Rot-Rot-Grün in Thüringen:Der Linke für die Mitte

Bodo Ramelow

Bodo Ramelow im Plenarsaal des Thüringer Landtags.

(Foto: dpa)

Für Gegner ist Bodo Ramelow ebenso schwer einzuordnen wie für seine Parteifreunde. Doch eins ist sicher: Der Mann hat in seinem Leben schon viele Kämpfe gewonnen. Gewinnt er auch diesmal, schreibt er Geschichte - als erster Ministerpräsident der Linken.

Von Thorsten Denkler

Vieleicht bekommt Attila ja eine Extradose Hundefutter, wenn alles vorbei ist. Attila ist der Jack Russell Terrier von Bodo Ramelow. Sein Herrchen will an diesem Freitag etwas werden, was noch keiner seiner Parteigenossen vor ihm geschafft hat: Er will in Thüringen - getragen von einer rot-rot-grünen Mehrheit - der erste linke Ministerpräsident Deutschlands werden.

Seine Chancen stehen nicht schlecht. Geradezu geräuschlose Koalitionsverhandlungen, eindeutige Voten der drei Parteien. Aber eben nur eine Stimme Vorsprung. Wenn die nicht reicht, weiß keiner, was passiert.

Ramelow ist Optimist. Er hat noch mal eine ausgiebige Fahrradtour mit seiner Familie gemacht, bevor es so weit ist. Eine ohne erhöhte Sicherheitsanforderungen. Einfach drauflosradeln. Wenn es klappt mit dem neuen Job, dann dürfte das für einige Jahre schwierig werden. Personenschutz ist Pflicht für einen Ministerpräsidenten.

Kleine Schritte statt großer Visionen

Ramelow ist ein Linker. Aber vielleicht muss das präziser formuliert werden: Ramelow ist Mitglied der Partei "Die Linke". Ein Linker im Sinne der ganz Linken in der Linken ist er deshalb noch lange nicht. Eher ein "Gegner". So sehen manche ihn und seine Reformer-Freunde. Er ist einer von denen, die lieber regieren und Schritt für Schritt etwas bewegen wollen, statt an den eigenen Visionen zu ersticken.

Ein gnadenloser Pragmatiker, so wird er beschrieben. Jemand der Lösungen sucht und nicht Probleme schaffen will, wo keine sind. In den Nachwendejahren hilft er die Thüringer Fleischwerke zu retten. Oder eine Brauerei zu privatisieren. Heute setzt er sich dafür ein, dass eine Billig-Hotelkette am Erfurter Hauptbahnhof ein Haus eröffnen kann.

Nicht mal auf das Grundsatzprogramm seiner Partei lässt er sich noch verpflichten. Er will keine Systemfragen stellen. Er sei "nicht der Vertreter der Linken in der Staatskanzlei, sondern der Ministerpräsident einer Dreierkoalition", hat er jüngst der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verraten. Einem Blatt, mit dem Manche in der Partei nie und nimmer reden würden. Von wegen bürgerliche Presse.

Den Hauptschul-Abschluss schafft er nur knapp

Seine Botschaft: Erst das Land, dann die Partei. Im Wahlkampf plagiierte Ramelow einen Spruch von Gerhard Schröder, der dem unter Linken verhassten Agenda-Erfinder 1998 zum Wahlsieg und damit ins Kanzleramt verhalf: "Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen." In der Linken macht sich keiner mit so etwas Freunde. Da spricht einer, der es gewohnt ist, gegen Widerstände zu kämpfen.

Am 16. Februar 1956 wird Bodo Ramelow im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck geboren. Als er elf ist, stirbt sein Vater. Gelbfieber. Ein böses Mitbringsel von der Front. Das bedeutet für ihn, früh Verantwortung zu übernehmen. Auch für seinen älteren Bruder, der dennoch schwächer ist als er. Er hat sich durchgekämpft. Überall. Seine Mutter schlägt ihn mit der Peitsche. "Es waren Gewaltorgien", sagt er heute. Auch in der Schule: Kampf. Für seine Mutter zeigt er Verständnis: "Vier Kinder, kein Einkommen, der Mann todkrank. Und dann der faule Sohn. Sie war überfordert". Psychologen helfen, die Gewalt zu verarbeiten. Soweit das geht.

Nur mit Ach und Krach schafft er den Hauptschulabschluss. Was erst später entdeckt wird: Ramelow leidet unter einer erheblichen Rechtschreibschwäche. Rechnen kann er. Schreiben nicht so gut. Er wird Kaufmann. Ausbildung bei Karstadt. Fleischtheke. Blut, Gedärme, Fell abziehen, das ganze Programm. Stolz ist er auf seinen Job, das Unternehmen. Er schließt als bester Lehrling ab.

Als Student gerät er ins Visier des Verfassungsschutzes

Ein Antikapitalist? Nicht dieser Ramelow. Eher einer, der sich für die Rechte der Belegschaft starkmacht. Berufsgewerkschafter wird er. Die Mittlere Reife holt er an einer Berufsaufbauschule im roten Marburg nach. Die Uni dort ist so links, dass Leute von der DKP nicht weiter auffallen.

