Gaza-Krieg:Wenn Schulen zum Angriffsziel werden

Schule in Rafah

Ein UN-Mitarbeiter nach dem Angriff auf die Schule in Rafah im südlichen Gazastreifen.

(Foto: REUTERS)

Wurden unschuldige Kinder getroffen? Oder Hamas-Terroristen und ihre Waffenlager? Israel hat erneut eine Schule der Vereinten Nationen im Gazastreifen bombardiert. Ban Ki Moon nennt das "Wahnsinn". Das Verhältnis zwischen Israel und den UN droht noch schlechter zu werden.

Von Martin Anetzberger und Matthias Kolb

Die Worte sind eindeutig. "Dies ist ein Skandal in moralischer Hinsicht und ein Verbrechen", sagt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über den Angriff auf die UN-Schule in Rafah an diesem Sonntag. Die Bombardierung durch die israelische Armee stelle einen "erneuten flagranten Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht" dar, sagt Ban. Er forderte zwei Dinge: "Dieser Wahnsinn muss aufhören", und Israel und die Hamas müssten die Gewalt beenden und in Kairo über ein Friedensabkommen verhandeln.

Ähnlich äußert sich Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Sozialdemokrat nennt den dritten Beschuss von UN-Schulen im Gazastreifen innerhalb von zehn Tagen ein Verbrechen: "Ich finde kein anderes Wort dafür." Damit zweifelt auch ein EU-Außenminister die israelische Argumentation an, wonach das Recht auf Selbstverteidigung diese Angriffe erlaube.

Israel betont, dass seine Streitkräfte in Rafah drei "Terroristen" des Islamischen Dschihad attackiert hätten, die auf einem Motorrad nahe der Schule unterwegs gewesen seien. In Presse-Statements und Tweets wird der Vorwurf wiederholt, die Hamas nutze die Schulgebäude als Waffenlager oder feuere aus deren unmittelbarer Nachbarschaft Raketen ab.

In der US-Talkshow "Face the Nation" bestätigte Pierre Krähenbühl, der Schweizer Leiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), dass seine Organisation in Schulen Waffenlager der radikalen Palästinenserorganisation gefunden habe (Transkript hier). Dies sei völlig "inakzeptabel" und werde "uneingeschränkt verurteilt". Dennoch steht für Krähenbühl fest: So lasse sich die Bombardierung durch Israel nicht rechtfertigen - gerade in einem so dicht besiedelten Gebiet wie dem Gazastreifen.

245 Schulen für mehr als 200 000 Kinder

Das UN-Hilfswerk UNRWA wurde 1949 gegründet - ursprünglich als zeitlich beschränktes Programm. Es wurde jedoch stets verlängert und hat nun eine Laufzeit bis Juni 2017. Die UNRWA betreibt allein im Gazastreifen 245 Schulen mit mehr als 220 000 Schülern. Auf dem Lehrplan stehen neben Menschenrechten auch Zusatzstunden für Arabisch und Mathematik sowie Freizeitprogramme im Sommer. Krähenbühl zufolge haben in 90 der Bildungseinrichtungen fast 260 000 Flüchtlinge Zuflucht gefunden. "Einige dieser Menschen haben Anweisungen von den israelischen Streitkräften bekommen, die Viertel zu verlassen, in denen sie leben. Andere sind vor den Kämpfen geflohen." Viele Palästinenser fühlen sich nun nirgendwo mehr sicher.

Dass auch diese Schutzräume attackiert würden, erzürnt nicht nur Krähenbühl. Auch die USA, Israels wichtiger Verbündeter, bezeichnete den jüngsten Beschuss als "schandhaft". Hinzu kommt der Vorwurf, Israel nutze im Rahmen seiner Offensive vollkommen unangemessene Waffen. Eine vorläufige Untersuchung der UN zum Angriff auf eine Schule im Flüchtlingslager Dschabalija weist darauf hin, dass Splitter wahrscheinlich vom Beschuss mit schwerer Artillerie stammen. Darauf deuteten Anzahl, Flugbahn und Explosionsspuren hin, schreibt die New York Times. Am 30. Juli waren bei diesem Angriff in Dschabalija 21 Menschen ums Leben gekommen.

UN-Mitarbeiter sagten, dass Splitter vom Einschlagsort mit nichtdetonierten Geschossen übereinstimmen, die bei anderen Schulen sichergestellt und als 155-mm-Artilleriegranaten identifiziert wurden. Diese seien für präzise Angriffe nicht geeignet: Sie gelten hingegen als effektiv, wenn sie nicht mehr als etwa 45 Meter von ihrem eigentlichen Ziel entfernt einschlagen. Bill van Eswald, ein in Jerusalem lebender Anwalt der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sagte der New York Times: "Man kann diese Waffe in dieser Umgebung nicht präzise genug steuern, weil sie so zerstörerisch ist."

