Ungleichheit als Wahlkampfthema:Armes Amerika, reiches Potenzial

Panhandlers' Placards Show Signs Of Continued Economic Hardship

Obdachloser in Manhattan, New York: "Der Krieg gegen die Armut" scheint verloren.

(Foto: AFP)

Die wirtschaftliche Ungleichheit in den USA nimmt zu. Immer mehr Amerikaner müssen mit immer weniger zum Leben auskommen. Mit neuen Konzepten wollen nun auch die Republikaner Wähler unter den Benachteiligten gewinnen.

Von Nicolas Richter, Washington

Zu Beginn des Wahljahres 2014 sind die Parteien in Washington auf der Suche nach neuen Themen mit populistischem Potenzial, und in diesen Tagen stoßen sie beide auf dasselbe: Die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit in Amerika.

Beide Lager beklagen, dass immer mehr Menschen in den USA mit immer weniger leben müssen. Rein kalendarischer Anlass ist, dass der einstige Präsident Lyndon B. Johnson vor 50 Jahren den "Krieg gegen die Armut" erklärte. Politisch aber geht es den Parteien darum, sich rechtzeitig vor den Wahlen in Stellung zu bringen und Unterstützer emotional zu mobilisieren.

Die vergangene Woche hat gezeigt, wie die Debatte verlaufen könnte: Trotz einheitlicher Diagnose schlagen Demokraten und Republikaner sehr verschiedene Lösungen vor, mit denen sie ihren Überzeugungen zur Rolle des Staats treu bleiben. Statt gemeinsam Rezepte gegen Armut und Ungleichheit zu suchen, dürften sie sich bis zur Parlamentswahl im November mit Angriffen gegen die jeweils andere Seite profilieren.

Obama will Benachteiligte mehr unterstützen

Am Dienstag sagte Präsident Barack Obama, seit dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise seien zwar acht Millionen neue Jobs entstanden, doch fügte er hinzu: "Wir müssen mehr dafür tun, dass alle Amerikaner an diesem Wachstum teilhaben können. Viele Menschen kämpfen noch immer." Ungleichheit dürfte ein Kernthema sein in Obamas Rede zur Lage der Nation am 28. Januar. Für den Präsidenten hat dies mehrere Vorteile. Kurzfristig kann er seiner demokratischen Partei im Wahlkampf helfen, indem er mehr Hilfe für die Schwächsten verspricht. Er kann damit ablenken von den Pannen seiner Gesundheitsreform. Und er kann die Republikaner als kalte Helfer der Reichen darstellen.

Langfristig könnte der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit zudem Obamas politisches Erbe definieren. In den vergangenen Jahren hat Obama diese Frage oft aufgegriffen: Wie viel Staat braucht das Land, wie viel Regierung ist notwendig, damit es in Amerika gerecht zugeht? Dies war schon der rote Faden im Wahlkampf gegen Mitt Romney, der 47 Prozent der Wähler zu Sozialschnorrern erklärte. Es beherrschte den Streit um Steuererhöhungen vor einem Jahr, als Obama verlangte, dass die Reichen mehr zum Gemeinwohl beitragen müssten.

Im Dezember griff der Präsident das Thema in einer Grundsatzrede auf: "Die Regierung kann nicht an der Seitenauslinie stehen", sagte er. "Wir müssen den Glauben aufgeben, dass die Regierung nichts gegen Ungleichheit tun kann." Von diesem Glauben sind die Republikaner seit Jahrzehnten beseelt. Sie halten Umverteilung, wie sie Obama verlangt, für Sozialismus.

Republikaner erkennen Wählerpotenzial

Allerdings erkennen auch rechte Politiker an, dass Amerika unter der Ungleichheit leidet, und dass es politisch töricht wäre, alle Wähler mit niedrigem Einkommen den Demokraten zu überlassen. Als neuer Anwalt der Armen profiliert sich jetzt zum Beispiel der Abgeordnete Paul Ryan, der Finanzexperte der Republikaner im Kongress und 2012 Vize-Kandidat für die Präsidentschaft. Ryan hat Armengegenden im Land besucht und sagt, das soziale Netz habe "kläglich versagt".

Aus Sicht der Republikaner sind Armut oder geringes Einkommen nicht deswegen so verbreitet, weil der Staat zu wenig Geld ausgegeben hat, sondern weil er mit Unsummen falsche Anreize gesetzt habe. Rechte Politiker schlagen deswegen Reformen vor, die Amerikas Arme ihrer Misere entreißen sollen: Wer Geld vom Staat bekommt, soll in irgendeiner Form arbeiten müssen, Geringverdiener könnten Steuererleichterungen bekommen, der Staat solle mehr Aus- und Fortbildung anbieten und vor allem solle sich Washington zurücknehmen und die soziale Sicherheit den einzelnen Staaten überlassen.

Aus Sicht der Republikaner tragen die Rezepte der Demokraten - zum Beispiel mehr Arbeitslosengeld oder höherer Mindestlohn - nur dazu bei, gesellschaftliche Probleme zu verewigen. Der konservative Senator Marco Rubio sagte diese Woche in Anspielung auf den Mindestlohn: "Für zehn Dollar die Stunde zu arbeiten, kann nicht der amerikanische Traum sein."

Kampf um Mehrheit im Senat

Die Republikaner möchten im Herbst ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigen und die Mehrheit im Senat zurückerobern. Ihnen ist bewusst, dass sie nicht den Fehler ihres einstigen Kandidaten Romney wiederholen dürfen: kalt und arrogant zu wirken. Mit einem neuen Konzept zugunsten der Schwächsten könnten sie ihrem Ruf entgehen, destruktiv und knauserig zu sein und allein Obamas Gesundheitsreform kaputtreden zu wollen.

Die Demokraten müssen diese Debatte im Prinzip nicht fürchten, weil sie bereits 2012 in Obamas Auseinandersetzung mit Romney besser abgeschnitten haben. Allerdings ist Obama nicht mehr so beliebt wie damals, und die Demokraten müssen aufpassen, dass sie nicht gemäßigte Wechselwähler abschrecken, indem sie bloß mehr Opfer von den Wohlhabenden verlangen.

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