US-Wahlkampf:"Trump hat die Mauer schon gebaut: mit Worten voller Hass"

US-Wahlkampf: Donald Trump spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona

Donald Trump spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona

(Foto: AFP)

In Arizona könnten die Republikaner die Mehrheit verlieren. Zu Besuch in einem Staat, in dem Latino-Aktivisten wie Claudia Faudoa den Wahlkampf persönlich nehmen und Trump-kritische Journalisten mit dem Tod bedroht werden.

Von Matthias Kolb, Phoenix

Kürbisse, überall Kürbisse. Kürbisse und Hitze. In Phoenix, Arizona, ist es auch kurz vor Halloween noch sehr heiß, die 35 Grad aber schrecken die Aktivisten Claudia Faudoa und Juan Rodriguez nicht ab. "Hier leben viele Latinos und wir müssen dafür sorgen, dass sie zur Wahl gehen", sagt Rodriguez. Er klopft an eine Tür im Viertel South Mountain und fragt: "Haben Sie den Wahlzettel schon bekommen? Wissen Sie, dass Sie heute schon abstimmen können? Kennen Sie jemanden, der Hilfe braucht?"

Dass der Mann erklärt, den Wahlzettel mit seinen Kindern ausgefüllt und schon abgegeben zu haben, notiert Rodriguez auf seinem Klemmbrett. Für jede Straße sind dort die Adressen jener Häuser vermerkt, wo die Aktivisten klingeln sollen. Die Route gibt der Computer vor, Effizienz ist das oberste Gebot: Die Helfer sollen sich nicht in Diskussionen verstricken lassen oder Leute kontaktieren, die nicht stimmberechtigt sind oder bereits gewählt haben.

Claudia Faudoa und Juan Rodriguez gehören zum Netzwerk "One Arizona", das 150 000 neue Wähler registriert hat, zwei Drittel sind Hispanics. Die Organisation ist überparteilich, doch alle Wähler, die Fauduo und Rodriguez treffen, sagen: "Wir geben bestimmt unsere Stimmen ab - und zwar gegen Trump." Viele Latinos fühlen sich durch den Republikaner dämonisiert. Gerade in Arizona sind sie aber ein wichtiger Faktor, weil sie 22 Prozent der Wähler stellen. Umfragen sehen Clinton in dem Bundesstaat im Südwesten der USA vorn - eine solche Entwicklung schien hier ebenso wie in Utah oder Texas vor drei Monaten noch undenkbar.

Für Rodriguez und Fauduo ist ihr Engagement etwas sehr Persönliches, da beide am 8. November nicht abstimmen dürfen: Der 31-Jährige hat wegen einer Straftat sein Wahlrecht verloren, die 44-Jährige hält sich als undocumented immigrant in den USA auf. Die Mexikanerin reiste vor 22 Jahren in den Norden, wo ihre drei Söhne geboren wurden. Sie sagt: "Amerika ist meine Heimat und Trump ist eine Gefahr für das Land. Er hat das Klima vergiftet und seine Mauer schon gebaut: mit Worten voller Hass."

Ausflug nach Legoland? Undenkbar für Claudias Familie

Fauduos Biografie ist typisch für viele Migranten: Sie arbeitete jahrelang als Nanny für weiße Familien, dann stellte sie eine Immobilienfirma ein, verlor den Job aber wieder, als herauskam, dass sie eine falsche Sozialversicherungsnummer angegeben hatte. Dass Fauduo heute offen mit Journalisten spricht, hat einen Grund: "Ich will, dass die Leute wissen, wie es uns geht."

Der Oberste Gerichtshof erklärte im Juni einen Teil von Obamas Reform für ungültig, der Eltern von US-Bürgern vor Abschiebung geschützt hätte (Details hier). Für die Aktivistin bedeutet das, dass sie ihren Söhnen einen Herzenswunsch nicht erfüllen kann: ein Besuch im Legoland. Der Vergnügungspark befindet sich in San Diego und damit zu nah an der mexikanischen Grenze, an der laufend kontrolliert wird. Fauduo frustriert am meisten, dass es keinen Weg gibt, ihren Aufenthalt in den USA zu legalisieren: "Wenn es hieße: 'Claudia, zahl 50 000 Dollar und dein Status ist geklärt!', dann würde ich das sofort machen. Ich würde eine Niere spenden oder das Geld irgendwie auftreiben."

