UN-Truppen:Mit Händen, Füßen und zwei Arten von Befehl

Lesezeit: 5 min

Chinesische und deutsche Sanitätssoldaten trainieren in Niederbayern für Friedenseinsätze. Dabei gilt es, Verständigungs­probleme zu überwinden.

Von Jacqueline Lang, Feldkirchen

Wenn 46 Wasserkocher zugleich angeschaltet werden, dann kann es schon passieren, dass die Sicherung rausfliegt. Denn dass die Chinesen gerne Tee trinken, war nach der Schulung über die chinesische Kultur zwar bekannt. Aber dass sich alle 92 Soldaten direkt nach ihrer Ankunft in ihren Doppelzimmern der Gäubodenkaserne Teewasser kochen würden, hatte man in Feldkirchen dann doch nicht für möglich gehalten.

2016 planten chinesische und deutsche Sanitätssoldaten erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen (UN) gemeinsam eine Übung. Die Chinesen hatten die Deutschen dazu nach Chongqing eingeladen. 38 deutsche Soldaten des Sanitätsdiensts der Bundeswehr und rund 200 chinesische Santitätskräfte waren an der Übung beteiligt. Der Titel der Übung: "Combined Aid", vereinte Hilfe. Drei Jahre später wurde nun eine gleichnamige Übung in Niederbayern wiederholt. Zwei Szenarien übten die 92 chinesischen und 120 deutschen Sanitätssoldaten diesmal zwei Wochen lang: Den Ausbruch einer Cholera-Epidemie in einem Flüchtlingslager und einen medizinischen Notfall mit mehreren Verletzten.

Kritiker fürchten, Peking gehe es nicht um den Frieden, sondern um internationalen Einfluss

Die Volksrepublik China ist neben Russland, Frankreich, Großbritannien und den USA seit 1971 eines der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Das Land leistet heute mit etwas mehr als zehn Prozent den zweitgrößten Beitrag zum UN-Etat. Allerdings bekommt China auch pro bereitgestelltem Soldat 1428 Dollar. Seit 2018 sind 2500 chinesische Soldaten als Blauhelme im Einsatz, dazu sind 8000 chinesische Blauhelme in Bereitschaft und binnen 60 Tagen einsatzbereit.

Solch ein Engagement wäre bis Anfang der 2000er-Jahre nahezu undenkbar gewesen: Aus ideologischen Gründen lehnte China die UN-Friedenssicherung lange ab, Friedensmissionen seien eine Form von Imperialismus, so die Begründung. Im Koreakrieg kämpfte das Land sogar mit Nordkorea gegen UN-Truppen, auch später, als China schon Mitglied des Sicherheitsrats war, hielt sich Peking mit Engagement zurück: Erst von 1982 an beteiligte sich China am Etat, 1990 waren gerade fünf chinesische Soldaten an Friedensmissionen beteiligt. Seit etwa 15 Jahren tauschen sich deutsche und chinesische Sanitätssoldaten schon in wehrmedizinischen Symposien aus, bis 2013 ging es aber nur um die Theorie. Es ist das Jahr in dem Xi Jinping Chinas Staatschef wird. Er ändert Außen- und Sicherheitspolitik des Landes. Und so wird auch die erste gemeinsame Übung chinesischer und deutscher Soldaten geplant.

Die Zusammenarbeit funktioniert, trotz mancher Kommunikationsschwierigkeiten. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Woher der Sinneswandel kam, lässt sich im Westen nur mutmaßen. Kritiker der Volksrepublik fürchten, dass Peking mit seinem Engagement nicht allein den Frieden auf der Welt im Blick hat, sondern so international mehr Einfluss nehmen will. Sie glauben, es sei kein Zufall, dass China vor allem Missionen in Afrika unterstützt, es erhoffe sich vielmehr durch die Hilfe Zugang zu Rohstoffen und Gefolgschaft. Im Zusammenhang mit solcher Kritik an Chinas Strategie fällt immer öfter der Begriff "soft power - indirekte, nichtmilitärische Einflussnahme. Die Vision von Präsident Xi sieht vor, dass China bis 2050 "ein globaler Führer im Hinblick auf nationale Stärke und internationalen Einfluss" sein wird. Das zumindest hat er 2017 beim 19. Parteitag verkündet. Chinas Beitrag zum UN-Etat macht zwar mit 0,5 Prozent nur einen sehr geringen Anteil des Verteidigungsetats aus. Für den Einfluss in der Welt ist die Rolle in den UN aber nicht unerheblich - vor allem, seit die USA sich aus der Weltorganisation immer weiter zurückziehen.

