Ruby-Sexaffäre: Verfahren gegen Berlusconi beantragt:Das Nachspiel eines Anrufs

Es wird ernst für Berlusconi: Die Mailänder Staatsanwälte beantragen in der Affäre um Ruby einen Prozess. Sie werfen Italiens Premier vor, sein Amt missbraucht und die Prostitution mit Minderjährigen begünstigt zu haben.

M. Holzmüller und M. Kolb

Zunächst wirkte es wie ein Routinefall. Am frühen Abend des 27. Mai 2010 geht ein Anruf bei der Mailänder Polizei ein: Eine junge Frau zeigt einen Diebstahl im Wert von 3000 Euro an und bittet darum, die Täterin festzunehmen.

Justiz beantragt Prozess gegen Berlusconi

Silvio Berlusconi wird sich auch in Zukunft nicht allein auf die Politik konzentrieren können: Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat einen Prozess gegen den 74-jährigen Ministerpräsidenten Italiens beantragt.

(Foto: dpa)

Die Beamten bringen die Damen auf die Wache und vernehmen sie getrennt. Die Diebin bestreitet die Tat - sie verdiene ihr Geld mit Bauchtanz. Einen Ausweis hat sie nicht bei sich, doch sie gibt ihr Alter mit 17 Jahren an und nennt ihren Namen: Karima El Mahroug.

Es ist ein Name, der heute fast allen Italienern ein Begriff ist, denn Karima El Mahroug alias "Ruby Rubacuori" (Ruby Herzensräuberin) brachte die Ermittlungen ins Rollen, weshalb die Mailänder Staatsanwaltschaft heute ein Schnellverfahren gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi beantragt hat. Die Anklagepunkte lauten auf Begünstigung von Prostitution mit Minderjährigen und Amtsmissbrauch.

Denn im Laufe des 27. Mai 2010 geschehen außergewöhnliche Dinge. Der zuständige Beamte berät sich mit der Jugendrichterin, die verfügt, das minderjährige Mädchen in eine Betreuungseinrichtung zu bringen. Bis dahin solle Karima im Präsidium bleiben, bestimmt die Jugendrichterin, die über alle Schritte unterrichtet werden will.

Anruf beim Polizeipräsidenten

Gegen 23 Uhr klingelt schließlich das Diensthandy des Mailänder Polizeichefs Pietro Ostuni. In dem Vernehmungsprotokoll der Staatsanwälte, aus denen neben den italienischen Medien auch der Deutschlandfunk zitiert, beschreibt Ostuni das Gespräch wie folgt: "Es meldet sich ein Mitglied des Personenschutzes des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Er sagt zu mir: 'Dottore, ich gebe Ihnen den Ministerpräsidenten, es gibt da nämlich ein Problem.' Sofort danach habe ich den Ministerpräsidenten am Apparat, der mir mitteilt, dass auf dem Polizeipräsidium ein Mädchen nordafrikanischer Herkunft festgehalten wird, eine Nichte von Mubarak, und dass eine Abgeordnete des Parlamentes, Frau Minetti, dieses Mädchen abholen wird. Das war alles."

Obwohl die Identität des Mädchens zu diesem Zeitpunkt noch nicht definitiv fest steht, wird Karima um zwei Uhr morgens der Regionalabgeordneten Nicole Minetti übergeben. Vor dem Beginn ihrer Karriere als Lokalpolitikerin hatte die Zahnhygienikerin das Gebiss des Ministerpräsidenten wieder in Ordnung gebracht, nachdem dieser mit einem Modell des Mailänder Doms verletzt worden war. Minetti lässt die junge Frau an der nächsten Straßenecke stehen.

Als sich herausstellt, dass Karima alias Ruby aus Marokko stammt und keineswegs mit Ägyptens Noch-Präsident Hosni Mubarak verwandt ist, beginnen die Ermittler mit der Arbeit. Der 74-jährige Ministerpräsident, der zuletzt mit Gianfranco Fini einen wichtigen Verbündeten verlor und ums politische Überleben kämpft, bestreitet den Anruf bei Polizeichef Ostuni nicht - er habe dies nur getan, weil er ein großes Herz habe und Menschen in Not immer helfe. Er bestreitet, sexuellen Kontakt mit Ruby gehabt und dafür bezahlt zu haben, und nennt den Vorwurf "skandalös".

Bargeld vom Premier

Die Mailänder Staatsanwälte sind jedoch überzeugt, Berlusconi genau dies nachweisen zu können. Ihren Angaben zufolge hatte Ruby, die mittlerweile volljährig ist und eine sexuelle Beziehung zu dem Medienzar und Milliardär ebenfalls bestreitet, zusammen mit anderen Frauen an Partys in Berlusconis Villa Arcore bei Mailand teilgenommen. Ruby räumte jedoch ein, Bargeld aus den Händen des Ministerpräsidenten erhalten zu haben.

Aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft geht zudem hervor, dass außer Ruby eine weitere Minderjährige an Festen in Berlusconis Häusern teilgenommen habe. Die Brasilianerin Iris B., inzwischen volljährig, gilt bei den Ermittlern als professionelle Prostituierte.

