Rechtsextremismus:"Ich habe keine Angst"

Rechtsextremisten bedrohen die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz. Ein Gespräch über ihr erschüttertes Vertrauen in den Staat und ihre Hoffnung auf die Polizei.

Interview von Annette Ramelsberger

Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, 42, hat im NSU-Prozess die Familie eines Mordopfers vertreten. Sie verteidigt auch islamistische Gefährder. Nun drohen ihr Unbekannte zum wiederholten Mal, ihrer kleinen Tochter den "Kopf abzureißen". Zuvor hatten sich Täter Daten über ihre Familie aus einem Polizeicomputer besorgt und ihr einen Drohbrief geschrieben. Fünf Frankfurter Polizisten waren daraufhin suspendiert worden - sie hatten einen Chat mit Hakenkreuzbildern geführt.

SZ: Sie haben im NSU-Prozess miterlebt, wie der Staat bei der Suche nach den Mördern von neun Migranten und einer Polizistin versagt hat. Nun werden Sie selbst bedroht. Die Täter scheinen im Staatsapparat zu sitzen und unterzeichnen ihre Briefe mit "NSU 2.0". Hätten Sie das nach dem NSU-Prozess für möglich gehalten?

Seda Basay-Yildiz: Im NSU-Verfahren wurde ja deutlich, wie viele Fehler Polizei und Verfassungsschutz gemacht haben. Deswegen habe ich es durchaus für möglich gehalten, dass sich dieses Versagen fortsetzt. Die Fehler der Ermittlungsbehörden wurden ja nie wirklich aufgearbeitet. Überrascht hat mich allerdings, dass ich ins Visier von solchen Drohungen gerate, weil ich meine Arbeit als Anwältin mache. Aber in den vergangenen fünf Jahren ist das Klima rauer geworden. Die AfD sitzt im Bundestag, und rassistische Äußerungen sind gesellschaftsfähig. Viele AfD-Anhänger sitzen auch im öffentlichen Dienst, sind Richter, Staatsanwälte, Polizisten.

Sie setzen sich als Anwältin für die Rechte von islamistischen Gefährdern ein.

Ja, weil auch solche Menschen Rechte haben. Unsere Grundrechte gelten für jeden. Ich bin erstaunt, dass diese Selbstverständlichkeit überhaupt thematisiert werden muss, dass der Rechtsstaat für alle Bürger gilt. Es macht mich fassungslos, wenn Menschen, die abgeschoben werden sollen, noch nicht mal ihre Anwälte anrufen dürfen. Das verstößt gegen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien. Aber der Islam ist längst zu einem Feindbild geworden. Und alles, was mit ihm zusammenhängt, gleich dazu.

Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz

Wer bedroht sie? Die Anwältin Seda Basay-Yildiz hat Angehörige eines NSU-Opfers vertreten und verteidigt auch islamistische Gefährder.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Sie fühlen sich in einen Topf geworfen mit Islamisten?

Die Drohung gegen mich ist nicht nur ein Angriff auf mich, sondern ein Angriff auf den Rechtsstaat. Populistische Äußerungen, vor allem von Innenminister Horst Seehofer, aber auch von Alexander Dobrindt, der Rechtsanwälten eine "Anti-Abschiebe-Industrie" vorwarf, tragen dazu bei, das Klima aufzuheizen. Da werden wir Anwälte, Organe der Rechtspflege, plötzlich zu Feinden.

Der oder die Täter haben Zugriff auf interne Daten der Polizei. Ihre Tochter wird mit dem Tod bedroht, Ihr Vater, Ihre Mutter. Hat das Ihr Leben verändert?

Ich habe keine Angst, aber ich bin aufmerksamer geworden, wachsamer. Die Unbeschwertheit ist natürlich weg. Die Täter wollen mich einschüchtern, aber ich werde meinen Beruf deswegen nicht aufgeben und von nun an Falschparker raushauen.

