Social-Media-Strategie:Wie US-Politiker ins Netz drängen

Attendees photograph U.S. President Obama with their phones at a Women's History Month reception in Washington

Begehrtes Smartphone-Objekt: Besucher im Weißen Haus fotografieren US-Präsident Obama.

(Foto: REUTERS)

Den Gegner niedermachen, Spenden sammeln und sich menschlich geben: Facebook, Twitter und Co. sind unverzichtbar für US-Politiker. Mit Hilfe von hochbezahlten Beratern wollen sie Wähler an sich binden, die nicht mal 18 sind.

Analyse von Matthias Kolb, Charleston

Wesley Donehue ist PR-Profi, aber für einen Moment ist seine Verwunderung über den deutschen Fragesteller offensichtlich: "Eure Bundesregierung ist erst seit einem Monat bei Facebook aktiv?", fragt der 35-Jährige. Dass sich Politiker auf Facebook präsentieren, begann in den USA vor zehn Jahren und es dauerte ziemlich lange, bis deutsche Politiker und Abgeordnete nachzogen. Donehue, der viele erfolgreiche Kampagnen für Republikaner organisiert hat, beschäftigt sich heute mit anderen Dingen: Wie lassen sich neue Tools wie Snapchat oder Meerkat für den Wahlkampf einsetzen?

Außer Donehues Firma Push Digital gibt es dutzende Agenturen, die versprechen, Politiker auf diversen digitalen Plattformen gut zu präsentieren. Wesley Donehue kommt aus dem konservativen Bundesstaat South Carolina, dessen politisches Klima er nicht ohne Stolz als "brutal" beschreibt: "Wer sich hier nicht durchsetzt, hat auf der großen Bühne nichts verloren." Beim Treffen in einem Coffeeshop in Charleston erklärt er, wieso kein Kandidat und kein Politiker in den USA auf Social Media verzichten kann.

Wesley Donehue

PR-Profi Wesley Donehue berät amerikanische Politiker im Umgang mit sozialen Medien.

(Foto: Push Digital/oh)
  • Spenden sammeln

Einer der ersten Kunden von Donehue war der Abgeordnete Joe Wilson aus South Carolina, der im September 2009 für Aufsehen sorgte. Während einer Rede von Barack Obama über die geplante Gesundheitsreform vor dem US-Kongress rief Wilson laut: "You lie!" Den US-Präsidenten als Lügner zu bezeichnen, das war ein Tabubruch.

"In wenigen Tagen haben wir 2,5 Millionen Dollar an Spenden gesammelt", sagt Donehue. Über Facebook und Twitter wurde immer wieder der "You lie"-Moment gepostet und damit das tiefe Misstrauen der konservativen Basis gegenüber Obama ausgenutzt, ist Donehue stolz. Es gehe darum, den richtigen Moment nicht verstreichen zu lassen. Er verwendet dafür den Begriff to bottle the lightning - ein einmaliges, blitzähnliches Ereignis soll in möglichst viel Kapital verwandelt werden.

Dies ist in den USA, wo es anders als in Deutschland keine Parteienfinanzierung gibt, besonders wichtig: Abgeordnete brauchen Millionen für ihre Kampagnen und verbringen die Hälfte ihrer Zeit mit fundraising, also mit dem Einwerben von Spenden.

Ein weiterer Kunde von Push Digital ist der neugewählte Senator aus Arkansas, Tom Cotton, der einen umstrittenen Brief der 47 Republikaner an Iran initiiert hat (Details in diesem SZ-Text). Plötzlich redete ganz Washington über den jüngsten aller 100 Senatoren und Cottons Team postete fleißig alle lobenden Artikel auf Twitter und seiner Facebook-Seite.

"So etwas lässt sich nie vorher planen", sagt Donehue. Er bewundert kompromisslose Konservative wie Tom Cotton - und sorgt mit seiner Firma dafür, dass dessen Bekanntheit wächst. "Ich brauche Mitarbeiter, die zur Not rund um die Uhr arbeiten. Sie sollen sich mit Politik und Technik gut auskennen. Meist müssen wir neue Bewerber in einem der beiden Bereiche schulen."

