Verfassungsgericht:Grober Klotz, grober Keil

Wie scharf darf die Regierung Parteien kritisieren? Bundesministerin Johanna Wanka wehrt sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine Klage der AfD. Doch ihre Chanchen auf einen Sieg in Karlsruhe stehen nicht allzu gut.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war, wenn man so will, der Tag der Volksweisheiten im Bundesverfassungsgericht. "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus": Das war am Mittwoch die Verteidigungslinie von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) gegen eine Klage der AfD - prägnant zusammengefasst von Verfassungsrichter Peter Müller. Verfassungsrichterin Christine Langenfeld setzte ein hörbares Fragezeichen: "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil?" Müsste ein Regierungsmitglied nicht besonders sachlich auf einen Angriff reagieren? Nein, entgegnete Wankas juristischer Beistand Joachim Wieland. "Angriff ist die beste Verteidigung."

Wie das so ist mit Volksweisheiten: Meistens stimmen sie nur so ungefähr, und manchmal liegen sie komplett daneben. Der Disput, der nun in Karlsruhe beurteilt wird, ging so: "Rote Karte für Merkel - Asyl braucht Grenzen", lautete der Aufruf der AfD zu einer Demonstration am 7. November 2015 in Berlin, also auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Das war der Ruf in den Wald, und der Wald antwortete in Person von Johanna Wanka - auf der Homepage ihres Ministeriums. Die Überschrift paraphrasierte die AfD ("Rote Karte für die AfD"), im Text ging es zur Sache: "Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung." Grober Klotz, grober Keil.

Es sieht aus, als würde die AfD in ihrem ersten großen Karlsruher Verfahren einen Sieg davontragen

Wanka erläuterte in Karlsruhe, dass sie sich trotz der Neutralitätspflicht von Amtsinhabern dazu berechtigt sah, gerade auch als Regierungsmitglied. Die AfD habe angesichts dieser großen Belastungsprobe, die auf Deutschland zugekommen sei, die Ängste der Bevölkerung instrumentalisiert. "Ich habe mich persönlich empört und darauf reagiert." Wieland fügte hinzu, die AfD habe der Kanzlerin zudem Verfassungsbruch vorgeworfen - der schlimmste Vorwurf überhaupt. Da müsse einem Regierungsmitglied ein "Recht auf Gegenschlag" in gleicher Tonlage erlaubt sein, schon um in der Lautstärke der Internetkommunikation nicht unterzugehen. Es könne nicht sein, dass eine Regierung dies "mit gefesselten Füßen" schweigend hinnehmen müsse.

Ein Recht auf Gegenschlag? Im Zweiten Senat überwogen die Zweifel. Die Regierung werde doch andauernd angegriffen, merkte Peter Huber an: Wo seien da die Grenzen eines angeblichen Rechts auf Gegenschlag? "Was bleibt dann vom Sachlichkeitsgebot und der Neutralitätspflicht der Regierung übrig?", sekundierte seine Kollegin Doris König. Denn gerade mal ein Jahr vor Wankas Gegenangriff hatte das Verfassungsgericht sehr deutlich formuliert, wo die Grenzen regierungsamtlicher Verlautbarungen im politischen Meinungskampf verlaufen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hatte so eine Art Anti-NPD-Aufruf formuliert - allerdings nicht via Pressemitteilung, sondern in einem Zeitungsinterview. Sie bekam in Karlsruhe zwar Recht, weil eine Ministerin immer auch Parteipolitikerin ist und deshalb nicht mit einem Maulkorb durch die politische Debatte laufen muss. Weil aber ein Einsatz des mächtigen Regierungsapparats gegen eine kleine Partei die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verzerren würde, markierte Karlsruhe eine klare Grenze. Sie sei insbesondere dann überschritten, "wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt". Besonders problematisch: "Amtliche Verlautbarungen" in Form von Pressemitteilungen auf den offiziellen Internetseiten der Regierung.

Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet. Es sieht ganz danach aus, als würde die AfD in ihrem ersten großen Karlsruher Verfahren einen Sieg davontragen. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, immer um praktikable Lösungen bemüht, merkte noch an, dass die Regierung dann gleichwohl nicht mit "gefesselten Füßen" dastünde; der Gang in die Talkshow, das Interview in der Tageszeitung, all das bleibe möglich. Nur auf den offiziellen Kanälen müsse die Regierung vielleicht doch mehr Zurückhaltung wahren. "Damit sie nicht so aus dem Wald herausruft, wie es hineinschallt."

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