Straßenbau:Autobahn ins Grundgesetz

Viele Fernstraßen in Deutschland sind marode. Künftig will sich der Bund selbst darum kümmern - mit privaten Geldgebern.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die heftigen Proteste gegen die angeblich geplante Privatisierung der Wasserversorgung sind der Bundesregierung in unguter Erinnerung. Es kommt daher nicht überraschend, dass sie in diesen Tagen penibel darauf achtet, nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, dass demnächst deutsche Autobahnen privatisiert werden. Vertraulich redet das Bundeskanzleramt gerade mit Ministerien sowie den Staatskanzleien der Bundesländer darüber, wie deutsche Autobahnen künftig finanziert, gebaut, erhalten und bewirtschaftet werden. Die Gespräche drehen sich auch um heikle Angelegenheiten wie diese: Werden sich private Geldgeber an deutschen Autobahnen beteiligen? Und: Werden Pkw-Fahrer dann ein Entgelt zahlen müssen, wenn sie die Autobahnen nutzen?

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums versichert am Freitag, die Position des Ministers Sigmar Gabriel (SPD) sei klar. "Es wird weder eine Privatisierung von Straßen noch der Bundesfernstraßengesellschaft geben."

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schlägt in dem Bericht zur Reform der Bundesautobahnen vor, dass sich Private am Bau und Erhalt von Straßen beteiligen können, etwa über Kredite für Projekte, keinesfalls aber über Privatisierungen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sorgt sich um zu hohe Belastungen des Bundeshaushaltes und ist grundsätzlich gesprächsbereit darüber, privates Kapital an einer Bundesverkehrsgesellschaft zu beteiligen.

Der deutsche Straßenbau soll neu organisiert werden. Anlass ist dessen miserabler Zustand. Zwei Drittel der Brücken sind renovierungsbedürftig, Tausende Brückenabschnitte marode. Baustellen und Sperren blockieren den Verkehr. Vor der Rheinbrücke bei Leverkusen etwa hindert eine automatische Sperranlage Lkws am Weiterfahren auf der A 1. Schranken schließen sich vor jedem Fahrzeug mit mehr als 3,5 Tonnen Gewicht, um ein Fahrverbot durchzusetzen. Seit vier Jahren geht das so.

Blick auf Unna über das Autobahnkreuz Unna A1 und A44 Unna Ruhrgebiet Nordrhein Westfalen Deutsc

Der Abschied von der Planungshoheit im Fernstraßenbau fällt den Ländern schwer. Der Bund als Geldgeber will diese Aufgaben in einer Infrastrukturgesellschaft bündeln. Im Bild ein Autobahnkreuz bei Unna in Nordrhein-Westfalen.

(Foto: Hans Blossey/imago)

Das alte System, wonach der Bund das Geld gibt, aber nichts zu sagen hat, wird abgeschafft

Der Stau an der Rheinbrücke hilft, das Grundproblem des deutschen Straßenbaus zu verstehen. Das Geld für die Sanierung ist da. Aber es fehlt an Planern in den Ländern. Einige Dutzend Ingenieure bräuchte Nordrhein-Westfalen, doch der Markt ist leergefegt. Und das Land kann es sich schlicht nicht leisten, in seiner Verwaltung ausreichend Planer dauerhaft zu beschäftigen. Man könne am Zustand der Fernstraßen auf die Haushaltskasse des Landes schließen, heißt es in Verhandlungskreisen.

Nach mehr als sechs Jahrzehnten haben sich Bund und Länder durchgerungen, alle Aufgaben in einer Bundesfernstraßengesellschaft zu bündeln. Das alte System, wonach der Bund das Geld gibt, dann aber nichts mehr zu sagen hat, weil die Länder planen und die Straßen von privaten Unternehmen bauen lassen, wird abgeschafft. Künftig gilt: Der Bund gibt die Milliarden, und er hat das Sagen beim Planen und Beauftragen.

Bis es so weit ist, dürften Jahre vergehen. Die Widerstände sind heftig. Die Länderchefs haben sich zwar viel Geld dafür bezahlen lassen, ihre Planungskompetenzen abzutreten. Mehr als neun Milliarden Euro muss die Bundesregierung ab 2020 zusätzlich an die Länder zahlen. Dafür, dass sie die Autobahnen verwalten darf.

Aber sie hadern mit dem Verlust ihrer Hoheitsrechte. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) wusste am Donnerstag kaum noch, warum er dem Deal zugestimmt hatte. "Ich kann den Vorteil einer solchen Verlagerung nicht sehen", sagte er auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Rostock. Ein wenig bedrohlich hörte sich gar Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an: "Diese Infrastrukturgesellschaft wird unsere volle Aufmerksamkeit erfordern."

12 900 Kilometer

lang ist das Autobahnnetz in Deutschland im Jahr 2015 gewesen. Die Gesamtlänge verändert sich seit vielen Jahren kaum. Immer wieder werden aber einzelne Abschnitte mehrspurig ausgebaut. 3,5 Milliarden Euro gibt der Bund pro Jahr für Bau und Erhalt der Autobahnen aus. Das gesamte überörtliche Straßennetz mit Kreis-, Landes- und Bundesstraßen sowie Autobahnen umfasst insgesamt mehr als 230 000 Kilometer.

Rein formal sind die nächsten Schritte klar, die zu tun sind, bis feststeht, ob Autobahnen mittelfristig privat betrieben - und womöglich Maut kassiert werden soll. Die Verfassung muss geändert werden. In Artikel 90 des Grundgesetzes soll das unveräußerliche Eigentum des Bundes an den Bundesautobahnen verankert werden. Dazu wird ein Gesetz zur Gründung der Infrastrukturgesellschaft nach privatem Recht beschlossen - und umgesetzt. Die ersten beiden Schritte sollen in dieser Legislatur getan werden, die Gesellschaft selbst wird erst in der nächsten Legislaturperiode einsatzfähig sein.

Wenn überhaupt. An diesem Freitag wurde deutlich, wie umstritten das Vorhaben innerhalb der Bundesregierung ist. Bei Redaktionsschluss hatten sich Vertreter der Ministerien informell noch nicht auf die Formulierungen für die Verfassungsänderung einigen können. Und auch nicht darüber, ob die Bundesfernstraßengesellschaft als GmbH, wie vom Verkehrsministerium vorgeschlagen, oder als Aktiengesellschaft wie die Deutsche Bahn gegründet werden soll. Die Aktiengesellschaft lässt die Beteiligung privater Kapitalgeber zu. Umstritten war weiterhin, ob nur Bundesautobahnen oder auch Bundesfernstraßen in die Gesellschaft aufgenommen werden. Angesichts der laufenden Beratungen könne man sich zu Details "leider nicht äußern", erklärt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums am Freitag. Es hört sich an, als habe er für alle Unterhändler gesprochen.

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