Ramelow kämpfte gegen das Berufsverbot für den Marburger Posthauptschaffner Herbert Bastian. Dessen Vergehen: Er sitzt für die DKP im Marburger Stadtrat. Auf einem Foto ist zu sehen, wie Ramelow von Bastian umarmt wird. Ramelows Engagement bringt den hessischen Verfassungsschutz auf den Plan. Die Freunde vom Inlandsgeheimdienst soll Ramelow so schnell nicht loswerden.

Ramelow geht 1990 in den Osten und wird dort bald Landesvorsitzender der HBV, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Der thüringische Verfassungsschutz übernimmt die Überwachung. Selbst als er schon für die PDS im Landtag und später im Bundestag sitzt, bespitzelten sie ihn weiter. Bis zum Oktober 2013. Da verbietet das Bundesverfassungsgericht seine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Auf seiner Internetseite schreibt er: "Dreißig Jahre - mehr als die Hälfte meines Lebens - wurde ich ausspioniert und ausgeschnüffelt. Zehn Jahre habe ich dagegen gekämpft. Jetzt ist mir ein unvorstellbar großer Stein vom Herzen gefallen und es treibt mir die Tränen in die Augen."

Die DDR kannte er nicht - und Christ ist er auch noch

Für Linken-Fresser ist Ramelow schwer zu fassen. Für den Stasi-Apparat und das Unterdrückungs-Regime der DDR trägt er so wenig Verantwortung wie Helmut Kohl für die Zubereitung eines Saumagens im Deidesheimer Hof. Die DDR kannte er nicht. Dass sie ein Unrechtsstaat war, wie es jetzt im Koalitionsvertrag steht, kann er ohne jede Gefühlsduselei und ostalgische Anflüge unterschreiben.

In die damalige PDS ist er erst 1999 eingetreten. Und dann ist er auch noch evangelischer Christ. Keiner von den stillen, die den Glauben lieber für sich leben. So wie es Angel Merkel macht. Ramelow spricht offen darüber, bezeichnet sich als christlichen Sozialisten. Anteilnahme, Verantwortung übernehmen, nicht weggucken, wenn einer im Elend liegt, so meint er das. Das hat Tradition in seiner Familie, die reich an Traditionen ist: Einer seiner Vorfahren soll Goethe getauft haben.

1993 brauchten die Kali-Bergleute von Bischofferode Hilfe. Sie wehrten sich gegen die Treuhandanstalt, gegen die Schließung. Ramelow half, beriet, verhandelte, verausgabte sich. Klappte zusammen. Am Ende war alles vergeblich. Ein abgekartetes Spiel, wie heute bekannt ist. Die Grube sollte dichtgemacht werden, obwohl sie noch wirtschaftlich zu betreiben war. Als Ramelow im Frühjahr auf einem Landesparteitag zum Spitzenkandidaten der Linken gekürt wird, ziehen plötzlich ehemalige Kali-Kumpel ein. "Glück auf, Glück auf", singen sie für ihn, "der Steiger kommt." Ein Dudelsack spielt dazu. Ramelow wusste von nichts. Für die Männer von Bischofferode ist Ramelow ein Held geblieben. Der erste Wessi, der für die gekämpft hatte. Nicht gegen sie.

Wer will da noch Angst haben?

Ramelow gewinnt nicht immer, aber auf ihn ist Verlass. Das weiß auch Christine Lieberknecht zu schätzen. Die scheidende Ministerpräsidentin soll sich gut mit ihm verstehen. Besser als mit manchem aus ihrer eigenen CDU-Fraktion. Manches Projekt haben sie im Landtag zusammen durchgezogen. Als sie diese Woche erklärte, am Freitag nicht gegen Ramelow antreten zu wollen und auch den Parteivorsitz abzugeben, sagte Ramelow, er "empfinde Hochachtung davor, was sie für Thüringen geleistet hat". Sie sei "eine im positiven Sinne konservative und liberale Persönlichkeit". Wer will da noch Angst haben?

In der CDU versuchen sie dennoch Ängste zu schüren. Verlangen Entschuldigungen für die Verbrechen der Stasi, die Toten an der Mauer. Entschuldigungen, die es gegeben hat, reichen ihnen nicht. Für sie ist die Linke die SED-Nachfolgepartei. Mag der Fall der Mauer 25 Jahre her sein oder 50 Jahre. SED verjährt nicht.

Sie wollen am Donnerstagabend demonstrieren vor dem Erfurter Landtag, bevor es am Freitag zur Wahl kommt. Vor allem die Sozialdemokraten werden sich einiges anhören müssen. Wohl auch weil Lieberknecht problemlos weiterregieren könnte, wenn die SPD nicht rübergemacht hätte in Ramelows Linksbündnis.

Und wenn er gewählt ist? Dann ist er gewählt. Ramelow will daraus keine große Sache machen, sagt er. Ein demokratischer Akt sei das, der normale Lauf der Dinge. Mal regieren die einen, mal die anderen. Für Attila ist das möglicherweise eine schlechte Nachricht. Die Extradose muss er sich wohl abschminken, wenn Herrchen gewählt wird.

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