Joachim Gauck und Angela Merkel:Ein Kandidat nach ihrem Herzen

Pastor und Pastorentochter: Warum Kanzlerin Merkel, wenn die Umstände und Parteiinteressen anders wären, gerne Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gemacht hätte.

Heribert Prantl

Es kann gut sein, dass auch sie gern diesen Joachim Gauck in das höchste Amt gehoben hätte. Der kantige, meinungsstarke Pfarrer Gauck aus Rostock, der nun für die SPD und die Grünen kandidiert, steht der Kanzlerin näher als der glatte Christian Wulff aus Hannover. Gauck kommt aus der Welt, aus der auch die Kanzlerin kommt, und Gauck trägt die Erfahrungen mit sich herum, die auch Angela Merkel mit sich herumträgt.

SPD und Gruene stellen Kandidaten fuer Bundespraesidentenamt vor

Joachim Gauck steht der Kanzlerin näher als Christian Wulff: Beide haben in der DDR gelebt.

(Foto: ddp)

Sie ist fünfzehn Jahre jünger als Gauck und es ist vielleicht ein wenig übertrieben, ihn als ihr Vorbild zu beschreiben. Aber Gauck ist ein Mann, den sie gern mag und dessen Rolle in der friedlichen Revolution sie ungeheuer respektiert. Als Gauck vor gut vier Monaten in Berlin seinen siebzigsten Geburtstag offiziell feierte, kam Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer, hielt eine warme, persönliche, ja liebevolle Rede auf den Jubilar und blieb vier Stunden lang. Es war eine Feier, bei der man sie so gelöst erlebte wie ganz selten bei öffentlichen Anlässen. Da war sie zu Hause.

Vielleicht kann man es so sagen: Joachim Gauck ist der Kandidat ihres Herzens. Aber für eine herzliche Politik ist Angela Merkel nicht bekannt. Der Kandidat des Merkelschen Kopfes musste ein anderer werden und dieser andere muss und wird auch gewinnen - aus den vielen Gründen, die in den Kommentaren landauf und landab schon genannt worden sind, und weil es sonst ganz duster aussähe für die Kanzlerin und ihre Koalition. Aber grundsätzlich denkbar wäre es durchaus gewesen, dass nicht die SPD und die Grünen den Kandidaten Gauck nominiert hätten, sondern die CDU und CSU. Die CSU hat das im Übrigen auch schon einmal versucht: Im Januar 1999 wollte sie Gauck dazu bewegen, bei der Bundespräsidentenwahl gegen Johannes Rau anzutreten - quasi als Prediger gegen den Prediger.

Das zeigt, dass Gauck keiner ist, auf den ein schnelles Parteien-Etikett geklebt werden kann. Er ist in fast jeder Partei ein wenig zu Hause, aber nirgendwo ganz. Er selbst hat sich als "linken, liberalen Konservativen" bezeichnet. Da ist alles drin. Und das war wohl auch das Kalkül des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, als er bei Gauck anfragte und um ihn warb. Mit Gauck wollte er der Kanzlerin das Angebot machen, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen. Aber die Kanzlerin wollte nicht in die Verlegenheit kommen, ein solches Angebot zu erhalten; und so nominierte sie ganz schnell einen, der viel besser ins Parteikalkül und zur schwarz-gelben Koalition passt - weil er, Wulff, in seinem Bundesland auch eine solche Koalition führt.

In der Politik kann man sich eben, so heißt es, keine Sentimentalitäten erlauben. Merkel hat sie sich nicht erlaubt. Und sie mag die Parteiräson auch als Staatsräson verkaufen und sagen, dass es nicht so gut ausschaut, wenn zwei Ostdeutsche an der Spitze des Staates stehen - sie, die Pastorentochter, aufgewachsen in der Uckermark, und er, der Pastor aus Rostock. Andererseits freilich ist Joachim Gauck ein Ostdeutscher, der wie wenig andere im Gesamtstaat Deutschland angekommen ist, und einer, der das auch ausdrücken kann - redemächtig, manchmal auch selbstverliebt ausschweifend. Für Gauck gilt gelegentlich das, was man Pfarrern nachsagt: Er findet das Amen nicht; und dann kreist er um sich selbst und seine Gedanken. Das ist es wohl, was ihn manchmal als dröge erscheinen lässt; er ist aber ein feuriger, manchmal psalmodierender Radikaldemokrat, ein Missionar mit einem hohen Maß an Selbstüberzeugung und der Fähigkeit, seine Zuhörer in den Bann zu schlagen.

