Straffällige Asylbewerber:Wer wann gehen muss

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Abschiebungen finden häufig per Flugzeug statt. (Foto: dpa)

Nach den Attacken junger Asylbewerber in Amberg erwägt Innenminister Seehofer strengere Abschieberegelungen. Für die zwangsweise Ausreise von Ausländern gibt es detaillierte Regeln. Ein Überblick.

Von Bernd Kastner

Ohne Anlass sollen sie losgeschlagen haben: In Amberg haben vier junge Asylbewerber am Samstagabend laut Polizei wahllos Passanten attackiert und verletzt. Die mutmaßlichen Täter sind zwischen 17 und 19 Jahre alt und stammen aus Afghanistan und Iran, sie sitzen alle in Untersuchungshaft. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erwägt anlässlich dieses Falls nun schärfere Gesetze: "Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen", sagte er der Bild. "Wenn die vorhandenen Gesetze dafür nicht ausreichen, müssen sie geändert werden." Für den Umgang mit straffälligen Ausländern gibt es bereits umfangreiche juristische Vorgaben. Ein Überblick über die wichtigsten Regelungen.

Werden ausländische Straftäter grundsätzlich abgeschoben?

Nein. Das Gesetz verlangt, immer den jeweiligen Einzelfall zu betrachten. Und es muss abgewogen werden: hier das Interesse nach öffentlicher Sicherheit und Ordnung, dort das Interesse des Ausländers. Einerseits hängt es also davon ab, wie schwer die Straftat ist und ob weitere Delikte drohen, andererseits sind die Schutzinteressen des Ausländers zu gewichten, sein ausländerrechtlicher Status, ob er etwa Familie in Deutschland hat oder einen Arbeitsplatz. De facto ist die Abschiebung eine Zusatz-Strafe, die zur normalen strafrechtlichen Sanktion hinzukommt. Der Rechtsanwalt Hubert Heinhold, Asylexperte aus München und in der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl aktiv, beschreibt die Extreme, in denen sich die Justiz bewege, so: Ein ausländischer Tourist kann schon nach einem Diebstahl auf dem Oktoberfest abgeschoben werden. Umgekehrt darf ein Mörder in Deutschland bleiben, weil ihn in der Heimat Folter erwartet.

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Jenseits der individuellen Abwägung: Welches Strafmaß ist relevant bei Abschiebungen?

Es sind zwei juristische Bereiche zu unterscheiden: zum einen das allgemeine Ausweisungsrecht, das für alle Ausländer gilt; zum anderen die asylrechtlichen Regelungen, die dazu führen können, dass jemand der Schutz verweigert wird. Allgemein gilt: Wird ein Ausländer rechtskräftig zu zwei Jahren Haft oder mehr verurteilt, darf er abgeschoben werden. Bereits ein Jahr Freiheits- oder Jugendstrafe (auch zur Bewährung) reicht aus, wenn jemand einer sogenannte Katalogstraftat überführt ist. Dieser "Katalog" wurde nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 eingeführt, er enthält Gewalttaten wie Körperverletzung, Sexualdelikte oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Im laufenden Asylverfahren muss einem Flüchtling der Schutz verweigert werden, wenn er rechtskräftig zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt ist. Wurde er nach einer "Katalog"-Straftat zu einem Jahr verurteilt, liegt es im Ermessen der Behörden, ob er gehen muss.

Droht einem Flüchtling auch nach Bagatelldelikten die Abschiebung?

In der Regel nicht. Der notorische Schwarzfahrer muss nicht befürchten, allein deshalb zwangsweise zurückgeschickt zu werden, weil er regelmäßig ohne Ticket Bus fährt - sofern ihm ein Schutzstatus zuerkannt ist und er sich sonst nichts zuschulden kommen lässt.

Gibt es Länder, in die Straftäter generell nie abgeschoben werden?

