USA:Widerstand um jeden Preis

Die US-Demokraten wollen die Berufung des Konservativen Neil Gorsuch an den Obersten Gerichtshof verhindern - womöglich auf Kosten eines bewährten politischen Instruments.

Von Hubert Wetzel, Washington

Der US-Senat ist eine alte, ehrwürdige Institution. Er stammt aus einer Zeit, als Meinungsverschiedenheiten unter Gentlemen noch auf einem abgelegenen Acker mit Duellpistolen ausgetragen wurden. Der demokratische Senator David Broderick aus Kalifornien kam 1895 bei einer solchen Auseinandersetzung ums Leben. Heutzutage sind die eingesetzten Waffen grobschlächtiger: So, wie es derzeit aussieht, wird in dieser Woche der Streit zwischen Demokraten und Republikanern über einen Richterkandidaten mit dem Abwurf einer Atombombe enden.

Gestritten wird um Neil Gorsuch. Der 49-Jährige war bislang ein unauffälliger Bundesrichter in Colorado, doch Präsident Donald Trump hat ihn für den Obersten Gerichtshof nominiert. Gorsuch soll den Platz des verstorbenen Verfassungsrichters Antonin Scalia einnehmen. Zuvor jedoch muss der Senat Gorsuchs Ernennung bestätigen. Der Chef der republikanischen Mehrheitsfraktion in der Kammer, Mitch McConnell, will am Freitag über die Personalie abstimmen lassen.

Eine Richterbesetzung kann für Jahrzehnte direkte politische Folgen haben

Die Demokraten wollen das freilich verhindern. Sie werfen Gorsuch vor, zu konservativ und zu wenig unabhängig von Trump zu sein. Die Beweislage dafür ist eher dünn, bei den Anhörungen im Justizausschuss des Senats wirkte Gorsuch - der einst zusammen mit dem früheren Präsidenten Barack Obama in Harvard Jura studiert hat - eigentlich kompetent und gelassen. Er ist kein Linksliberaler, aber sicher auch kein rechter Hardliner. Er gehört zu den amerikanischen Juristen, die die Verfassung wörtlich nehmen und nicht als Dokument sehen, das im Sinne des herrschenden Zeitgeists immer wieder neu interpretiert werden muss. Das ist eine konservative, aber keinesfalls radikale Sichtweise. Als der republikanische Präsident George W. Bush 2006 Gorsuch für das Amt am Bundesberufungsgericht in Denver nominierte, bestätigte ihn der Senat jedenfalls einstimmig - einschließlich der 44 Demokraten in der Kammer.

Heute liegen die Dinge anders: Trump ist Präsident, und die wütende demokratische Parteibasis fordert "Widerstand" um jeden Preis. Das wissen auch die demokratischen Senatoren, die widergewählt werden wollen. Zudem sinnen die Demokraten auf Rache für Merrick Garland, den der frühere Präsident Barack Obama ursprünglich für Scalias Sitz am Verfassungsgericht nominiert hatte. Die Republikaner im Senat hatten diese Ernennung jedoch monatelang blockiert - sie wollten zusammen mit Trump ihren eigenen Mann am Supreme Court installieren.

Senate Judiciary Cmte Votes On Neil Gorsuch Nomination For Supreme Court

Der Justizaustausch des Senats bei einer Beratung Anfang der Woche über die Ernennung Neil Gorsuchs.

(Foto: Chip Somodevilla/Getty Images)

Dass um die Verfassungsrichter so hart gerungen wird, liegt an der immensen politischen Bedeutung des Gerichts. Viele gesellschaftliche Streitfragen, die die Politik nicht lösen kann, landen vor den neun auf Lebenszeit ernannten Richtern. Diese sind zwar alle angesehene Juristen, doch ihre ideologische Haltung färbt durchaus auf die Urteile ab. Die politische Balance am Gericht ist daher enorm wichtig, eine Richterbesetzung kann für Jahrzehnte direkte politische Folgen haben.

Bis zu Scalias Tod im vergangenen Jahr standen sich am Supreme Court, grob gesagt, vier konservative und vier liberale Richter gegenüber; zudem gab es einen nicht festgelegten Richter, dessen Stimme bei Urteilen oft den Ausschlag gab. Scalia gehörte zu den Konservativen, Gorsuchs Bestätigung würde daher zunächst nur die alten Machtverhältnisse wieder herstellen, die ideologische Balance aber nicht nach rechts kippen lassen.

