Syriza:Wenn selbst die Hoffnung stirbt

Eine Welle der Euphorie hatte Alexis Tsipras Anfang des Jahres in das Amt des Premiers gespült. Nun sind viele seiner Anhänger zutiefst enttäuscht. Nicht ohne Grund.

Von Mike Szymanski, Athen

Es ist die Geschichte bitterer Enttäuschung. Die Geschichte großer, wohl viel zu großer Erwartungen, die Geschichte geplatzter Träume und nicht erfüllter Hoffnungen. Die Geschichte einer gewaltigen Ernüchterung. Christos Thanos erzählt sie, ein Schauspieler und Regisseur, Costas Lapavitsas, ein smarter Ökonom, und auch Alekos Alavanos, ein linker Politveteran. Und in all ihren Geschichten spielt ein Mann die unrühmliche Hauptrolle, ein Mann, den sie einst als Helden gefeiert hatten: Griechenlands bisherigen Premier Alexis Tsipras.

Alekos Alavanos, 65, sitzt in der Zentrale seiner politischen Bewegung Plan B. Er ist ein Veteran der radikalen Linken seines Landes. Der 65-Jährige rühmt sich damit, dass die Polizei sich nicht in diese Nebenstraße im Szeneviertel Exarchia traue. Alavanos hat Syriza aufgebaut. Das war einmal seine Partei, die mit Tsipras im Januar an die Macht kam. Er war es, der Tsipras entdeckt hatte. Alavanos schickte ihn 2006 als Bürgermeisterkandidaten für Athen in die Kommunalwahl. 10,5 Prozent, aus dem Stand. 2008 hat er ihm dann alles gegeben: Syriza. Gegen Widerstände. "Ich dachte, eine neue Generation wird Syriza helfen, sich zu entwickeln." Jetzt muss er zuschauen, wie Tsipras seine Partei abwickelt. "Ich bin durch mit Syriza."

Der Hörsaal der Athener Wirtschaftsuni. Hier spricht an diesem Spätsommerabend Professor Costas Lapavitsas. Ein wortgewandter Wirtschaftswissenschaftler im weißen Polohemd, 54 Jahre alt. Er, sagt er, hätte den Grexit durchgezogen. Die Drachme sei doch eine Chance, keine Katastrophe. Weil Tsipras das anders sieht, macht Lapavitsas jetzt Politik gegen ihn in einer Abspaltung von Syriza, Volkseinheit heißt sie. Lapavitsas sagt: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein Vorsitzender der Linken nicht nur das eigene Programm nicht umgesetzt hat, sondern die Politik der anderen betreibt."

Tsipras wollte nicht nur sein Land, er wollte auch Europa ändern.

Der Schauspieler und Regisseur Christos Thanos, 39 Jahre alt und bis vor Kurzem glühender Anhänger des griechischen Ministerpräsidenten, steht vor einem geschlossenen Theater in der Athener Innenstadt und sagt: "Wir sind taub. Wir spüren überhaupt nichts mehr."

An diesem Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament. Womöglich ist es das Aus für Tsipras, das Ende einer linken Träumerei. In den Umfragen liegt Syriza Kopf an Kopf mit der konservativen Nea Dimokratia. Erst im Januar hatten die Griechen das letzte Mal gewählt. Damals machten sie Tsipras zum Premier, weil er die erdrückende Sparpolitik beenden wollte, die die europäischen Kreditgeber seinem verschuldeten Land aufgezwungen hatten. Der 41-Jährige wollte den Griechen Stolz und Selbstachtung zurückgeben. Tsipras wollte nicht nur Griechenland verändern. Er wollte, dass in Europa etwas grundlegend anders läuft. So gut wie keines seiner Versprechen hat Tsipras einlösen können.

Stattdessen hat er von seinen Verhandlungen mit den Geldgebern das dritte Sparpaket nach Hause gebracht. Eines, das es in sich hat: Steuern rauf. Renten runter. Noch mal weniger Staat für die Bürger. Wirtschaftlich geht es Griechenland schlechter als noch im Januar. Die Banken müssen saniert werden. Die Geldausgabe am Automaten ist limitiert. Und die Selbstbestimmung? Was Athen in den nächsten Jahren zu tun und zu lassen hat, steht in der Vereinbarung mit den Geldgebern über die etwa 86 Milliarden Euro, die das Land an Hilfe erhält.