Nein. Zwar wird seit Jahren kein abgelehnter Flüchtling nach Syrien abgeschoben, das gilt laut Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) auch für Straftäter. Aber zu glauben, dass sich ein Syrer in Deutschland alles erlauben könne, sei falsch, sagt Heinhold. Allein die Tatsache, dass er in das Kriegsland zurück müsste, schützt, bei einer entsprechend schweren Straftat, juristisch noch nicht vor Abschiebung. Entscheidend ist laut Heinhold die individuelle Gefährdung, also ob jemandem Verfolgung droht. Oder die familiäre Situation. Ist ein verurteilter Syrer etwa mit einer Deutschen verheiratet und hat ein Kind mit ihr, sagen die Behörden womöglich: Ihn allein würden wir abschieben, seiner deutschen Familie aber ist ein Umzug nach Syrien nicht zuzumuten. Also darf auch er in Deutschland bleiben, weil sonst die Familie auseinandergerissen würde. Aber auch die Politik ist maßgeblich. Nach Afghanistan etwa wird regelmäßig abgeschoben, vorzugsweise Straftäter. Würde die IMK Abschiebungen auch nach Syrien zustimmen - juristisch wäre dies grundsätzlich möglich, sagt Heinhold.

Wer entscheidet über Sanktionen?

Es sind die lokalen Ausländerbehörden, die über Ausweisung und deren Vollzug, die Abschiebung, entscheiden. Die Frage, ob ein straffälliger Flüchtling, dessen Asylverfahren noch läuft, Schutz bekommt, trifft das Asylbundesamt.

Ist immer ein rechtskräftiges Urteil nötig, um einen Straftäter abzuschieben?

Nein. Straftäter können auch vor einem endgültigen Urteil ausgewiesen oder abgeschoben werden; ebenso kann im laufenden Asylverfahren der Flüchtlingsschutz versagt werden. Etwa bei einem Wiederholungstäter, der wegen anderer Taten schon verurteilt ist.

Gibt es Gründe, die jede Abschiebung verhindern?

Ja. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention formuliert absolute Abschiebehindernisse, unabhängig von der Schwere der Straftat. Wenn einem Menschen in seinem Herkunftsland Folter, unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung drohen, darf man ihn nicht gegen seinen Willen zurückschicken.

Und jenseits dieser absoluten Regel?

Wie in gewöhnlichen Abschiebefällen können auch bei Straftätern fehlende Papiere eine Rückführung verhindern oder individuelle Gründe wie Krankheiten.

Dürfen auch EU-Bürger abgeschoben werden?

Ja. Allerdings sind für sie die Hürden deutlich höher als bei anderen Ausländern. In der Regel müssen sie wegen schwerster Straftaten verurteilt sein.

Was ist der Unterschied zwischen Ausweisung und Abschiebung?

Unter Ausweisung versteht man zunächst einen formalen Akt, der aber noch nicht automatisch die Zwangsausreise bedeutet. Wer aus Deutschland ausgewiesen ist, der muss ohne Aufenthaltserlaubnis mit einer Duldung leben. Verlässt ein Ausgewiesener Deutschland, darf er für mehrere Jahre nicht mehr einreisen. Abschiebung beschreibt den Vollzug der Ausweisung, etwa dass jemand in ein Flugzeug gesetzt wird.

Welche gesetzlichen Verschärfungen plant die Bundesregierung?

Noch ist nichts Konkretes bekannt. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, die Ideen gingen "innerhalb der nächsten Wochen" in die Ressortabstimmung. Es werde eine "Reihe konkreter Vorschläge geben". Es gehe um ein Gesamtpaket mit dem Ziel, dass bei "rechtmäßig beendeten Aufenthalten" dies auch umgesetzt werde.

Wie viele Ausländer werden wegen einer Straftat abgeschoben?

Das Bundesinnenministerium konnte dazu am Mittwoch keine aktuellen Zahlen liefern. Abschiebungen sind Ländersache. Eine aussagekräftige Statistik zu abgeschobenen Straftätern ist, wenn überhaupt, nur mit großem Aufwand zu erstellen.

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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