Er streitet für sich und die Bürgerrechte, aber er ist dabei nicht so angriffslustig wie sein linkerer Antipode, der Bürgerrechts-Pastor Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg. Der würde eigentlich viel besser ins Wunschprofil eines sozialdemokratischen und grünen Präsidentschaftskandidaten passen. Gauck dagegen ist ein eher rechter Kandidat der politisch eher Linken. Die richtigen Linken, die auch so heißen, lehnen Gauck vehement ab: Für sie ist der einstige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde ein Eiferer wider alles, was DDR war, ist und heißt. Für Angela Merkel ist das anders: Sie lobt Gauck als einen, der "gegen die Verklärung" arbeitet und daran, "die Erinnerung wachzuhalten, was das für ein Staat war, die DDR".

Wie ein Dorian Gray der Politik

Als Jugendpfarrer in Rostock war Gauck einer der auf Distanz ging zum System, als Angela Merkel noch mittendrin war. Gauck predigte über den Frieden und über die Menschenrechte, bei ihm hockte die Stasi in der Kirche und schrieb mit. Er leitete die wöchentlichen Gottesdienste in der Rostocker Marienkirche, von denen dann die Massendemonstrationen im Herbst 1989 ausgingen. Bei der ersten freien Volkskammerwahl kam er als einziger Abgeordneter der Bürgerbewegungen, die sich im Bündnis 90 zusammengeschlossen hatten, in die Volkskammer. Und binnen eines Jahres avancierte er vom Pfarrer mit drei Mitarbeitern zum Leiter einer Bundesbehörde mit ein paar tausend Angestellten und der Aufgabe, die Hinterlassenschaften des DDR-Regimes aufzuarbeiten.

Als die alsbald so genannte Gauck-Behörde gegründet wurde, war das kein Wunsch der CDU. Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble hätten die Stasi-Akten lieber zerrissen und verbrannt als geöffnet; die CDU-Politiker fürchteten, dass die Akten "die Atmosphäre vergiften". Heute geniert sich die Union für solche Äußerungen, heute wird nämlich in der Linkspartei so argumentiert wie damals in der CDU. Es waren die Bürgerrechtler, die die Öffnung der Stasi-Akten erzwangen. Im Bundesinnenministerium hätte man es 1990 nicht ungern gesehen, wenn Gauck gescheitert wäre. Dass er das nicht tat, verdankte er nicht zuletzt seinem Stellvertreter und Chef-Juristen Hansjörg Geiger, der ihm zeigte und ihn lehrte, dass man im Kleinen (und im Juristischen) beharrlich sein muss, um Großes zu erreichen. Würde Gauck Bundespräsident - er bräuchte, um im Kleinen wie im Großen zu glänzen, einen Staatssekretär wie Geiger an seiner Seite.

Gauck leitet seit 2003, als Nachfolger von Hans-Jochen Vogel und Hans Koschnick, den Verein Gegen Vergessen - für Demokratie. Seit über einem Jahrzehnt wird er nun als Bundespräsidenten-Kandidat gehandelt, in fast allen politischen Lagern. Winter im Sommer, Frühling im Herbst, heißt sein im Herbst 2009 erschienenes Buch - und nun, mit über siebzig, erlebt Gauck seinen politischen Frühling. Er genießt es, weil er die öffentliche, weil er die große Rede liebt. Wenn er in den vergangenen Monaten durch Deutschland reiste, um sein Buch vorzustellen, dann konnte man einen ansteckenden Demokraten erleben. Früher war er ein auch anstrengender Demokrat, weil er so überzeugt war und ist von dem, was er zu sagen hat, dass er seine Zuhörer oder Gesprächspartner rhetorisch überrannte. Das hat sich gelegt, Gauck hat sich ein wenig entmissioniert und entpastorisiert. Aber impulsiv kann er immer noch sein und "heulen vor Glück" über das, was vor zwanzig Jahren passierte. Gauck ist ein altersweise gewordener Savonarola des Rechtsstaats.

Christian Wulff, der aussichtsreiche, und Joachim Gauck, der fast aussichtslose Kandidat, haben ein klein wenig gemeinsam: Beide mussten in der Familie, in der sie groß geworden sind, sehr früh Verantwortung übernehmen, weil der Vater ausgefallen war. Wulffs Eltern trennten sich, als Christian zwei Jahre alt war. Er wuchs bei der Mutter auf, und als der Stiefvater die Familie verließ, übernahm der 14-Jährige die Pflege der kranken Mutter. Gaucks Vater wurde 1951, da war Joachim elf, von der Geheimpolizei verhaftet und zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt; Jahre später wurde er in der Folge des Besuchs von Bundeskanzler Adenauer in Moskau begnadigt. Ansonsten haben die beiden Kandidaten nichts gemeinsam; auch optisch verkörpern sie zwei verschiedene Welten.

Gauck sieht so alt aus wie er ist. Wulff dagegen wie einer, an dem das Leben ohne Spuren vorbei gegangen ist - wie ein Dorian Gray der Politik.

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