Umgang mit der NPD im Parlament:Breite Brust oder Nazikeule

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NPD-Abgeordnete provozieren am 13.06.2012 im Sächsischen Landtag mit der bei Neonazis beliebten Modemarke Thor Steinar - und werden kollektiv rausgeworfen. (Foto: picture alliance / dpa)

In den Sechzigerjahren saß die NPD in sieben westdeutschen Landtagen, zurzeit ist sie in zwei ostdeutschen Parlamenten vertreten. Wer die Normalisierung ihrer Präsenz verhindern möchte, der muss damit rechnen, dass die NPD dies auszunutzen versucht. Wie gingen die Abgeordneten anderer Parteien früher mit ihr um, wie tun sie es heute?

Von Cornelius Pollmer und Ronen Steinke

Die letzte Sitzung des sächsischen Landtags vor der Sommerpause dauert für Holger Apfel nur eine Viertelstunde. Seine Fraktion, die NPD, hat einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, Drucksache 5/12143: "Edward Snowden in Deutschland Asyl gewähren." Statt zur Dringlichkeit des Antrags zu sprechen, spricht Apfel über "Abhörmachenschaften" und Grundrechte, die mit Füßen getreten würden. Der Präsident des Landtags entzieht Apfel zunächst das Wort, um 10.15 Uhr sagt er schließlich: "Herr Apfel, ich schließe Sie von dieser Sitzung aus." Die Reaktion des Plenums wird sich im Sitzungsprotokoll später so lesen: "Beifall bei der CDU, den Linken, der SPD, der FDP und den Grünen."

Ein paar Stunden später sitzt Holger Apfel in seinem Büro und lächelt. Der Eklat sei "eine Ausnahme" gewesen. In der Regel "ist es in Sachsen sehr viel schwieriger, Ordnungsrufe zu bekommen". Er sagt das, als bekäme er für den Rauswurf ein Fleißbienchen ins Muttiheft eingetragen.

Seit neun Jahren sitzt die NPD im sächsischen Landtag. Im Umgang zwischen ihr und den anderen Fraktionen hat sich eine seltsame Routine eingestellt. Holger Apfel sagt, seine Fraktion habe "den richtigen Weg gefunden, ab und zu mal einen kleinen Paukenschlag, einen Tabubruch zu inszenieren - aber gleichzeitig Politik nicht als Kaschperletheater zu begreifen". Und Antje Hermenau, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, hält das geräuscharme und geschlossene Auftreten der Abgeordneten gegen die NPD für "genau die richtige Art der Auseinandersetzung".

Möglichst kleiner Resonanzraum

Diese Art sieht so aus: Anträge der NPD werden aus Prinzip abgelehnt, unabhängig von deren Inhalt. Auf die Anträge antwortet in der Regel je ein Mitglied von Regierung und Opposition. Die Parlamentarier boykottieren, drittens, alle öffentlichen Veranstaltungen, zu denen auch ein Abgeordneter der NPD eingeladen ist.

Diese Übereinkunft unterscheidet sich nur graduell und in der Schärfe der Auseinandersetzung vom "Schweriner Weg", dem Konsens der Nicht-NPD-Abgeordneten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Während die Parlamentarier dort der NPD stets heftig und zur Not mit einer kreativen Auslegung der Geschäftsordnung entgegentreten, versuchen die Abgeordneten in Sachsen den Resonanzraum möglichst klein zu halten.

Letzteres ist auch eine Folge der Inszenierungserfolge, die die NPD 2004 nach ihrer Wahl in den Landtag (9,2 Prozent) erzielen konnte. Damals "ging ja wirklich alles schief. Alle mussten lernen, mit der NPD umzugehen, die hatte bis zum Sommer 2005 einfach einen Lauf", sagt Andreas Jahnel, Sprecher der Grünen-Fraktion. Hätte man sich da nicht Rat einholen können, wie mit so einer Fraktion am besten umzugehen sei? "Bei wem denn?", fragt Hermenau zurück. "Bei diesem Wahlergebnis hieß es: Selbst ist der Sachse."

Ihr sei es wichtig zu unterscheiden, "ob eine Partei demokratisch gewählt ist - das ist die NPD. Und ob sie sich demokratisch verhält - das tut sie nicht". In Sachsen werden der Fraktion konsequent alle Rechte und Pflichten zuerkannt, welche die Geschäftsordnung vorsieht. Sie dieser Rechte zu berauben, hieße, ihre Abgeordneten "zu Märtyrern zu machen, und das geht nicht", sagt Hermenau. Kerstin Köditz sagt, sie sei mit dem Ergebnis dieser Strategie "zu 70 Prozent" zufrieden. Köditz ist die Rechtsextremismusexpertin der Linken, und sie bemängelt, "dass es uns nicht gelungen ist, unseren Umgang mit der NPD öffentlich nachvollziehbar zu argumentieren". Damit meint sie zum Beispiel die prinzipielle Ablehnung aller NPD-Anträge. Ziel dieser Strategie sei es, einen Normalisierungsprozess zu verhindern, "aber das haben wir eben nicht kommuniziert".