Ob und welche politischen Ziele Peking wirklich verfolgt, darüber macht sich im niederbayerischen Feldkirchen Mitte Juli offenbar niemand ernsthaft Gedanken. "Ich begrüße es, dass China seine Rolle als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat wahrnimmt", sagt Verteidigungsstaatssekretär Thomas Silberhorn (CSU) auf die Frage, ob es Vorbehalte gegen Chinas Bestreben gab, so eine Übungsserie zu starten. Auch ein Oberstleutnant sagt, wenn die USA kein verlässlicher Partner mehr seien, müsse man sich eben nach neuen Allianzen umschauen. Und China sei nun einmal eine Weltmacht, ob einem das gefalle oder nicht. Weil das nur seine persönliche Meinung ist, will er seinen Namen nicht nennen. Die offizielle Position lautet: "Wir geben uns große Mühe, uns gegenseitig bestmöglich zu ergänzen und wollen voneinander lernen."

Dass unter den in den Gäuboden angereisten Chinesen auch Journalisten waren, die sich erst nach ein paar Tagen als solche entpuppten, darüber wird nur geschmunzelt. Die Abmachung, die Presse nur an einem "Medientag" zu empfangen, ignorierte China. Das Ziel ist klar: Propaganda für Zuhause. In Deutschland sieht man darüber wohlwollend hinweg. So seien die Chinesen halt, sagen die Organisatoren. Von Soldaten, die Ausrüstung und Pläne anderer Kontingente fotografieren, hat man in Feldkirchen nichts mitbekommen - sieht man von den versteckten Journalisten ab. Gerüchte über solche Zwischenfälle gab es in der Vergangenheit aber immer wieder.

Und was lässt sich von den Chinesen lernen? Das Streben nach Perfektion, sagt Feldwebel Bianca Stocker. Sie leitet das Schminkcamp oder, wie man bei der Bundeswehr sagt, die "realistische Verwundetendarstellung". Sie schminkt mit ihrem Team 40 Statisten Wunden auf, die Flüchtlinge spielen. Bei dieser Übung werden sie von zwei chinesischen Kollegen unterstützt. Klar, mit der Kommunikation gebe es manchmal Schwierigkeiten, das Englisch der Chinesen reiche nicht immer. "Notfalls geht es auch mit Händen und Füßen", sagt Stocker. Unsicherheiten im Umgang seien anfangs natürlich dagewesen, aber nach neun Tagen sei auch das besser.

92 chinesische und 120 deutsche Soldaten nehmen an der Übung „Combined Aid“ im Gäuboden teil. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Ähnlich sieht das Sven Schläfke. "Die Medizin ist eine internationale Sprache, die ist überall auf der Welt gleich", sagt der Oberfeldarzt. Als einer der wenigen war Schläfke bei der Combined-Aid-Übung 2016 in China dabei. In der fingierten Situation, die sie in diesen Tagen auf dem Kasernengelände üben, wird er nach einem Notfall vom chinesischen Lager angefordert, um den Kollegen Guo Zheng bei einer Operation zu unterstützen. Ziel auf beiden Seiten sei es zu helfen. Ob deutscher oder chinesischer Chirurg, deutsche oder chinesische Krankenschwester - "jeder weiß, was er zu tun hat", sagt Schläfke. Probleme, wie sie mit einem nicht eingespielten Team vorkommen können, unterschieden sich nicht von denen mit etwa niederländischen Soldaten. Fachlich könne sein chinesischer Kollege in jedem Fall mit deutschen Standards mithalten. Und wie sieht das Zheng? "Die Deutschen sind sehr aufgeschlossen und freundlich", sagt er. Die Zusammenarbeit funktioniere gut. Mit einer Sache habe man sogar die deutschen Kollegen beeindrucken können, sagt Zheng: damit, wie platzsparend Monitore, Betten und andere Gerätschaften verpackt gewesen seien. Es gebe Interesse, diese Technik zu übernehmen, Zheng merkt das nicht ohne Stolz an.

In manchem Moment zeigen sich die Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen doch: Als man übt, wie verletzte Flüchtlinge ins chinesische Camp gebracht werden sollen, stehen die chinesischen Soldaten stramm, verziehen keine Miene. Ein Mann weist mit einem roten und einem grünen Fähnchen das gepanzerte Sanitätsfahrzeug ein, beim Abtreten vollführt er im Laufschritt eine Choreografie. Jede Bewegung sitzt, der Hang zur Perfektion der Chinesen offenbart sich in diesem Schauspiel.

Wenige Stunden zuvor im deutschen Camp: Verletzte sind telefonisch angekündigt, aber niemand nimmt Haltung an, es wird gescherzt und gelacht. Als dann der Krankentransport eintrifft, weiß jeder genau, was er zu tun hat. "Der Führungsstil ist einfach ein anderer", sagt Oberstleutnant Matthias Frank. In Deutschland verfahre man nach der Auftragstaktik, bei der vor allem das Ergebnis zähle. Den Weg könne man oft selbst bestimmen. In China gelte nach wie vor die Befehlstaktik: Die Soldaten führen aus, was Vorgesetzte anordnen. Trotz verschiedener Führungsphilosphien, fragt man Deutsche und Chinesen, wie die Kooperation funktioniert, sagen beide Seiten, es sei gut gelaufen - von ein paar kaputten Wasserkochern abgesehen.

© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: