Studie:Schnuppern und schnappen

Hunde beißen gerne ängstliche Menschen - und Männer.

Von Werner Bartens

Von der avisierten Laufbahn als Briefträger nehmen sie früh Abstand; stört ein kläffender Cockerspaniel ihre Kreise, wechseln sie die Straßenseite, und bei der Joggingrunde ändern sie schon mal abrupt die Richtung. Menschen mit Hundeangst haben sich darauf eingestellt, jederzeit Umwege in Kauf zu nehmen, um ihren zähnefletschenden Peinigern auszuweichen. Ist die Konfrontation mit dem Tier dennoch unumgänglich, bekommen sie von menschlichen Begleitern gerne den Rat: "Wenn der spürt, dass du Angst hast, beißt er erst recht."

Danke, guter Tipp! Jogger verzweifeln unterdessen, wenn sie schon wieder hören: "Der tut nichts, der will doch nur spielen." Mitunter kommt es zu hitzigen Wortgefechten und Aggressionen, wenn Hundehalter und Hundegegner aufeinandertreffen. Die eine Seite versteht nicht, warum sich das Tier nicht auch in der Natur austoben soll - die andere sieht nicht ein, warum sie es für den Freiheitsdrang der Kreatur hinnehmen soll, beschnuppert, vollgesabbert oder angesprungen zu werden.

Zu allem Übel bekommen Hundeskeptiker jetzt Gegenwind aus der Forschung. Hunde "merken" offenbar tatsächlich, wie es um die Gemütsverfassung der Passanten und Trimm-dich-Freunde bestellt ist, denen sie begegnen. Das legt eine Studie der University of Liverpool nahe. Wer ängstlich, introvertiert, leicht neurotisch, kurz: emotional instabil ist, wird demnach häufiger von Hunden gebissen als jene in sich ruhenden Tierfreunde, die jedem fremden Kläffer sofort den Kopf tätscheln und ihm balgend ins Maul fassen: Steigt auf einer Skala von 1 bis 7 die seelische Labilität um einen Punkt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für einen Hundebiss um 23 Prozent.

Die Untersuchung im Journal of Epidemiology and Community Health bringt weitere überraschende Ergebnisse. Männer werden demzufolge deutlich häufiger gebissen als Frauen - und zwar fast doppelt so oft. Diese Erkenntnis stellt die Wissenschaftler vor Rätsel, denn Männer schätzen sich selbst als emotional weitaus stabiler ein als Frauen. Deshalb stimmt entweder die Selbstwahrnehmung der Männer nicht, und einzig die Hunde durchschauen, wie brüchig die männliche Pose ist. Oder Hunde reagieren nicht nur auf scheue, ängstliche Zeitgenossen aggressiver, sondern eben besonders auf Männer. Die britische Studie entkräftet ein weiteres gängiges Vorurteil. In der aktuellen Analyse zeigt sich, dass 55 Prozent der Hundebisse von fremden Hunden stammten. Bisher galt die Annahme, dass es meist "Familienhunde" sind, die eben auch mal nach Herrchen oder Frauchen schnappen.

Die Epidemiologen und Tierärzte um Carri Westgarth fordern zur Prävention von Hundebissen, dass Persönlichkeit und Verhalten der Opfer stärker berücksichtigt werden sollten - doch das klingt verdächtig so, als ob die Schuld wieder nicht bei Hund oder Hundehalter gesucht werden müsse, sondern bei dem, der schon den Schaden hat.

Ein Trost bleibt immerhin: Ärztlich versorgt werden muss nur ein Drittel aller Menschen mit Hundebissen, eine Klinikeinweisung ist sogar nur bei weniger als einem Prozent der Gebissenen notwendig.

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