AfD:Wie sich der Rechtspopulismus in Deutschland festsetzt

Frauke Petry

AfD-Vorsitzende Frauke Petry eilt mit der Partei von Erfolg zu Erfolg. Welche Gründe hat das?

(Foto: dpa)

Mit der AfD wird der Rechtspopulismus in der Bundesrepublik salonfähig. Aber es gibt gute Gründe, mit dem neuen Phänomen gelassen umzugehen.

Gastbeitrag von Frank Decker

Deutschland war auf der Landkarte des europäischen Rechtspopulismus jahrzehntelang ein weißer Fleck. Mit Erstaunen und Irritation registrierte man hierzulande, wie sich seit den Siebzigerjahren neu entstandene Rechtsparteien rings um uns herum breitmachten. Ihre Anführer waren bald in aller Munde: Jean-Marie Le Pen, Jörg Haider, Silvio Berlusconi, Pim Fortuyn.

Die Bundesrepublik schien gegen das Virus offenbar immun. Sporadische Wahlerfolge diverser Rechtsparteien gab es zwar auch hier, doch blieben sie auf die regionale Ebene beschränkt. Weder gelang es den neuen Herausforderern, ihre Kräfte in einer schlagkräftigen Organisation zu bündeln, noch konnte sich eine einzelne Gruppierung - etwa die 1983 durchaus verheißungsvoll gestarteten Republikaner - dauerhaft durchsetzen.

Der Rechtspopulismus wird bei uns zur salonfähigen Erscheinung werden

Mit der Alternative für Deutschland scheint sich das jetzt zu ändern. Bei der Bundestagswahl im September 2013 verfehlte die zu diesem Zeitpunkt gerade einmal drei Monate alte Partei den Einzug in das Parlament nur knapp. Seither eilt sie von Erfolg zu Erfolg, bei den jüngsten Landtagswahlen sogar mit deutlich zweistelligen Ergebnissen.

Auch wenn die Konjunktur des Flüchtlingsthemas, die sie in diese Höhen katapultiert hat, bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr wieder nachlassen dürfte, ist nicht davon auszugehen, dass die AfD bald verschwindet. Die Bundesrepublik wird sich also - zumindest mittelfristig - auf ähnliche Verhältnisse einstellen müssen wie unsere Nachbarländer, wo der Rechtspopulismus längst zu einer normalen, zum Teil sogar politisch salonfähigen Erscheinung geworden ist.

Wenn das so stimmt, dann stellen sich drei Fragen: Welche Gründe hat der Erfolg der AfD? Warum gibt es eine solche Partei erst jetzt? Und hat die AfD Chancen, sich über das Bundestagswahljahr hinaus im deutschen Parteiensystem fest zu etablieren?

Aus der vergleichenden Forschung weiß man, dass es in der Regel einer Initialzündung, eines bestimmten "populistischen Moments" (Lawrence Goodwyn) bedarf, um solche Parteien oder Bewegungen hervorzubringen. Bei der AfD war es die Finanz- und Euro-Krise, die das "Gelegenheitsfenster" für eine neue EU-kritische Partei öffnete. Deren programmatische Kernforderungen - kontrollierte Auflösung der Währungsunion und Absage an eine weitere Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses - eigneten sich bestens, um daran eine breitere rechtspopulistische Plattform anzudocken, die die Gegnerschaft zum Establishment (als Wesenselement des Populismus) mit Antipositionen in der Zuwanderungsfrage und anderen Bereichen der Gesellschaftspolitik verknüpfte.

Mehrere Umstände kamen der AfD dabei zugute. Erstens konnte sie an verschiedene Vorgängerorganisationen anschließen, die von der aufgelösten Euro-kritischen Partei Bund freier Bürger über die Initiative Soziale Marktwirtschaft bis hin zum konservativen Kampagnennetzwerk Zivile Koalition ihrer heutigen AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch reichten. Auch die Sarrazin-Debatte im Jahre 2010 dürfte mitgeholfen haben, das Terrain für den Rechtspopulismus zu ebnen. Dieser ist mit der Entstehung der AfD also keineswegs vom Himmel gefallen.

Zweitens haben die seit 2009 zusammen regierenden bürgerlichen Parteien Union und FDP durch ihren programmatischen Kurs und ihr Regierungshandeln Nischen im Parteiensystem geöffnet. Während die Liberalen nach dem knapp ausgefallenen Mitgliederentscheid für die Rettungspolitik als euroskeptische Stimme ausfielen, wurden in der Union unter Angela Merkels Führung hergebrachte Positionen in der Familien- und Gesellschaftspolitik reihum aufgegeben (durch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, Einführung einer Frauenquote in Unternehmen oder das Eintreten für ein modernes Zuwanderungsrecht), die jetzt die AfD besetzt.

Und drittens profitierte der Neuling davon, dass er ein bürgerlich-seriöses Auftreten pflegte und seine prominenten Überläufer ausnahmslos aus den Reihen von Union oder FDP stammten; auch von Politologen wurde die Partei zunächst als "rechtsliberal beziehungsweise -konservativ" und noch nicht als "rechtspopulistisch" eingestuft. Eine Schlüsselrolle kam Bernd Lucke zu, der sich trotz fehlender charismatischer Ausstrahlung zur treibenden Kraft der Parteigründung entwickelte und als führender Kopf der AfD in der Entstehungsphase zugleich ihr wichtigstes Aushängeschild war.