Fühlen Sie sich von der Polizei ausreichend geschützt?

Die Polizei sagt mir, dass ich eine öffentliche Person bin und deswegen immer ein gewisses Risiko besteht. Aber man sieht das Risiko nicht als sehr groß an. Gleichzeitig bieten mir die Polizisten an, dass ich einen Waffenschein haben kann, um mich zu schützen. Da drängt sich mir natürlich die Frage auf: Brauche ich in Deutschland eine Waffe? Wozu? Ich will mir keine besorgen, allein schon, um nicht Tag und Nacht an diese Bedrohung zu denken. Ich halte es für viel wichtiger, dass der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill gesagt hat, dass Menschen, die nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, im Polizeidienst nichts zu suchen haben. Davon geht ein wichtiges Signal aus. Ich selbst muss mich jedenfalls auf die Polizei verlassen, und ich hoffe, ich kann es auch.

Haben Sie noch Vertrauen in die Polizei?

Der Vertrauensverlust hat schon seit der Selbstenttarnung des NSU eingesetzt. Es wurden da so viele, bis dahin unvorstellbare Fehler gemacht. Nun heißt es wieder, diese verschiedenen Vorfälle hingen nicht zusammen, das seien Einzelfälle. Aber was wissen wir schon von der Dunkelziffer, von den Fällen, in denen interne Daten weitergegeben werden, und die nicht auffliegen? Von Einzelfällen kann man nicht mehr sprechen.

Sondersitzung

Der zweite Drohbrief an die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz wird den hessischen Landtag beschäftigen. Vor einer Sondersitzung des Innenausschusses am Donnerstag verlangten SPD und Linkspartei Auskunft von Innenminister Peter Beuth (CDU) über den Stand der Ermittlungen. Die Sicherheitsbehörden prüfen, ob womöglich ein Netzwerk um sechs inzwischen vom Dienst suspendierte offenbar rechtsextrem gesinnte Frankfurter Polizisten etwas mit den Schreiben zu tun hat. Eine Bewaffnung zum Schutz vor Angreifern würden die hessischen Behörden generell aber nicht empfehlen, verlautete aus Sicherheitskreisen. Zwar gehöre der Verweis auf Erwerb eines Waffenscheins und einer Waffe zu der Liste der Vorschläge, die bedrohten Personen angeboten würden. Allerdings sei dies auf außergewöhnliche Fälle beschränkt, in der Regel rate man davon ab. Susanne Höll

Was erwarten Sie von der Polizei?

Die Polizei ist eine wichtige Säule unserer Gesellschaft. Sie muss alle Bürger schützen, ohne Rücksicht auf Herkunft, Religion oder Geschlecht. Viele Polizisten machen einen aufrechten Job. Umso wichtiger ist es, rechtsradikale Tendenzen im Auge zu behalten und diese Leute ohne Wenn und Aber aus dem Dienst zu entfernen. Wenn nach solchen Drohungen und rechtsradikalen verfassungswidrigen Äußerungen nur Disziplinarstrafen verhängt werden und einer dann weiter Dienst als Polizist tun kann - das wäre für mich nicht mehr nachvollziehbar. Hier muss man mit aller Härte durchgreifen.

Sie sind in Hessen geboren. Wann ist das Gefühl bei Ihnen gewachsen, dass Sie hier dennoch als Fremde gesehen werden?

Ich bekomme viele rassistische Beleidigungen zu hören. So auch jetzt wieder. "Türkenschwein, verpiss dich aus Deutschland." Aber eigentlich geht es um meine Tätigkeit als Anwältin. Dass ich dabei rassistisch beleidigt werde, zeigt, dass ich für gewisse Teile dieser Gesellschaft keine Deutsche bin. Ich bin in Deutschland geboren, aufgewachsen, ich habe hier studiert und zahle hier meine Steuern. Ich bin Deutsche, ob sie es wollen oder nicht.

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