Umstrittener Staudamm in der Türkei:Trockenzeit im Garten Eden

Türkische Wissenschaftler gegen Ilisu-Staudamm

Wenn das Wasser kommt, wird nichts bleiben von den mächtigen mittelalterlichen Brückenpfeilern im Tigris und den Mausoleen in der Felsenstadt Hasankeyf. 

(Foto: dpa)

Nur noch das Minarett wird aus dem Wasser ragen: Die Türkei treibt den Bau des Ilisu-Staudamms nahe der Felsenstadt Hasankeyf vehement voran. Jetzt zieht sich die PKK aus der Gegend zurück - und Naturschützer schöpfen neue Hoffnung.

Eine Reportage von Christiane Schlötzer

Die Tochter des Häuptlings trägt rote Farbe im Gesicht und Joshua Lonyaman Angelei hat sich einen topfartigen schwarzen Kopfputz aufgesetzt, mit einer langen wippenden weißen Feder drauf. Aus Höflichkeit gegenüber den Gastgebern hat Joshua eine Hose angezogen zu dem karierten Wickeltuch um seinen Leib. So stehen der Mann aus Afrika und die Frau vom Amazonas nun in dieser Einöde aus kahlrasierten Hügeln im Kurdenland, tief im türkischen Südosten, und behindern für genau 33 Minuten den Weiterbau des Ilisu-Staudammes.

So lange gelingt es ihnen, die Baustelleneinfahrt zu blockieren. Der Ilisu-Damm ist so umstritten wie das Belo-Monte-Wehr im brasilianischen Regenwald und Dämme in Äthiopien, vor denen sich die Menschen am Turkana-See in Kenia fürchten. Deshalb protestieren Joshua und Häuptling Megaron Txucarramae vom Stamm der Kayapo und seine Tochter Mayalu mit der roten Farbe im Gesicht nun in der Türkei. "Wir leben schließlich in einer globalisierten Welt", sagt Joshua, "weil die Natur global ist."

Drei Betonlaster müssen an der Sperre warten, die Fahrer nehmen es gelassen. Arbeiter zücken ihre Handys und filmen den friedlichen Protest. "Für unsere Staudamm-Webseite", sagt einer. Irgendwann heißt es, die Verantwortlichen hätten das Militär gerufen. Bevor ein Uniformierter eintrifft, packen Joshua und die Aktivisten von "Doga Dernegi", der türkischen Umweltstiftung, ihre Plakate wieder ein.

Vom Frieden ermutigt

Es ist das erste Mal, dass die türkischen Naturschützer eine solche Blockade wagen. Der frische Frieden im Kurdengebiet hat sie ermutigt. Seit Monaten verhandelt die türkische Regierung mit der militanten kurdischen PKK. Am 8. Mai hat die PKK mit dem Abzug in den Nordirak begonnen, nach 30 Jahren blutigem Kampf. Vom Ilisu-Damm hieß es hinter vorgehaltener Hand, er solle eine Barriere gegen die aufständischen Kurden bilden und Hunderte Höhlen in der Felsenstadt Hasankeyf unter Wasser setzen. Damit sich die Kämpfer dort nicht verstecken könnten.

Eine Autostunde liegt zwischen dem Örtchen Ilisu, wo die Staumauer wächst, und Hasankeyf. Bis dorthin wird der See reichen, den der Tigris bilden soll. Der Fluss hat sich tief in den sonnengelben Sandstein gegraben. Schon vor 12 000 Jahren sollen hier Menschen gesiedelt haben. Wenn das Wasser kommt, wird nichts bleiben von den mächtigen mittelalterlichen Brückenpfeilern im Tigris und den Mausoleen. Nur die Spitze des schlanken mehr als 600 Jahre alten Minaretts der Er Rizk Moschee mit dem Storchennest obendrauf wird aus dem Wasser ragen.

Die Regierung hat vermieden, Hasankeyf auf die Liste des Unesco-Welterbes setzen zu lassen - wohl um den Staudamm nicht zu gefährden. Das höchste türkische Verwaltungsgericht hat am 7. Januar entschieden, dass er nicht weitergebaut werden darf, weil gesetzlich vorgeschriebene Studien zu den Umweltfolgen fehlen. Den Prozess hatte die Architekten- und Ingenieurkammer angestrengt. Am 5. April änderte das Umweltministerium die Vorschriften, um das Urteil zu umgehen.

"Wir geben aber nicht auf", sagt Dicle Tuba Kilic, die Kampagnenchefin von Doga Dernegi. Die Physikerin hat den kurdischen Vornamen Dicle, wie auch der Tigris in der Türkei heißt, zu ihrem Namen hinzugefügt. Kilic und ihre Freunde haben vor Joshua und Mayalu auch schon Tarkan, den einzigen Weltstar des türkischen Pop, nach Hasankeyf gebracht. Fatih Akin, der türkisch-deutsche Filmregisseur, hat ein Musikvideo gedreht. Alles, um auf den drohenden Untergang des Kleinods am Tigris aufmerksam zu machen.