Debatte um Schutz der Zivilisten in der Kriegsregion

Der Schutz der Zivilbevölkerung ist der Kern der Diskussion um die Offensive im Gazastreifen. Der UN-Sicherheitsrat unterstützt eine von den Palästinensern eingebrachte Resolution, wonach das israelische Vorgehen untersucht werden soll. Sie verurteilt eine "systematische und schwere Verletzung" der Menschenrechte. Israel kritisiert, dass in dem Entwurf das Selbstverteidigungsrecht Israels und der Raketenbeschuss der Hamas nicht erwähnt werden. Dieser ist völkerrechtswidrig, weil er "wahllos" auf israelisches Wohngebiet erfolge, wie es UN-Menschrechtskommissarin Navi Pillay nannte. Doch sie bezweifelte auch, dass Israel alles tue, um zivile Opfer zu vermeiden.

Das Verhältnis Israels zu den Vereinten Nationen ist angespannt. Die Vollversammlung hat sich zur öffentlichen Bühne verwandelt, wo beide Seiten für ihre Sicht der Dinge werben.

  • Im November 2012 stimmten 138 der 193 UN-Mitglieder dafür, dass die Palästinenser den Status eines "Beobachterstaats" erhalten (Deutschland enthielt sich wie 40 weitere Staaten). Damit sind die Palästinenser etwa dem Heiligen Stuhl (Vatikan) gleichgestellt, sie dürfen in Ausschüssen mitarbeiten und haben Rederecht. Ein Stimmrecht in der Vollversammlung gibt es aber nicht. Allerdings könnten sie beim Internationalen Strafgerichtshof als Kläger auftreten und Israels Siedlungen in den besetzten Gebieten auf die Tagesordnung bringen. Nach Einschätzung der SWP-Expertin Muriel Asseburg (Studie vom April 2014) blieb diese Aufwertung für die Palästinenser jedoch "wirkungslos".
  • Im so genannten Goldstone-Bericht der UN-Menschenrechtskommission zum Gaza-Krieg 2008/2009 war zunächst der Vorwurf erhoben worden, Israel habe gezielt auf Zivilisten geschossen. Bei den 22 Tage tobenden Kämpfen waren damals 13 Israelis und 1400 Palästinenser getötet worden, unter ihnen viele Zivilisten. Der südafrikanische Jurist Richard Goldstone, der den 575 Seiten langen Bericht vorgelegt und beide Seiten kritisiert hatte, nahm diesen Vorwurf im April 2011 öffentlich zurück (Details hier), wie er in einem Gastbeitrag für die Washington Post ausführte. Der Imageschaden für Israel aber blieb.
  • Auf einer Anti-Rassismus-Konferenz in Durban hatten 2001 mehrere Staaten wie Iran oder Syrien den jüdischen Staat als "rassistisch" gebrandmarkt und diese Position im Abschlussdokument verankert. Als einziger der vielen Konflikte weltweit wurde damals die Dauerkrise in Nahost in der Deklaration namentlich erwähnt (Details in dieser Studie) - die Delegationen aus Israel und den USA verließen unter Protest die in Südafrika stattfindende Konferenz.

Israelische Politiker und Diplomaten verweisen gern - und völlig zu Recht - darauf, dass es im System der Vereinten Nationen möglich ist, dass autokratisch regierte Länder wie Kuba, Iran, Sudan oder Saudi-Arabien den Vorsitz in Menschenrechtsgremien übernehmen können - und von diesen Positionen den demokratischen Rechtsstaat Israel kritisieren.

Diese Beispiele tauchen auch in einem aus dem Jahr 2009 stammenden Strategiepapier (PDF) der proisraelischen US-Lobbygruppe "The Israel Project" auf. Darin geben amerikanische PR-Experten Tipps für die richtige Wortwahl. Kapitel 13 widmet sich den Vereinten Nationen - und empfiehlt eine humorvolle Kritik der Weltorganisation: "Die UN sind eine einzigartige Organisation. Nur hier kann Libyen den Menschenrechtsrat anführen und Syrien den Vorsitz im Sicherheitsrat übernehmen."

Doch all die geschliffenen Worte, Statements und Tweets haben nicht verhindern können, dass Israels Image in den Augen vieler im aktuellen Gazakrieg leidet. Die Hamas nimmt den Tod und die Schmerzen der Zivilbevölkerung in Gaza in Kauf (mehr über diese "Strategie des Sterbens"). Die Bilder von verwundeten oder getöteten Kindern verfehlen im Rest der Welt ihre Wirkung nicht. Sie werden haften bleiben, auch wenn nun mit dem Teilabzug der israelischen Streitkräfte das Ende dieses Krieges womöglich beginnt.

Linktipps:

  • In einem Artikel für die Jüdische Allgemeine beschrieb Israels ehemaliger Botschafter Zalmon Shoval das Verhältnis seines Landes zu den Vereinten Nationen. Die treffende Überschrift lautet "UN-geliebt".
  • Den ausführlichen Artikel der New York Times über die Untersuchungen über die von Israel im Gazastreifen eingesetzten Waffen finden Sie hier.
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