Nachdem der Antrag nun eingereicht wurde, hat der zuständige Mailänder Richter mindestens fünf Tage Zeit für seine Entscheidung. Auch das Parlament in Rom müsste einem Verfahren zustimmen. Dort hat Berlusconi auch nach dem Zerwürfnis mit seinem früheren Verbündeten Gianfranco Fini derzeit eine knappe Mehrheit. So hatte das Parlament bereits beantragte Durchsuchungen der Mailänder Ermittler bei dem "Kassenwart" Berlusconis im Zusammenhang mit der Sexaffäre abgelehnt.

Unterdessen wird in den Zeitungen des Landes munter spekuliert: Il Giornale berichtet, Berlusconis Anwälte hätten herausgefunden, Ruby sei schon im November 1991, und nicht 1992 geboren. Allerdings bestreitet die Mailänder Staatsanwaltschaft, dass dies in den Akten der Verteidigung steht.

Laut Corriere della Sera hatte sich der Premierminister in Rom für mehrstündige Beratungen mit seinen Anwälten zurückgezogen. Berlusconis Juristen halten den Vorstoß der Anklage für verfassungswidrig, weil die Staatsanwälte nicht zuständig seien.

Eindeutige SMS des Showgirls

Sicherlich wurde bei diesem Treffen auch über ein anderes, drohendes Verfahren gesprochen: In dieser Woche wurde ebenfalls in Mailand bekannt, dass ein altes Bestechungsverfahren gegen den Medienunternehmer am 11. März wieder aufgenommen werden soll.

Berlusconi wird vorgeworfen, dem britischen Anwalt David Mills für Falschaussagen in den neunziger Jahre 600.000 Dollar (442.000 Euro) gezahlt zu haben. Mills wurde dafür bereits zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, muss jedoch wegen Verjährung die Strafe nicht verbüßen. Der Korruptionsprozess gegen Berlusconi war 2010 ausgesetzt worden, nachdem sich dieser durch seine Mehrheit im Parlament einen juristischen Schutz vor mehreren Prozessen verschafft hatte. Die höchsten Richter Italiens entzogen ihm allerdings im Januar 2011 den wichtigsten Teil dieser "Quasi-Immunität" gegen Gerichtsverfahren.

"Du missbrauchst deine Macht"

Seit Wochen kennen die italienischen Medien kaum ein anderes Thema als die Auswirkungen der Rubygate-Affäre. Der Ruf Italiens im Ausland sei ruiniert, klagen Kritiker, die Regierung sei von den Entwicklungen in Tunesien und Ägypten überrascht worden, weil sich in Rom alles nur um den eigenen Machterhalt drehe. In Brüssel werde Italiens Meinung nicht mehr ernst genommen, konstatieren Politologen, und auch bei den nötigen Reformen des hochverschuldeten Landes komme man nicht voran.

Die römische Tageszeitung La Repubblica berichtet nun über einen separaten Fall, der alle Vorurteile zu bestätigen scheint. Das Showgirl Sara Tommasi soll demnach engen Kontakt mit Silvio Berlusconi, dessen Bruder Paolo sowie Verteidigungsminister Ignazio La Russa gehabt haben. Zudem soll Tommasi, die unter anderem mit dem brasilianischen Fußballstar Ronaldinho liiert war, auf mehreren Sex-Partys gewesen sein.

La Repubblica zitiert aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Neapel mehrere SMS, die Tommasi an Berlusconi geschrieben haben soll. Während die 29-Jährige an Weihnachten angeblich "Alles Gute, Präsident" schrieb, tippte sie den Angaben zufolge zwei Wochen später "Silvio, schäm dich, du hast mich krank gemacht, zahl die Rechnungen des Psychologen" in ihr Mobiltelefon.

Einige Tage darauf soll es schmeichlerisch geheißen haben: "Du hast mir so gefehlt, ich hoffe, du kannst mich bald zurückrufen, ich liebe dich noch immer, weißt du. Lady X". Am 15. Januar musste der Premierminister folgenden Text lesen: "Ich hoffe, du krepierst mit deinen ganzen Nutten. Du missbrauchst deine Macht". Auch der Corriere della Sera will erfahren haben, dass Tommasi dem Premier innerhalb von fünf Stunden neun SMS mit Beleidigungen und Drohungen geschickt habe.

Für La Repubblica ist die Affäre Tommasi "eine Geschichte, die in der Grauzone begann, wo sich das Showbusiness mit Prostitution vermengt und von dort aus Kreise in die Drogen- und Mafiaszene zieht".

Diese Berichte werden den seit Tagen wachsenden Protestaktionen gegen Berlusconi noch mehr Zulauf bescheren. Am vergangenen Wochenende demonstrierten Gruppen der über Facebook organisierten Anti-Berlusconi-Bewegung "Il Popolo Viola" (Lila Volk) im Städtchen Arcore bei Mailand, wo angeblich einige Sexpartys stattgefunden hatten. Auf Facebook hat das Lila Volk bereits mehr als 350.000 Fans.

Und am kommenden Wochenende wollen in ganz Italien Frauen gegen das von Berlusconi und seinen TV-Sendern propagierte Frauenbild protestieren. Das Erkennungszeichen der Bewegung, ein weißer Schal, ist in den großen Städten immer häufiger zu sehen.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Italiens Gesellschaft zur Ruhe kommen wird.

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