Eine restriktive Bedingung bleibt der AfD erhalten

So gelang es der AfD, einen Großteil der restriktiven Bedingungen zu überwinden, die der Erfolglosigkeit des Rechtspopulismus bis dahin zugrunde gelegen hatten. Im europäischen Vergleich auffällig ist dabei insbesondere die fehlende Mobilisierungskraft des "Ausländerthemas", dessen Politisierung mit Ausnahme der Grünen in der Bundesrepublik alle Parteien vermieden. Dies galt auch für die SPD, die ihre Zustimmung zur Einschränkung des Asylrechts Anfang der Neunzigerjahre noch davon abhängig gemacht hatte, dass im Gegenzug ein modernes Einwanderungsgesetz geschaffen würde, worauf sie aber später nicht mehr zurückkam.

Die kulturellen Anerkennungskonflikte, die die Integration der Zuwanderer auslöste, wurden deshalb nur diskret ausgetragen - sie sollten tunlichst unter der Decke gehalten werden. Begünstigend wirkte sich auch aus, dass die überwiegend aus der Türkei stammenden muslimischen Migranten in Deutschland weniger Probleme bei der Aufnahme bereiteten als etwa die maghrebinischen Zuwanderer in Frankreich.

Die achtziger und neunziger Jahre waren eine verlorene Zeit für die Integration

Hauptverantwortlich für die Verweigerungshaltung, durch die die Achtziger- und Neunzigerjahre zu verlorenen Jahrzehnten der Integration wurden, waren die Unionsparteien, denen es so freilich gelang, die rechte Flanke des Parteiensystems zuverlässig abzusichern.

Die Arbeitsteilung der CDU mit der bisweilen offen populistisch agierenden bayerischen Schwesterpartei CSU erwies sich dabei als ebenso hilfreich wie das Fortwirken nationalkonservativer Traditionen in einem starken rechten Flügel. In Ostdeutschland, wo das rechtspopulistische Potenzial trotz oder gerade wegen des geringen Ausländeranteils noch größer war - und weiterhin ist - als im Westen, wurde das Vordringen der rechten Herausforderer zudem durch die postkommunistische PDS gebremst, die sich den Wählern hier als eigentliche "Protestalternative" empfahl.

Fallen diese Bedingungen jetzt weg oder schwächen sie sich ab, verfügt der Rechtspopulismus von der Wählerseite aus gesehen über beträchtliche Erfolgschancen. Vergegenwärtigt man sich die immensen Herausforderungen und den Veränderungsdruck, mit denen die deutsche Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten durch die Zuwanderer konfrontiert sein wird, wäre es verwunderlich, wenn eine migrationskritische Partei wie die AfD daraus keinen Nutzen zöge. Auch nach Abebben der Flüchtlingswelle werden ihr genügend thematische Gelegenheiten verbleiben. Gleichzeitig kann sie mit ihren konservativen gesellschaftspolitischen Positionen andere Repräsentationslücken im Parteiensystem schließen.

Eine restriktive Bedingung bleibt der AfD aber erhalten und unterscheidet Deutschland weiterhin von anderen europäischen Ländern: Die politische und gesellschaftliche Stigmatisierung des Rechtsextremismus infolge des nachwirkenden Erbes der NS-Zeit. Die Frage, ob die Schwäche des Rechtspopulismus in der Vergangenheit auch mit dem seit der deutschen Einheit stärker gewordenen, zum Teil militant auftretenden Rechtsextremismus zusammenhängt, hat die Forschung bisher merkwürdigerweise kaum interessiert.

Zumindest organisatorisch liegt ein solcher Zusammenhang auf der Hand. Gerade weil der Rechtsextremismus stigmatisiert ist, nutzen seine Vertreter die Rechtspopulisten als politisch unverfänglicheres Trittbrett. Alle Versuche, eine neue Rechtsaußenpartei in der Bundesrepublik zu etablieren, sind an diesen unerwünschten Unterstützern bislang gescheitert - von den Republikanern über den Bund freier Bürger bis zur Hamburger Schill-Partei. Wird die AfD dasselbe Schicksal ereilen?

Lässt man die kurze Geschichte der Partei Revue passieren, spricht unter dem Strich mehr dafür als dagegen. Denn so vergeblich sich Bernd Lucke gegen die Radikalisierung der AfD stemmte, bevor sie ihn als Co-Vorsitzenden abservierte, so unvermeidlich stellt sich für die jetzige Führung um Frauke Petry, Jörg Meuthen und Alexander Gauland das Problem der erodierenden Abgrenzung nach rechtsaußen. Solange die AfD von einer Proteststimmung getragen wird, die sich um den inneren Zustand und das äußere Erscheinungsbild der Partei wenig schert, lassen sich die Sollbruchstellen womöglich noch überbrücken.

Fallen die künftigen Wahlergebnisse schlechter aus, was vom derzeitigen Stimmungshoch ausgehend wahrscheinlich ist, dürften die Konflikte zwischen Gemäßigten und Radikalen jedoch erneut aufbrechen und die Wettbewerbsfähigkeit der AfD vermindern. Auch wenn man sich auf dieses Szenario nicht verlassen sollte, hilft es vielleicht, mit dem neuen Phänomen etwas gelassener umzugehen, das zwar unschön ist, für die demokratische Stabilität der Bundesrepublik aber keine ernsthafte Bedrohung darstellt.

Frank Decker ist Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Parteiendemokratie im Wandel" und gab den Band "Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa" heraus (beide 2015).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: