Syrien nach dem Scheitern der UN-Resolution:Warum Assads Regime den Aufstand nicht überleben wird

Noch lässt der Damaszener Herrscher sein Volk weiter zusammenschießen - ungestraft. Doch Assads Tage sind gezählt. Die Frage ist: Wie geht es weiter in Syrien, wo eine Versöhnung nach elf Monaten mit Tausenden Toten unvorstellbar ist und ein Militärputsch den Aufständischen nicht helfen würde? Das syrische Volk hat erschreckende Perspektiven.

Tomas Avenarius

Syriens Präsident kann sich zurücklehnen. Dank des Doppelvetos von Russland und China ist der UN-Sicherheitsrat machtlos: Der Rat wird Baschar al-Assad und sein Regime - vorerst? - nicht als Schlächterbande verurteilen. Das oberste Aufsichtsorgan der Weltgemeinschaft erweist sich als erschreckend zahnloses Instrument. Und das, obwohl Assads Armee, als Prolog zur New Yorker Abstimmung, ein beispielloses Massaker angerichtet zu haben scheint. Russen und Chinesen haben sich von Hunderten Toten und Verletzten in der aufständischen Stadt Homs bei der Veto-Entscheidung nicht beeindrucken lassen. Politische und wirtschaftliche Interessen wogen schwerer als das elementarste Menschenrecht: der Schutz des Lebens.

Syrien nach dem Scheitern der UN-Resolution: Ein Bild von Assad, eine russische Fahne - bespritzt mit roter Farbe. Viele Syrer geben Russland die Schuld an dem Blutvergießen in ihrem Land.

Ein Bild von Assad, eine russische Fahne - bespritzt mit roter Farbe. Viele Syrer geben Russland die Schuld an dem Blutvergießen in ihrem Land.

(Foto: AFP)

Der Damaszener Herrscher kann den aufständischen Teil seines Volkes also fürs Erste weiter zusammenschießen lassen, ungestraft. Das ist ein Skandal, und jeder weiß es. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eine Mehrheit oder eine Minderheit der Syrer ist, die seit elf Monaten gegen Assads Regime protestiert: Auch Minderheiten haben ein Recht auf politische Partizipation. Ebenso wenig entscheidend ist, dass ein Teil der Aufständischen Gewalt anwendet. Unter den Armeeopfern von Homs sind Frauen und Kinder. Davor wurden regimekritische Sänger, Blogger und Zeichner zu Tode gefoltert. Sie alle hatten keine Waffe in der Hand, als sie starben.

Syriens Präsident lässt seine Bürger ermorden, weil sie anderer Meinung sind als er, weil sie ihm seine seit zehn Jahren unerfüllten Reformversprechen nicht länger glauben. In Syrien beschränkt sich die Arabellion nicht auf einen Frühling, in Syrien wird das Blutbad das ganze Jahr über angerichtet. Das Regime wird den Aufstand eben deshalb nicht überleben, selbst wenn Russen und Chinesen das Ende hinauszögern: Versöhnung ist in Syrien nach so vielen Opfern kaum noch vorstellbar, solange der Präsident an der Macht ist.

Die Frage ist, wann und wie dem Regime die Luft ausgeht. Die Aufständischen sind auch nach fast einem Jahr zu schwach und zersplittert, um die Wende zu erzwingen. Teile der christlichen und alawitischen Minderheiten halten dem Staatschef aus Prinzip die Treue, andere nur noch aus Angst. Aber sie tun es. Die schweigende Sunniten-Mehrheit hat sich noch nicht entschieden - auch das stützt das Regime. Dies wird vorerst so bleiben, solange die Armee in Reih und Glied schießt und die Nachbarstaaten den Rebellen keine Waffen liefern.

Aber wie lange will die Armee das Massaker an den eigenen Bürgern noch fortsetzen? Jeder Soldat hat Geschwister oder Freunde, sie stehen möglicherweise auf der anderen Seite der Barrikade. Die mehreren tausend Fahnenflüchtigen, die als "Freie Syrische Armee" gegen das Regime kämpfen, haben ihre Entscheidung getroffen. Andere werden ihnen folgen.

Islamisten werden die Macht einfordern

Irgendwann wird Assads Truppe zerfallen. In einem multireligiösen und multiethnischen Staat mit mehr als 20 Millionen Menschen ist das der Brandbeschleuniger hin zum Bürgerkrieg. Die Alternative wäre, dass eine Handvoll Offiziere das tut, was in Syrien Tradition hat: putschen. Der Opposition wäre damit kaum geholfen. Die neuen Herrscher hätten kein Interesse an einem demokratischen Staat, sondern am Erhalt eines militarisierten Regimes, das dem Assads ähneln würde: siehe Ägypten und die pseudo-revolutionären Ex-Mubarak-Generäle.

Ein Bürgerkrieg über Jahre oder ein bleiernes Putschisten-Regime mit neuen Namen: Nach elf Monaten Aufstand und Tausenden Toten sind das erschreckende Perspektiven. Vor allem aber: Wo bleiben die Anliegen der Opposition? Sie geht todesmutig für all das auf die Straße, was der Westen so gerne hört: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte. Daraus wird in Syrien aller Voraussicht nach erst mal nicht viel werden. In der Opposition mögen jetzt Mitglieder der christlichen und der anderen Minderheiten nebeneinander stehen. Aber die Mehrheit im Land sind Sunniten. Sie sind nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch das Regime und durch die blutige Reaktion auf ihren Aufstand radikalisiert. Ist Assad erst einmal aus seinem Palast vertrieben, wird in Syrien geschehen, was in Libyen und in Ägypten passiert ist: Islamisten werden die Macht einfordern.

Assad geht, eine Einheitsregierung kommt

Ein islamisches Regime wäre immer noch besser als Bürgerkrieg. Aber in Syrien mit 40 Prozent nichtmuslimischen Bürgern und vielen Säkularen würde eine Machtübernahme der Islamisten nur neue Gewalt provozieren. Das Assad-Regime hat die Spannungen zwischen den Volksgruppen über Jahrzehnte hinweg erfolgreich unterdrückt. Beseitigt hat es sie nie. Am Ende bleibt den Syrern also nur der Dialog - auch und selbst mit Assad.

Der arabische Friedensplan, der im Sicherheitsrat gescheitert ist, hätte die Grundlage für einen runden Tisch zwischen Regime und Opposition geboten: Assad geht, eine Einheitsregierung kommt, und dann wird gewählt. Das ist die einzige Chance. Der Präsident muss einsehen, dass er keine Zukunft mehr hat in seinem Land. Und die Opposition sollte erkennen, dass sie einem bitteren Ende entgegensieht, wenn sie weiter nach dem Prinzip alles oder nichts verfährt.

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