn das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der Reformbemühungen verloren geht.

Hollande glaubt nicht mehr an Trendwende auf dem Arbeitsmarkt

Erste Anzeichen dafür gibt es. Dass Frankreich dieses Jahr das Defizit-Kriterium von drei Prozent der Wirtschaftsleistung verfehlen wird, ist inzwischen offiziell. An ihrem Ziel, bis zum Ende der Legislaturperiode 2017 einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen, hält die Regierung zwar fest. Viele Beobachter zweifeln aber längst daran, dass sie dieses Versprechen einhalten wird.

Hollandes Glaubwürdigkeit beginnt zu bröckeln. Am Wochenende räumte er indirekt ein, dass es dieses Jahr wohl doch nicht mehr gelingen wird, die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Bereits im Februar ein derartiges Eingeständnis zu machen, zeuge von Resignation, zischte die Opposition. Selbst auf der Linken fürchten manche, Hollande werde angesichts der desolaten Situation ein weiteres Versprechen brechen müssen und dieses Jahr noch einmal die Steuern erhöhen. Dabei liegt die Abgabenquote in Frankreich so hoch wie in kaum einem anderen Land in Europa.

Zusätzliche Steuern würden das Land in die Rezession stürzen, warnen Ökonomen. Aus deutscher Sicht mag es verwunderlich erscheinen, aber dass eine moderate Lohnpolitik in der Industrie helfen könnte, Arbeitsplätze zu sichern, ist in Frankreich kein Thema. Die Entscheidungsträger, rechts wie links, wissen, dass die Unternehmen seit 20 Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dennoch ist ihnen bisher kein Rezept dagegen eingefallen. (Lohn-) Verzicht zu predigen, und sei es nur vorübergehend, hat bisher kein Politiker gewagt. Niemand erwartet, dass François Hollande es tun wird. Der Ruf nach mehr Wachstum ist hingegen allzeit opportun.

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