Sondierung:Die Klimaversager

Die alte Bundesregierung ist in Klimafragen kläglich gescheitert. Die nächste Koalition muss nun viel konsequenter handeln. Danach sieht es aber nicht aus.

Von Michael Bauchmüller

Kann man Angela Merkel noch glauben? Im Wahlkampf war sie sicher, dass eine neue Regierung das deutsche Klimaziel einhalten werde. "Das verspreche ich Ihnen", hatte sie einer Bürgerin im Fernsehen zugesagt. Doch Union und SPD haben keine zwei Tage sondiert, da ist genau dieses Klimaziel schon Vergangenheit. Es wird begraben.

Eine neue Koalition, heißt es nun unter Sondierern, wolle sich "ehrlich machen". In der Politik ist das eine beliebte Phrase. Sie suggeriert, dass ein schlechter Zustand abgestellt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Wären Union und SPD ehrlich, dann müssten sie ihr nahezu vollständiges Scheitern in der Klimapolitik einräumen. In den vergangenen vier Jahren hat sich bei den klimaschädlichen Emissionen so gut wie nichts getan. Es stockte trotz aller möglichen "Aktionspläne". Trotz Ökostrom-Ausbau. Und trotz der Zusage im alten Koalitionsvertrag, Union und SPD wollten die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 drücken. Doch die Wahrheit Anfang 2018 sind peinliche 27 Prozent, rund ein Drittel zu wenig. Mehr wurde nicht erreicht.

Es mangelt nicht am Wissen, sondern am Willen. Kohlendioxid entsteht in Deutschland im Wesentlichen in drei Bereichen: im Verkehr, bei der Erzeugung von Wärme, in Kraftwerken. Statt jedoch etwa auf strengere Klimavorgaben für Autos zu setzen, kämpfte die alte Bundesregierung in Brüssel für das Gegenteil, nämlich für möglichst lasche Auflagen. Daheim aber ließ sie die Fata Morgana alternativer Antriebe erstehen, ohne sich für diese ernstlich einzusetzen. Das Ergebnis: Die Emissionen aus dem Verkehr sind heute fast so hoch wie zu Beginn der Neunzigerjahre. Chapeau! Bei der Wärme-Erzeugung könnten Steueranreize helfen, etwa für klimafreundliche Heizungen. Diese Erkenntnis hatten schon zwei Koalitionen. Doch stets endete das Projekt im Geschacher zwischen Bund und Ländern. Das Ergebnis: Millionen Deutschen fehlt der Anreiz, ihre Gebäude zu sanieren. Heizöl und -gas sind schließlich billig.

Also verlegten sich Union und SPD auf den Ausbau erneuerbarer Energien. An sich ist das eine gute Idee, schließlich ließe sich so ein klimafreundliches Stromsystem aufbauen. Nur von der anderen Seite der sogenannten Energiewende wollten sie nichts wissen: Das wäre der schrittweise Abschied von fossilen Kraftwerken. Die erzeugen auch im Jahr 2018 fleißig CO₂.

Dieser Fehler könnte sich nun wiederholen. Indem sie das Klimaziel kippen, nehmen sich die Partner in spe jeden Druck, rasch alte Kohlekraftwerke stillzulegen. Wohl aber konnten sie sich darauf verständigen, den Ökostrom schneller als geplant auszubauen. Das Ergebnis ist fortgesetztes Chaos am Strommarkt, mit immer größeren Überschüssen, die zu Spottpreisen ins Ausland verhökert werden. Interessierte Kreise aus der Industrie verstehen sich darauf, dies dem Ausbau erneuerbarer Energien anzulasten. In Wahrheit aber gibt es nur zwei Antworten: entweder die Stilllegung von Kohlekraftwerken (was Wirtschaftspolitiker beider Parteien scheuen) oder einen höheren Aufpreis auf jede Tonne Kohlendioxid, die in die Atmosphäre geht. Er würde den Klimafrevel weniger wirtschaftlich machen - und ließe sich auch auf Sprit und Heizstoffe ausweiten. Dazu allerdings müssten Union und SPD den Mut aufbringen, einen solchen Aufpreis national einzuführen.

Es reicht nicht, alternative Energien zu fördern. Härtere Maßnahmen sind nötig

Danach sieht es nicht aus. Beide Parteien haben in der Klimapolitik Glaubwürdigkeit verspielt. Die Frage ist nun, welche Schlüsse sie aus ihrem Scheitern ziehen. Denn wenn sie sich an das Ziel für 2020 nicht mehr gebunden fühlen, gilt ab sofort jenes für 2030: minus 55 Prozent, gemessen am Stand von 1990. Auf dem Weg dorthin können sie das Volk weiter mit wolkigen Aktionsplänen, Förderprogrammen und Wahlkampf-Versprechen nach Art der Kanzlerin einlullen - und es dann den Verantwortlichen der übernächsten Legislaturperiode überlassen, auch dieses Ziel zu verpassen. Oder sie können sich entscheiden, zur Abwechslung nicht nur ein Ziel auszugeben, sondern auch die Schritte dorthin zu definieren.

Die Sondierer wollen den Klimaschutz künftig in ein Gesetz gießen. Es würde die Ziele verbindlich machen und gäbe Investoren mehr Sicherheit. Sieht so ein Gesetz mehr Klimaschutz auch im Verkehr und in Gebäuden vor, und beschränkt es die Energiewende nicht allein auf den Öko-Teil der Gleichung, dann kann es tatsächlich etwas verändern. Hätte diese Koalition in der Vergangenheit nicht so kläglich versagt, man könnte glatt darauf hoffen.

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