Griechenland wählt schon wieder, weil diese Politik so nicht verabredet war. Mehr noch, weil sie unter Tsipras einfach nicht vorstellbar war. Er sagt, er hatte keine andere Wahl. Er hatte keine eigene Mehrheit im Parlament mehr. Die eigenen Leute rebellierten. Die Beschlüsse für das dritte Hilfspaket konnte der Premier nur mit den Stimmen der Opposition verabschieden. Dann trat er zurück.

Verzweiflung und Erniedrigung - jene Stimmung, die Tsipras an die Macht brachte

Regisseur Thanos hätte nicht dramatischer auf die Bühne bringen können, was die Realität inszenierte. Dabei hatte der Theatermann auf einen Politiker wie Tsipras gewartet. Geradezu sehnsüchtig. Als sich vor fünf Jahren die Krise bleischwer über Griechenland legte, hatte Thanos seine große Inspiration gefunden. Mit seinem Künstlerkollektiv Emeis schrieb er ein Theaterstück. Es handelt von Verzweiflung und Erniedrigung - genau jener Stimmung, die Tsipras an die Macht brachte.

Das Bühnenbild ist schlicht. Ein karger Raum. Vier weiße Plastikstühle. Zwei Männer, zwei Frauen - vier Arbeitslose, die sich um einen Job bewerben. Thanos spricht die Stimme aus dem Off, den Arbeitgeber. Es geht harmlos los. Ein paar Fragen zur Ausbildung. Anfangs ist das Stück komisch. Aber nicht lange. "Wenn ich behinderte Menschen einstelle, bekomme ich Zuschüsse", sagt die Stimme. Einer der Bewerber bietet an, sich den kleinen Finger abzuschneiden, ein anderer würde seinen Arm für den Job hergeben. Die Stimme sagt ungerührt: "Der kleine Finger genügt."

Ein beklemmendes Stück. Thanos erzählt, dass er es absetzen wollte nach dem Wahlsieg von Syriza im Januar. Jetzt wird alles besser, dachte er. "Kann man da so ein Stück noch bringen?" Nun weiß er die Antwort. Er muss es bringen. Es steht wieder auf dem Programm für die nächste Spielzeit. Nur ein neues Theater musste er sich suchen. Die alte Spielstätte ist pleite.

Die linke Abspaltung "Volkseinheit" macht Syriza das Leben schwer

Es ist so viel kaputt gegangen in den vergangenen sieben Monaten. Leute wie Thanos, die im vergangenen Jahr noch alles für Tsipras stehen und liegen ließen, weil sie glaubten, "bei etwas Großem" dabei sein zu können, bleiben dieses Mal wohl zu Hause. Vor allem die 18- bis 44-Jährigen kehren Tsipras den Rücken. 43 der 71 Mitglieder des Vorstands der Syriza-Jugend sind zurückgetreten. Die zarten Wurzeln verkümmern, die die Partei in der Bevölkerung schlagen konnte. Der komplette Parteiapparat funktioniert nicht mehr richtig. Tsipras' Partei liegt am Boden. Die linken Rebellen haben sich abgespalten und machen Tsipras mit ihrer politischen Kampftruppe Volkseinheit das Leben schwer. Jeden Tag erinnern sie die Griechen allein durch ihre Existenz daran, dass Tsipras ihnen zu viel versprochen hat.

Die Linke ist tief zerstritten. "Syriza ist am Ende", sagt der Ökonom Lapavitsas. "Tsipras hatte die falsche Strategie, und er hat dran geglaubt." Wer jetzt radikale Veränderungen wolle, müsse Volkseinheit wählen. Und Tsipras' einstiger Ziehvater Alavanos sagt: "Jede Partei verspricht viel. Tsipras hat Unmögliches versprochen." Die Sparpolitik zu beenden und im Euro zu bleiben - das gehe eben nicht. Aus seiner Sicht hat Tsipras eine "große Niederlage für die gesamte Linke" zu verantworten.

In Thanos' Theaterstück wäre Tsipras derjenige, der sich vor die Arbeitslosen stellen müsste und sagt: "Stopp! Bis hierhin und nicht weiter!" Aber Thanos hat keinen solchen Helden vorgesehen. Das Stück endet mit Thanos' Stimme, die zu den Bewerbern sagt: "Wir melden uns." Eine Ende ohne Hoffnung.

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