"Stuttgart 21":Im Tunnel der Angst

Zehn Jahre Bauzeit und mindestens 6,1 Milliarden Euro Kosten: Warum Baden-Württemberg bereit ist, beinahe jeden Preis für das gigantische Projekt "Stuttgart 21" zu zahlen.

Bernd Dörries

Es gibt das Lied von der Schwäbischen Eisenbahn, die sich gemütlich durch das Ländle schlängelt: "Auf de schwäbsche Eisebohne geit es viele Statione: Stuegert, Ulm ond Biberach, Meckebeure, Durlesbach. Trula, trula, trula la, trula." Das Lied stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und man kann sagen, dass es die Zugstrecke zwischen Stuttgart und Ulm noch heute recht treffend beschreibt. Hier quält sich selbst der ICE mit nur 80 Kilometern die Schwäbische Alb hinauf.

"Stuttgart 21": Mehrere hundert Menschen protestierten im Stuttgarter Hauptbahnhof gegen den Beginn der Bauarbeiten für eines der größten Bahnprojekte Deutschlands.

Mehrere hundert Menschen protestierten im Stuttgarter Hauptbahnhof gegen den Beginn der Bauarbeiten für eines der größten Bahnprojekte Deutschlands.

(Foto: Foto: dpa)

Die Schwaben, die immer die Besten und Schnellsten sein wollen, ärgert diese Rückständigkeit schon lange. Oft haben Landespolitiker hier gelästert, dass man im Osten tolle neue Straßen habe, aber keinen Verkehr, während im Südwesten die Infrastruktur zusammenbreche. Das Projekt Stuttgart 21 wird hier auch als ein Stück innerdeutscher Gerechtigkeit gesehen.

Ein Jahrzehnt und 6,1 Milliarden Euro

Wenn man nur die sieben Bundesverkehrsminister, vier Bahn-Chefs und drei Ministerpräsidenten eingeladen hätte, die sich im Lauf der Zeit mit diesem Projekt beschäftigt haben, dann wäre die Bahnhofshalle beim feierlichen Baubeginn für Stuttgart 21 schon zu einem guten Teil gefüllt gewesen. Fast 20 Jahre lang haben Bahn und Politik an diesem Projekt gearbeitet, und zum Schluss haben sie behauptet, es lasse sich schon allein deshalb nicht mehr rückgängig machen, eben weil schon so lange daran gearbeitet und geplant wurde und weil Hunderte Millionen Euro ausgegeben wurden.

Im Video: Mit einem symbolischen Akt haben am Dienstag die Bauarbeiten für Stuttgart 21 begonnen. Doch die Verlegung des Hauptbahnhofes unter die Erde ist umstritten.

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Insgesamt 6,1 Milliarden Euro sollen Stuttgart 21 und die ICE-Strecke nach Ulm nun kosten: Dafür gibt es insgesamt 120 Kilometer neue Gleise, davon 63 im Tunnel und 28 Brücken. Der bisherige Stuttgarter Hauptbahnhof kommt unter die Erde, aus einem Sackbahnhof wird eine Durchgangsstation mit acht statt bisher 16 Gleisen. Der neue Bahnhof und die anschließende Bebauung der 100 Hektar frei werdenden Gleisflächen sollen 7000 neue Arbeitsplätze bringen.

Endgültige Rechnung frühestens 2019

Ein Jahrzehnt lang werden sich die Bohrmaschinen unter der Stadt und der Schwäbischen Alb durchfräsen. Der Flughafen und die Messe bekommen einen ICE-Bahnhof: Bisher dauerte es mit der S-Bahn quälende 27 Minuten von der Innenstadt bis dorthin, künftig sollen es nur noch acht sein. Vom Flughafen führt die Strecke weiter nach Wendlingen, von dort wird entlang der A 8 eine völlig neue Trasse bis nach Ulm gebaut. Die Fahrzeit von Ulm nach Stuttgart wird sich von 54 auf 28 Minuten fast halbieren. Die Strecke ist Teil der geplanten Hochgeschwindigkeitsmagistrale von Paris nach Budapest. In Baden-Württemberg hatte man große Angst, im Falle eines Scheiterns von Stuttgart 21 großräumig umfahren zu werden.

Deshalb war Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) bereit, jeden Preis zu zahlen. Es ist ziemlich einmalig, dass ein Bundesland die Hälfte der Baukosten einer Hochgeschwindigkeitsstrecke übernimmt, eigentlich eine reine Bundesaufgabe. Mindestens eine Milliarde Euro zahlt die Landesregierung für den Bauabschnitt der ICE-Strecke von Wendlingen nach Ulm. Sonst hätte sie noch Jahrzehnte auf eine Fertigstellung warten müssen, bis im Bundeshaushalt wieder freie Mittel vorhanden sind. Die Schwäbische Alb birgt aber noch Risiken, fast nichts mögen die Tunnelbauer so wenig wie das dortige Kalkgestein.

Die Kritiker des Projekts glauben, dass Stuttgart 21 und die Schnellbahnstrecke viel teurer werden als behauptet. Der Münchner Verkehrswissenschaftler Martin Vieregg, dessen Berechnungen auch mit zum Aus des Transrapid beigetragen hatten, erwartet Mehrkosten von bis zu drei Milliarden Euro. Winfried Hermann, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, befürchtet sogar Gesamtkosten von zwölf Milliarden Euro.

Eine Allianz von Gegnern aus Grünen, dem BUND, Architekten und Verkehrsplanern hat das Gegenkonzept Kopfbahnhof 21 entwickelt, das die bisherige Station erhalten und kostengünstiger sanieren will. Die Schnellbahnstrecke nach Ulm wollen sie ebenfalls bauen, aber kosten- und verkehrsgünstig an Stuttgart anbinden: mit weniger Tunnelbauten und dem Ausbau bestehender Schienen. Für die Gegner des Projekts ist die Untertunnelung des Bahnhofs ein viel zu groß geratenes Prestigeprojekt, das viel Geld absorbiere, das dann an anderer Stelle für wichtige Bahnprojekte fehle. Die Bahn hingegen behauptet, die Alternative käme auch nicht billiger. Die endgültige Rechnung wird mit Fertigstellung frühestens 2019 präsentiert.

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