Türkei:Verbündeter auf Abwegen

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Der türkische Präsident Erdoğan schreitet bei seiner Ankunft zu einer Sondersitzung des Parlaments am dritten Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs eine Ehrenformation ab. (Foto: dpa)

Mit dem Kauf russischer Raketen will Präsident Erdoğan gegenüber den USA und Europa politische Unabhängigkeit demonstrieren. Tatsächlich offenbart er, wie sehr er sich verrannt hat.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

US-Präsident Harry Truman versuchte Ende der Vierzigerjahre, mit militärischer und wirtschaftlicher Hilfe zu verhindern, dass Griechenland und die Türkei in den Einflussbereich der Sowjetunion fallen. Und die Türkei trat aus Furcht vor Stalins Begehrlichkeiten der Nato bei und ist seither ein strategischer Verbündeter der USA. Sie bildet zusammen mit Athen die südöstliche Flanke der Verteidigungsallianz. Heute bemisst sich die Bedeutung der Türkei mehr in ihrer Rolle im erweiterten Nahen Osten, der vor allem für Europa von großer politischer Relevanz ist.

Doch das Verhältnis zwischen Ankara und den USA, aber auch dem Westen, ist schlecht wie selten zuvor. Der Streit um den Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400, vorangetrieben von einem trotzerfüllten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, ist das sichtbarste Zeichen hierfür - und ein Triumph für Russlands Präsident Wladimir Putin. Erdoğan hätte durchaus Alternativen gehabt. Doch er ist getrieben von Misstrauen gegen die USA. Die Entfremdung hat einen Grund darin, dass sie auch unter Präsident Donald Trump den Prediger Fethullah Gülen nicht ausliefern, den Erdoğan als Drahtzieher des Putsches im Jahr 2016 sieht. Und in der Kooperation der USA mit den Kurden in Syrien, die Erdoğan als verlängerten Arm der PKK betrachtet.

Geplatzter "F-35"-Deal
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Weil die Türkei ein russisches Raketenabwehrsystem nutzt, soll sie keine US-Kampfjets vom Typ "F-35" bekommen. Das Außenministerium in Ankara findet das "unfair".

Den USA bleibt nichts als die Türkei wie angedroht aus dem Programm für das Kampfflugzeug F-35 zu werfen. Der Tarnkappenjet ist das Rückgrat der US-Luftstreitkräfte für die nächsten Jahrzehnte und auch vieler Nato-Verbündeter. Zu groß ist das Risiko, dass geheime Informationen über die Fähigkeiten des Fliegers an Russland abfließen. Putin erklärt schon freudig, Moskau könne der Türkei auch Kampfflugzeuge liefern. Ungleich höher als der wirtschaftliche Nutzen ist für ihn dabei der politische, die Türkei langsam aus der Nato herauszulösen. Denn die Allianz zu schwächen ist das eigentliche Ziel in Moskau.

Die Nato muss Geduld zeigen mit ihrem schwierigen Partner

Der Hebel dafür sind nicht die veränderten strategischen Interessen der Türkei, denn die sind in vielen Fällen nach wie vor nur schwer mit denen Russlands in Einklang zu bringen. Das gilt in Syrien, im Kaukasus, im Schwarzen Meer oder auch in Zentralasien, wo Ankara und Moskau als Konkurrenten auftreten. Historisch haben die beiden Mächte die meiste Zeit im Clinch gelegen, etliche Kriege gegeneinander geführt. Doch Putin umgarnt Erdoğan persönlich, empfing ihn nach dem gescheiterten Putsch 2016 und bot ihm das Luftabwehrsystem an. Die beiden eint die Sehnsucht nach vergangener Größe einstiger Reiche.

Spitz bemerken Erdoğans Kritiker, der selbstherrliche Präsident setze auf russische Raketen, um die in den USA produzierten Kampfjets seines Militärs abschießen zu können - und seine zunehmend autoritäre Herrschaft damit gegen einen weiteren Putsch abzusichern. Zweifellos will er gegenüber den USA und Europa politische Unabhängigkeit demonstrieren. Doch was als Zeichen der Stärke gedacht ist, legt offen, wie sehr sich Erdoğan verrannt und die Türkei ins Abseits manövriert hat. Schon beim Blick auf Syrien wird klar, wie zwiespältig das Verhältnis zu Russland in Wahrheit ist. Für die Nato heißt es, strategische Geduld zu zeigen. Die Türkei wird auf absehbare Zeit ein schwieriger Partner bleiben. Aber Erdoğans Eitelkeiten sollten die Bündnisarchitektur nicht ins Wanken bringen.

© SZ vom 19.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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