Die Angst vor einer Verhaftung sei nicht konkret, sagt Fauduo: Die Behörden wüssten, wo sie wohne, da sie auf ihr Einkommen Steuern zahle. "Absurd ist nur, dass ich keine Rückerstattung bekomme. Das haben Arizonas Abgeordnete per Gesetz verboten." Sie sorgt sich um die Zukunft ihrer Söhne, deshalb fürchtet sie einen US-Präsidenten Trump: "Jede Stimme, die ein Wähler abgibt, den ich registriert habe, ist auch meine Stimme."

US-Wahlkampf: Für Claudia Faudoa hat der Wahlkampf eine persönliche Note: Sie fühlt sich von Trump dämonisiert und will dessen Wahl unbedingt verhindern.

Für Claudia Faudoa hat der Wahlkampf eine persönliche Note: Sie fühlt sich von Trump dämonisiert und will dessen Wahl unbedingt verhindern.

(Foto: Matthias Kolb)

Jahrelange Mobilisierungsarbeit zahlt sich aus

Claudia erzählt ihre Geschichte im Büro der Nichtregierungsorganisation "Promise Arizona", das sich in einer Methodisten-Kirche im Zentrum von Phoenix befindet. Hinter "Promise Arizona" steht Petra Falcon: Die 62-Jährige ist sechsfache Großmutter und kämpft seit Jahrzehnten für die Anliegen der Latinos. Falcon gründete ihre Gruppe, nachdem Arizona im April 2010 das Gesetz "SB 1070" beschloss.

Es erlaubt der Polizei, alle "verdächtig scheinenden Menschen" nach Ausweispapieren zu fragen. "Die damalige Gouverneurin Jan Brewer wollte sich profilieren. Gemeinsam mit Sheriff Arpaio entschloss sie sich, unsere Gesellschaft zu spalten", sagt Falcon und zeigt auf ein gelbes Poster. Darauf steht "Adios Arpaio": Schon 2012 mobilisierten Aktivisten gegen den umstrittenen Sheriff des Maricopa County, der Einwanderer kompromisslos verfolgte. Wegen "SB 1070" ließ Arpaio seine Leute in den Latino-Vierteln im Süden von Phoenix Kontrollen durchführen: Wer keinen Führerschein hatte, wurde verhaftet und abgeschoben.

Nun kämpft Arpaio erneut um seine Wiederwahl und ist wie Brewer (Latinos nennen die Ex-Gouverneurin nur la bruja, die Hexe) überzeugter Trump-Fan. Doch der Widerstand ist enorm - weil Aktivisten wie Petra Falcon diese Feindbilder zur Mobilisierung nutzen.

Nicht nur die Latino-Aktivisten sind voller Zuversicht. Das neue Selbstbewusstsein unter Arizonas Demokraten ist überall zu spüren: Sie sind stolz, in einem battleground state zu leben und plötzlich im Zentrum des Interesses zu stehen. Neben Chelsea Clinton und Bernie Sanders reiste kürzlich auch Michelle Obama nach Arizona, um Werbung für Hillary Clinton zu machen (mehr in dieser SZ-Reportage).

Am Ende entscheiden die Stimmen der konservativen Frauen

Über den Eindruck, dass alle Republikaner fremdenfeindlich seien und mit Donald Trump einen Rassisten nominiert haben, kann Avinash Iragavarapu nur lachen. "Ich bin 2014 aus Indien nach Arizona gekommen und habe keinen US-Pass. Heute habe ich eines der höchsten Parteiämter in Arizona inne", sagt der 30-Jährige. Er ist Experte für Wählerdaten und nun als Geschäftsführer für den Wahlkampf der Grand Old Party verantwortlich.

Auf seinem Laptop zeigt Iragavarapu eine Grafik: Die Mehrheit der Bürger, die bei den vergangenen vier Wahlen in Arizona abgestimmt haben, sei konservativ. In Arizona gebe es 170 000 registrierte Republikaner mehr als Demokraten und in allen 21 Wahlkampf-Büros sei die Begeisterung groß. Auch in Phoenix betreten laufend Bürger das Hauptquartier. "Wir machen alles, was Trump hilft", ruft ein Mann laut und verschwindet mit einem Packen "Make America Great Again"-Schilder, um diese vor Supermärkten zu verteilen.