Trotzdem sucht die demokratische Fraktionsführung um Senator Chuck Schumer den Machtkampf mit Trump und den Republikanern. Schumer will Gorsuchs Ernennung durch einen "Filibuster" blockieren, eine Dauerdebatte, durch die Abstimmungen verhindert werden. Um den Filibuster zu beenden, sind die Stimmen von 60 Senatoren nötig. Die Republikaner haben aber nur 52 Sitze, sie bräuchten also die Stimmen von acht Demokraten.

Da McConnell aber wohl keine acht Demokraten bekommen wird, will er im Gegenzug die "nukleare Option" benutzen und den Filibuster bei Verfassungsrichtern schlicht abschaffen. Ähnliches hatten die Demokraten bereits 2013, als sie die Senatsmehrheit hatten, bei Bestätigungsverfahren für rangniedrigere Bundesrichter getan. Schon damals hatte McConnell gewarnt, das sei ein gefährlicher Präzedenzfall, der den Demokraten irgendwann auf die Füße fallen werde. Jetzt scheint es so weit zu sein. McConnell hat sich festgelegt, dass Gorsuch bestätigt werden wird. Wenn sich keine Demokraten finden, um den Filibuster mit einem 60-Stimmen-Votum zu brechen, dann wird der Filibuster eben abgeschafft und Gorsuch mit den 52 republikanischen Stimmen Verfassungsrichter.

Aktuelles Lexikon: Filibuster

Er hörte einfach nicht auf zu reden. Und zu reden. Und zu reden. Ganze 24 Stunden und 18 Minuten dauerte die Ansprache des sehr konservativen US-Politikers Strom Thurmond vor dem Senat, man schrieb das Jahr 1957. Thurmond zitierte die Unabhängigkeitserklärung, die Bill of Rights, die Wahlgesetze diverser Bundesstaaten, und auch die Kochrezepte seiner Mutter brachte er unter. Der Legende nach war Thurmond vor seiner Ansprache sogar in die Sauna gegangen, um seinen Körper zu entwässern, für den Fall der Fälle stand im Nebenzimmer ein Mitarbeiter mit Blecheimer bereit. Nun schwadronierte Thurmond nicht einfach ziellos herum, der Senator nutze die Verzögerungstaktik des "Filibuster", um den Civil Rights Act und damit mehr Rechte für schwarze Amerikaner zu verhindern; er ging zwar als Rekordhalter im Filibustern in die Geschichte ein, Erfolg hatte er damit jedoch nicht. Der Begriff Filibuster leitet sich ab vom niederländischen vrijbuiter - also Freibeuter respektive Pirat. Er beschreibt eine Zermürbungstaktik der Minderheit im US-Senat, um Beschlüsse der Mehrheit zu hintertreiben. Bereits im antiken Rom soll Cato bis in die Nacht gegen Cäsar filibustert haben, am Montag nun bekamen die Demokraten die notwendige Zahl von 41 Senatoren zusammen, um die Abstimmung über Donald Trumps Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Neil Gorsuch, zu blockieren. Friederike-Zoe Grasshoff

Das freilich hätte Folgen. Zum einen hätten die Demokraten dann ein taktisches Problem. Denn es ist wahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren weitere Richterstellen am Supreme Court frei werden, weil liberale Richter sterben oder zurücktreten. Wenn Trump diese dann durch konservative Juristen ersetzt, ändert er tatsächlich die Balance. Dann aber haben die Demokraten ihr Pulver in der Schlacht um Gorsuch schon verschossen, der Filibuster ist dann abgeschafft, Trump kann seine Kandidaten mit einfacher Mehrheit durchbringen. Genau deswegen zweifeln auch einige demokratische Senatoren derzeit, ob der harte Widerstand gegen Gorsuch sinnvoll ist.

Zum anderen würde die Abschaffung des Filibusters die Arbeit im Senat grundlegend ändern. Die Kammer war immer etwas gemäßigter und überparteilicher als das ideologisch gespaltene und aufgeheizte Abgeordnetenhaus - eben weil die Minderheitsfraktion im Senat durch den Filibuster eine Blockademöglichkeit hatte. Es gab also einen gewissen Zwang für die Mehrheit, sich mit der Opposition zu einigen. Altgediente Senatoren wie der Republikaner John McCain warnen davor, dass ein Ende des Filibusters auch "das Ende des Senats" bedeuten würde.

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