Tarifeinheit:Fragezeichen

Das Bundesverfassungsgericht hebt hervor, welche "gewichtigen Nachteile" den kleinen Gewerkschaften drohen. Es setzt damit ein dickes verfassungsrechtliches Fragezeichen hinter das Gesetz.

Von Wolfgang Janisch

Eine Schonfrist hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetz zur Tarifeinheit gewährt. Viel mehr kann die große Koalition aus dem Beschluss nicht zu ihren Gunsten herausdeuten - obwohl Karlsruhe den Kleingewerkschaften einen vorläufigen Schutz vor ihrer (vom Gesetzgeber gewollten) Marginalisierung versagt hat. Eher ist das Gegenteil der Fall: Indem das Gericht hervorhebt, welche "gewichtigen Nachteile" den kleinen Gewerkschaften drohen, setzt es ein dickes verfassungsrechtliches Fragezeichen hinter das Gesetz.

Überraschend kommt das nicht, viele Juristen haben eindringlich davor gewarnt, Gewerkschaften in zwei Klassen einzuteilen - die großen, die Tarifverträge abschließen dürfen und die kleinen, die bedeutungslos daneben sitzen. Denn das Grundgesetz schützt die "Koalitionsfreiheit" der Arbeitnehmervertretungen, und zwar auch dann, wenn sie - wie bei Piloten oder Lokführern - zu den eher nervigen Vertretern ihrer Spezies gehören.

Sollte das Gesetz am Ende für nichtig erklärt werden (was zu wünschen wäre), dann scheitert es an einem grundlegenden Webfehler. Die Regierungskoalition hat das Richtige gewollt und das Falsche getan. Man wollte jene Streiks eindämmen, die wichtige Teile der Infrastruktur lahmlegen. Dazu benötigt man aber kein Gesetz zur Austrocknung von Minigewerkschaften, sondern Notfallklauseln gegen die - eher seltenen - exzessiven Streiks. Nur hat sich ans Streikrecht noch kein Gesetzgeber getraut.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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