Zeit, "Ilisu zu überdenken"

Im Juli 2009 haben sie ihren größten Erfolg gefeiert: die Kreditversicherer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zogen sich zurück, weil die Türkei so viele Auflagen verletzt hat. Aber dann kam der Wirtschaftsboom und türkische Banken stellten die Finanzierung alleine auf die Beine. Nun aber gibt es den kurdischen Frühling. Die konservative Zeitung Today's Zaman kommentierte am Tag des PKK-Abzugsbeginns, es sei Zeit, "Ilisu zu überdenken".

Das meint auch Osman Baydemir, der Bürgermeister der kurdischen Metropole Diyarbakir, ein Dammgegner der ersten Stunde. Baydemir setzt sich Joshuas afrikanischen Federbusch auf den Kopf und wird gleich wieder ernst. "Für einen dauerhaften Frieden brauchen wir auch Frieden mit der Natur", sagt Baydemir. Seine Kurdenpartei BDP werde "nun alle Argumente gegen den Damm noch einmal auf den Tisch legen", verspricht Baydemir den Besuchern vom Amazonas und aus Patagonien. Moira Millan vom Stamm der Mapuche aus dem Süden Argentiniens sagt: "Ich komme vom anderen Ende der Erde, aber ich weiß vom Kampf der Kurden um ihre Würde."

Moira Millan und die Mapuche haben schon einen Damm verhindert. Häuptling Megaron und seine Kayapo haben ebenfalls erreicht, dass Kreditzusagen für den Belo-Monte-Damm zurückgezogen wurden. Aber 2012 wurde dieser Dammbau wieder genehmigt. Die Weltbank habe ihre Skepsis gegenüber solchen Projekten revidiert, "im Namen des Klimaschutzes", sagt Ulrich Eichelmann von der in Wien ansässigen Organisation RiverWatch.

Eichelmann meint, die Klimaschützer würden die Nachteile der Großdämme übersehen. "Stauseen produzieren enorme Mengen klimaschädliches Methangas", sagt der Flussschützer bei der Blockade. "Ilisu ist nur ein Symbol für den Staudamm-Wahn", meint Eichelmann. 5000 Projekte seien weltweit im Bau oder in Planung, "im Zeichen der grünen Energie", oft in den "letzten ökologischen Paradiesen".

"Für diese Menschen ist der Fluss alles"

Auch aus dem Irak sind Dammgegner gekommen. Das Wasser, das Hasankeyf überschwemmen soll, wird nämlich im Südirak fehlen, in den von Euphrat und Tigris gebildeten Mesopotamischen Sümpfen. Der Sage nach waren sie der Garten Eden. Saddam Hussein ließ das Paradies trocken legen, aus Rache dafür, dass die dort lebenden Schiiten im ersten Golfkrieg 1991 auf Seiten der USA standen. Nach dem Sturz des Diktators wurden seine Dämme durchbohrt und Teile des Gebiets renaturiert. Ein irakisches Wunder. Ilisu und weitere geplante Wehre an Euphrat und Tigris bedrohen die Oase in der Wüste erneut.

In Hasankeyf haben sie jetzt so viele Besucher wie noch nie. Aus der Türkei und aus dem Ausland. "Untergangstourismus", nennt das ein kurdischer Teehausbesitzer. Der Mann erinnert sich, dass Premier Tayyip Erdogan als Oppositioneller auch gegen den Damm gewesen sei. Nun regiert Erdogan seit zehn Jahren und spricht viel vom Energiehunger der Türkei, die fast all ihr Gas und Öl einführen muss. "Wer die Macht hat, ändert eben seine Meinung", sagt der Teekoch bitter.

Was wird er tun, wenn das Wasser kommt? "Weggehen", sagt er, "was sonst?" Auf einem entfernten Hang hoch über Hasankeyf hat die Regierung schon eine neue Stadt bauen lassen, das Minarett ist gut sichtbar aus der alten Stadt. 3000 Menschen müssen hier weg. 55.000 sollen es im ganzen Tal sein, nach einer Studie der europäischen Kreditagenturen von 2008.

In Hasankeyf wirken alle neueren Bauten behelfsmäßig. "Die Leute sind arm hier", sagt ein Mann. "Der Damm ist nur eines ihrer Probleme." Der Mann ist Polizist, in Zivil. Am Abend zeigen sie auf einer Terrasse über dem Tigris den Film "Damocracy", den Doga Dernegi in der ganzen Türkei verbreiten will. Es geht um Tigris und Amazonas. Der türkische Polizist sagt zu den Bildern aus Brasilien: "Für diese Menschen ist der Fluss ja alles." Es klingt, als würde er dies zum ersten Mal verstehen.

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