  • Den Gegner niedermachen - und das Schlimmste verhindern

Obwohl er erst 35 ist, hat Donehue 20 Jahre Wahlkampf-Erfahrung. Bereits als Teenager engagierte er sich als Freiwilliger für die Republikaner, jobbte als Student für einen Abgeordneten und war 2006 in Michigan für einen konservativen Bewerber aktiv. "Damals habe ich entdeckt, was für eine Sprengkraft das Internet hat", erzählt er. In dieser Zeit sorgte ein Youtube-Video zum ersten Mal dafür, dass ein Politiker die Wahl verlor - der Republikaner George Allen wurde gefilmt, als er einen indischstämmigen Mitarbeiter seines Gegners abfällig als "Macaca" bezeichnete.

Seither ist es in US-Wahlkämpfen normal, dass Auftritte des Gegenkandidaten gefilmt und Missgeschicke und Fehltritte (genannt gaffe) gnadenlos ausgenutzt werden. Das "47 Prozent"-Video schadete Mitt Romney 2012 ungemein, andere Kommentare von Republikanern über Vergewaltigungen verhinderten deren Wahlsiege.

Zurück in South Carolina, baute Donehue Anfang 2007 Websites für Republikaner und brachten ihnen Twitter bei. Im aufgeregten amerikanischen 24/7-Nachrichtenkreislauf suchen Blogs und Kabelsender ständig nach neuen Stories. Donehue bringt seinen Kunden nicht nur bei, dass sie Patzer und Fehltritte unbedingt vermeiden. Sollten sie dennoch passieren, dann ist Social Media unerlässlich, um den Schaden zu begrenzen - allerdings gibt es für das Gelingen keinerlei Garantie.

Mit Social Media neue Wählerschichten erreichen

Deutsche Parteien haben Facebook zwar mehrere Jahre vor der Bundesregierung entdeckt, die sich erst seit kurzem im weltgrößten sozialen Netzwerk präsentiert (mehr in diesem SZ-Text von Hannah Beitzer). Die Bedeutung ist jedoch deutlich geringer, auch wenn seit dem zwischenzeitlichen Erfolg der Piraten einige Politiker wie Peter Altmaier von der CDU Twitter und Co. für sich entdeckt haben.

In den USA bespielen Firmen wie Push Digital alle Kanäle, um möglichst viele Bürger zu erreichen. Dazu gehören neben Twitter auch Instagram und Pinterest. "Jede dritte Amerikanerin ist bei Pinterest aktiv, das kann ich doch nicht ignorieren", sagt Wesley Donehue. Sein Team nutzt Tumblr ebenso wie Vine, die Sechs-Sekunden-Video-App.

Donehue experimentiert gerade viel mit Snapchat und sucht nach Möglichkeiten, über den Fotodienst, dessen Nachrichten sich von selbst löschen, Geschichten zu erzählen. Rand Paul, der libertäre Senator aus Kentucky, ist der wohl technisch versierteste aller potenziellen Präsidentschaftskandidaten - und auch er setzt auf Snapchat, um Teenager zu erreichen, die im November 2016 volljährig und damit wahlberechtigt sind (mehr bei der Washington Post).

Dabei geht es nicht nur um den einmaligen Erfolg. Statistiken belegen, dass US-Wähler meist der Partei treu bleiben, für die sie sich bei ihrer ersten Stimmabgabe entschieden haben. Social Media, so die Hoffnung vieler Republikaner, könnte also helfen, die Dominanz der Demokraten bei jungen Wählern zu brechen.