Andere gehen von Tür zu Tür, um Republikaner an den Wahltag zu erinnern. Im Hauptquartier kümmert sich ein Dutzend Aktivisten um das phone banking. Sie bitten am Telefon stets darum, auch John McCain erneut zu unterstützen. Der 80-jährige Senator tritt zum sechsten Mal an und liegt in allen Umfragen vorn. Dass sich McCain und Donald Trump nicht ausstehen können, stört Geschäftsführer Iragavarapu nicht: "Die Leute entscheiden sich nicht zwischen Trump und McCain. Sie lesen "Trump oder Clinton" und dann 'McCain oder Ann Kirkpatrick' - und ich bin mir sicher, dass die Republikaner beide Male siegen."

Der Polit-Berater Ruben Alvarez beurteilt diese Vorhersage eher skeptisch. Es werde vor allem darauf ankommen, welche Partei ihre Anhänger besser mobilisieren könne. Alvarez, der früher selbst für eine republikanische Gouverneurin gearbeitet hat, hält einen Clinton-Erfolg für möglich: "Viele unabhängige Wähler rücken von Trump ab, weil er eher geringe Siegchancen hat. Außerdem haben viele konservative Frauen Probleme mit ihm: Ihre Stimmen werden letztlich den Ausschlag geben."

Todesdrohungen gegen Journalisten der Lokalzeitung

Donald Trump weiß genau, dass er keine Chance aufs Weiße Haus hat, wenn er nicht in Arizona siegt und sich die elf Stimmen im electoral college sichert. Am Samstag trat er vor Tausenden Fans in Phoenix auf, seine "Make America Great Again"-Botschaft sowie die Forderung nach einer Mauer kommt hier besonders gut an.

Donald Trump in Phoenix, Arizona.

Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Phoenix.

(Foto: Reuters)

Doch die Reaktionen mancher Trump-Fans in Arizona zeigt auch, welche extremen Ausmaße deren Leidenschaft annehmen kann. Als die Lokalzeitung Arizona Republic Ende September in einem Leitartikel Hillary Clinton zur besseren Kandidatin kürte, sorgte dies landesweit für Schlagzeilen. Seit ihrer Gründung 1890 hatte die Zeitung in ihren endorsements stets zur Wahl von Republikanern aufgerufen, doch 2016 gab es für die Redakteure keine Wahl: "Was Trump tut und wofür er steht, ist unter unserer Würde als Nation."

Noch mehr Aufsehen erzeugten jedoch die Reaktionen der Trump-Fans: Neben einer hohen Zahl von gekündigten Abonnements gab es Todesdrohungen gegen die Journalisten. "Wir mussten die Sicherheitsvorkehrungen verstärken", berichtet der zuständige Redakteur Phil Boas im Gespräch. Mittlerweile habe sich die Lage beruhigt, aber auch nach vier Wochen werde er weiterhin täglich am Telefon beschimpft.

Furcht vor dem Autokraten Donald Trump

Boas betont jedoch zugleich, dass er und seine Kollegen viel Zuspruch erfahren hätten. Er selbst ist überzeugter Konservativer und stammt aus einer Familie voller Republikaner. Doch gerade diese Tatsache mache es wichtig, Trump mit klaren Worten zu verurteilen: "Wir haben eine Verantwortung, uns diesem Autokraten entgegenzustellen."

Den Republic-Redakteuren missfällt vor allem, dass Trump die Journalisten niedermacht und er es als Präsident leichter machen will, Medien zu verklagen. "Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht und durch das First Amendment in der Verfassung verankert. Wer so redet, dem ist nichts heilig", sagt Boas.

Seiner Meinung nach werde das Rennen sehr knapp werden und er wäre "überrascht", wenn Clinton in Arizona wirklich gewinnen würde. Selbst wenn die Demokratin über Trump triumphieren würde, wäre dies ein Einzelfall: "Strukturell sind wir ein konservativer Staat und es wird noch mehrere Jahre dauern, bis sich das ändert."

Man müsse abwarten, wann die Latinos ihren politischen Einfluss entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil geltend machen. Doch Phil Boas denkt ähnlich wie die Aktivisten von "Promise Arizona": Donald Trump hat diese Entwicklung beschleunigt, unabhängig vom Ausgang der Wahl am 8. November.

Linktipps: Ein langes Porträt über Petra Falcon, die Gründerin von "Promise Arizona", erschien im Juli im New Yorker und beschreibt die jüngsten politischen Debatten in Arizona sehr gut. Welche Reaktionen die Redaktion des Arizona Republic auf ihre Anti-Trump-Wahlempfehlung erhielt, steht in diesem Text.

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