Ruanda:Sühne nach Kagame-Art

GERD HANKEL
Ruanda 1994 bis heute	
Vom Umgang mit einem Völkermord

Gerd Hankel: Ruanda 1994 bis heute. Vom Umgang mit einem Völkermord. Verlag Zu Klampen, Springe 2019. 160 Seiten, 16 Euro.

Gerd Hankel beleuchtet die 25 Jahre seit dem Völkermord in Ruanda. Viele gute Ansätze scheitern aber im politischen Alltag.

Von Moritz Behrendt

Afrika, ein hoffnungsloser Fall, geplagt von Krisen, Kriegen und Katastrophen, oder Afrika als Chancenkontinent. Ruanda erscheint als Paradebeispiel für beide Narrative - mit dem grausamen Völkermord vor 25 Jahren, mit dem Wirtschaftswachstum, der Modernisierung und den guten Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen in der Zeit danach.

Der Völkerrechtler Gerd Hankel hält von beiden Schablonen nichts. In seinem Buch "Ruanda. 1994 bis heute. Vom Umgang mit einem Völkermord", einer Lesefassung seiner ausführlicheren Studie von 2016, plädiert er für einen differenzierteren Blick. Vor allem macht er deutlich, dass die Entwicklung des Landes seit 1994 nicht als Erfolgsgeschichte angesehen werden sollte.

Eher knapp schildert er den Verlauf des Völkermords, die hundert Tage von April bis Juli 1994, in denen Hunderttausende Angehörige der Minderheit der Tutsi und moderate Hutu ermordet wurden. Während die Vereinten Nationen von 800 000 Toten sprechen, weist Hankel darauf hin, wie schwer es ist, die Zahl der Opfer präzise zu benennen. Er geht von mindestens 500 000 Getöteten aus, von denen eine Vielzahl "mit der Machete zu Tode gehackt, mit der Keule erschlagen" wurden. Dazu kommen Hunderttausende Frauen und Mädchen, die vergewaltigt wurden.

Ausführlicher widmet sich der Autor der Aufarbeitung der Verbrechen. Das macht sein Buch für die Gegenwart so wertvoll. Hankel beschreibt den immensen Aufwand, mit dem in Ruanda die Gacaca-Gerichte betrieben wurden. Bis 2012 ahndeten 130 000 Laienrichter in einzelnen Dörfern und Städten Verbrechen, Opfer kamen zu Wort, im besten Falle sollte der Mix aus Strafe und Amnestie Versöhnung ermöglichen. Ein beachtliches Unterfangen, doch Hankel begnügt sich nicht mit dem Urteil, Ruanda habe das für afrikanische Verhältnisse ganz gut hinbekommen. Er schaut genauer hin. Und da fällt auf, dass Verbrechen der vom heutigen Präsidenten Paul Kagame geführten Guerilla-Armee FPR vollständig ausgeklammert wurden. Das gilt im Wesentlichen ebenso für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda.

Auch den wirtschaftlichen Aufbruch des Landes und das Streben nach Gleichberechtigung unter der Herrschaft Kagames hält der Autor für zweifelhaft, solange das Regime menschenrechtliche Mindeststandards unterläuft. Hankel wirft selbst die Frage auf, ob dies nicht eher pingelige Kritik an einer ansonsten wohlmeinenden Entwicklungsdiktatur ist. Seine Antwort ist ein klares Nein, und dafür hat er ein zentrales Argument: Ruandas Menschenrechtsverstöße im Nachbarland Kongo. Diese seien so massiv und so gut belegt, dass sie jeden vermeintlichen Fortschritt entwerteten.

Der Autor ist so klar in seiner Haltung, dass für Grautöne etwas zu wenig Platz bleibt. Seine Vorbehalte gegenüber dem neuen Ruanda sind jedoch berechtigt, solange Präsident Kagame nicht von der absoluten Macht lässt, für die er auch über Leichen geht. Dafür gibt es bislang jedoch keine Anzeichen.

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