  • Daten sammeln

Firmen wie Push Digital kümmern sich auch um die Online-Werbung ihrer Kunden. Sie erstellen klassische Banner und verschicken jene berüchtigten E-Mails, die um Spenden werben. Es gehe darum, die Unterstützer möglichst gut zu kennen - und zu wissen, was die Basis bewegt, so Donehue: "Wir testen sehr genau, welche Themen unsere Leute beschäftigen, welche Art von Ansprache funktioniert und wann die Leute klicken und wann nicht" (mehr über das A/B-Testing und Data-Mining in diesem SZ.de-Text).

Eines muss Republikaner Donehue zugeben: Niemand hat die technischen Möglichkeit besser genutzt als das Obama-Team in den vergangen beiden Wahlkämpfen. Sie nutzten vor allem Facebook, um potenzielle Wähler zu identifizieren und sie zu überzeugen, selbst Werbung für Obama in ihrer Twitter-Timeline oder auf Facebook zu posten. Beides erhöht die Glaubwürdigkeit der Botschaft (Details zu Obamas Wahlkampf in diesem Essay von Berater Michael Slaby).

  • Werbung für sich selbst machen

Das Beispiel der Obama-Administration zeigt, wie auch eine Regierung Social Media sehr effektiv nutzen kann. Der 44. US-Präsident hat 56 Millionen Follower auf Twitter - nur die Pop-Sternchen Katy Perry und Justin Bieber erreichen mehr Menschen (mehr über die deutschen Polit-Twitter-Könige erfahren Sie in diesem SZ-Text von Thorsten Denkler). Auch in der Social-Media-Welt setzt Obama auf Personalisierung: Er ist das Gesicht der Regierung und in den meisten Tweets, Videos und Fotos (etwa im eigenen Instagram-Kanal) zu sehen.

Hier werden politische Ideen wie frühkindliche Bildung präsentiert, doch der sportbegeisterte Präsident lässt sich auch filmen, wie er den Ausgang der College-Basketball-Meisterschaft tippt. Die Botschaft: Ich bin ein ganz normaler Typ, denn schließlich füllen mindestens 60 Millionen Amerikaner ein solches bracket aus.

Deutlich beliebter als Barack Obama selbst ist seine Ehefrau Michelle. Die First Lady meidet die tagesaktuellen Grabenkämpfe, setzt sich stattdessen für Veteranen ein und will die Amerikaner überzeugen, sich gesünder zu ernähren. Im Herbst 2014 wurde dieses Vine-Video, in dem die First Lady mit einer Rübe posiert, zum Internet-Hit (Details hier).

Und weil natürlich alle im Weißen Haus wissen, dass Videos von süßen Tieren einfach immer funktionieren, kann der Abonnent des Youtube-Kanals der US-Regierung die First Lady und deren Töchter beim Besuch einer Panda-Station in China beobachten.

Eine stärkere Personalisierung, Milliarden-Summen, noch aufgeregtere Medien und ganz viel Technik: Der politische Alltag und vor allem die Wahlkämpfe in den USA und in Deutschland unterscheiden sich enorm. Wie unterschiedlich Social Media eingesetzt wird, macht dies deutlich. Auf der wohl wichtigsten Tech-Konferenz, dem "South by Southwest"-Festival in Austin sind deswegen auch viele Polit-Berater anzutreffen. Sie wollen sich über die neuesten Trends informieren - oder provokante Thesen los werden. Dan Pfeiffer, bis vor kurzem einflussreicher Berater von Barack Obama, sagt voraus, dass eine neue Technik den anstehenden Wahlkampf dominieren werde.

Die Politiker und ihre Strategen, so Pfeiffer, müssten heutzutage ähnlich agieren wie Start-Ups. Die Technik ändere sich so schnell, dass sich jedes Team bei den alle vier Jahre stattfindenden Präsidentschaftswahlen an mindestens eine neue Plattform gewöhnen und diese bestens ausnutzen müsse. Sein Fazit: "2004 ging es um Meetup, 2008 drehte sich alles um Facebook und 2012 war Twitter entscheidend. Ich glaube, 2016 wird durch eine Streaming-App wie Meerkat geprägt werden."

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