Und so gibt man der Fraktion um Holger Apfel fast zwangsläufig Raum, sich als Vorbild-Demokraten zu inszenieren. Apfel sagt, er empfinde den Umgang der anderen Parteien mit der seinen als "undemokratisch". Selbst "bei harmlosesten Themen wird die Nazikeule geschwungen. Wir dagegen haben kein Problem, auch mal einem Antrag der Linken zuzustimmen, etwa wenn es um Soziales geht." Breite Brust oder Nazikeule? Der Umgang mit der NPD ist auch eine Frage der Lesart. Und wer die Normalisierung ihrer Präsenz verhindern möchte, der muss damit rechnen, dass die NPD dies auszunutzen versucht.

Dass es im parlamentarischen Umgang mit der NPD keinen Königsweg gibt, sondern nur das beständige Suchen nach einem bestmöglichen, das zeigt auch ein Blick zurück. Ihre größten Wahlerfolge erreichte die NPD bislang ja nicht in den neuen Bundesländern, sondern in den alten. In den Sechzigerjahren zog sie in gleich sieben westdeutsche Landtage ein. Während SPD und Union in Bonn die Große Koalition bildeten und viele Rechtskonservative sich von der "weichgespülten" Union abwandten, gelangen der Partei unter dem Motto "Man kann wieder wählen" zum Teil spektakuläre Wahlerfolge: 1966 in Hessen (7,9 Prozent) und Bayern (7,4 Prozent), 1967 in Rheinland-Pfalz (6,9 Prozent), Schleswig-Holstein (5,8 Prozent), Niedersachsen (7,0 Prozent) und Bremen (8,8 Prozent). Der Aufstieg gipfelte schließlich 1968 in Baden-Württemberg: 9,8 Prozent, Rekordergebnis.

Isolationsstrategie

Als die NPD in den ersten Landtag einzog, in Wiesbaden, stellten sich ihr die übrigen drei Parteien geschlossen entgegen. Sie ließen keinen NPD-Abgeordneten in den Ältestenrat, auch nicht in das Landtagspräsidium oder den Hauptausschuss, dem wichtigsten des Hauses. Sie blockierten die Zuziehung von NPD-Mitgliedern zum Rundfunkrat und zum Aufsichtsgremium der Landeszentrale für politische Bildung. Das Beispiel machte Schule, die Demokraten der anderen Parlamente verhielten sich später ähnlich.

Die Isolationsstrategie der demokratischen Fraktionen war wichtig, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. So betonte der hessische Fraktionsvorsitzende Heinrich Faßbender damals in fast jeder Rede, dass die NPD eine normale, verfassungstreue Partei sei: "Wir Nationaldemokraten sind weder Faschisten noch Nazisten . . . so sind wir konservative Demokraten." Es war der Versuch einer Normalisierung: Wir gehören dazu.

Damals flog die NPD bereits nach einer Wahlperiode aus allen Landtagen heraus. Ein Erfolg der Demokraten? Entscheidend war wohl auch, dass 1969 die Große Koalition auf Bundesebene ein Ende fand. Die Union, die seit 1966 Brandts umstrittene Ostpolitik mitgetragen hatte, stärkte ihren nationalkonservativen Flügel und verschärfte den Ton gegenüber aufsässigen Studenten - damit nahm sie der NPD Raum.

Theatralisches Igittigitt

Die Partei hatte damals noch ein anderes Gesicht: älter, bürgerlicher, kein Frontalangriff auf das System, sondern eher eine schleichende Anbiederung. Es ist ein ähnliches Bild wie jenes, zu dem Holger Apfel heute zurückkehren möchte, unabhängig von der Debatte um ein mögliches Verbot der NPD. Antje Hermenau betrachtet es denn auch als "Aufgabe, der CDU als konservativer Regierungspartei zu zeigen, wo die Grenzen zwischen rechtem Konservatismus und Rechtsextremismus verlaufen". Dazu gehört, dass das theatralische Igittigitt zwischen CDU und Linke, das viele halbwegs aufgeklärte Bürger ohnehin langweilt, zumindest beim Thema NPD einmal beiseitegelassen wird.

Einschränkungen gibt es trotzdem. Etwa, wenn im Innenausschuss das Polizeiverhalten bei Demos gegen Neonazis diskutiert wird und dabei ein Abgeordneter der NPD am Tisch sitzt. Die Linken-Abgeordnete Köditz sagt, sie halte sich dann mit Ratschlägen zurück. Sie fragt sich immer wieder, wie sie sich "richtig" verhalten kann. Aber sie weiß auch: "Die Wahlergebnisse der NPD werden wir damit nicht beeinflussen, da sind andere Dinge maßgeblich."

© SZ vom 24.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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