Populismus in Europa:Die da oben, wir hier unten

Populismus in Europa: Nigel Farage (Foto: dpa), Marine Le Pen (Reuters), Viktor Orbán (Bloomberg), Beppe Grillo (AFP), Geert Wilders (dpa) und Alexis Tsipras (AFP) - Populisten werden als große Sieger aus der Europawahl hervorgehen

Nigel Farage (Foto: dpa), Marine Le Pen (Reuters), Viktor Orbán (Bloomberg), Beppe Grillo (AFP), Geert Wilders (dpa) und Alexis Tsipras (AFP) - Populisten werden als große Sieger aus der Europawahl hervorgehen

Politiker wie Beppe Grillo, Geert Wilders und Marine Le Pen werden als große Sieger aus der Europawahl hervorgehen. Sie inszenieren sich als Stimme des vernünftigen Bürgers und diffamieren die EU als abgehobenes Elitenprojekt. Ihr Populismus trifft einen Nerv.

Von Kathrin Haimerl

Bescheidenheit gehört nicht zur Tugend von Populisten. Der Niederländer Geert Wilders und die Französin Marine Le Pen jedenfalls wissen, wie man Schlagzeilen macht. Im vergangenen Jahr traten beide vor die Presse, um zu verkünden, dass sie an einem neuen Bündnis rechter Parteien in Europa schmieden. Wilders sprach von einem historischen Tag: "Damit beginnt die Befreiung von der Elite und Europa, dem Monster in Brüssel."

Bei den Abstimmungen Ende Mai dürften Parteien wie diese in einigen Mitgliedstaaten deutlich zulegen. Le Pens Front National könnte in Frankreich stärkste Kraft werden, ebenso wie Nigel Farages United Kingdom Independence Party (Ukip) in Großbritannien und die FPÖ in Österreich. Doch warum ist ihr Populismus so erfolgreich?

Was ist Populismus?

Populismus ist zunächst ein reichlich vager Begriff. Man wirft ihn dem politischen Gegner gerne mal vor, um dessen Argumente und Positionen zu diskreditieren. Dabei steckt dahinter wortwörtlich zunächst einmal kein Werturteil: Populismus kommt vom lateinischen populus, Volk. Ein Populist macht Politik fürs Volk. Im Grunde ist also jeder Politiker Populist.

Geht es nur nach der Beliebtheit, dann ist Deutschlands erfolgreichster Populist derzeit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), dicht gefolgt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Kabarettist Hagen Rether hat das einmal schön zugespitzt: Einem Politiker vorzuwerfen, Populist zu sein, ist so, als würde man einem Sportler vorwerfen, zu schwitzen.

Die Politikwissenschaft hat für den Begriff Populismus keine eindeutige Definition. Das Thema ist in Mode, es gibt dazu viel Forschung und noch mehr Erklärungen. Der niederländische Politologe Cas Mudde, der schon seit zehn Jahren populistische und extremistische Parteien und Bewegungen in Europa erforscht, bezeichnet Populismus als "dünne Ideologie". Die Gesellschaft werde in zwei homogene, antagonistische Gruppen geteilt. Die da oben, wir hier unten.

Warum eignet sich die EU als Mobilisierungsthema?

Die Europäische Union eignet sich aus mehreren Gründen hervorragend für Populismus. EU-Skepsis ist nicht nur unter Rechten verbreitet. Laut Eurobarometer haben nur 31 Prozent der Bürger "Vertrauen in die EU". Populisten sehen dem Politikwissenschaftler Florian Hartleb zufolge die Chance, für breite Massen wählbar zu werden. Die gegenwärtige Stärke dieser Parteien beruhe auf der Erweiterung ihrer Stammthemen um die simple Mobilisierungsformel: "Nein zu diesem Europa".

Mit diesem Europa meinen sie: das Europa der Eliten. Es waren hochrangige Politiker, die den europäischen Zusammenschluss vorantrieben. Und noch immer sind es insbesondere politische Entscheidungsträger, Staatschefs, hohe Beamte, Manager und Unternehmer, die davon profitieren, die den europäischen Integrationsprozess als unverzichtbar, als alternativlos bezeichnen.

Elitenkritik ist die wohl wichtigste Strategie vieler Populisten: Sie setzen das ehrliche Volk gegen die korrupte Elite. Populisten inszenieren sich als Stimme des vernünftigen Bürgers, im Gegensatz zur etablierten politischen Klasse oder den als solchen gescholtenen Brüsseler "Eurokraten", die längst den Draht zu den Bürgern verloren hätten. Also werden mit einem Tabu belegte "Wahrheiten" ausgesprochen ("Das wird man wohl noch sagen dürfen"). Dass Politiker ohnehin machen, was sie wollen, gehört zu dem Instrumentarium, das alle Populisten - egal ob links oder rechts - beherrschen.

Woran Sie Populisten erkennen

Folgende Merkmale sind außerdem bei fast allen populistischen Bewegungen zu finden:

  • Charismatische Führungsfigur. Meist steht eine markante Persönlichkeit an der Spitze, die es versteht, sich als Politiker anderen Typs zu inszenieren. Als jemand, der völlig uneigennützig in die Politik gegangen ist, um die Sorgen und Nöte der vermeintlich schweigenden Mehrheit zu vertreten. Die übrigen Parteistrukturen sind hingegen eher schwach ausgeprägt.
  • Simpler Kommunikationsstil. Die Populisten appellieren an das Bauchgefühl der Menschen, sie kommunizieren laut, alarmierend und finden, dass sie immer hart an der Grenze zum vermeintlichen Tabubruch sind. "Ich sage, was Ihr denkt" (Jörg Haider). "Mut zur Wahrheit" (AfD).
  • Pauschale Kritik an den Institutionen. "Die EU schafft ein System der Ausbeutung für die italienische Bevölkerung" (Beppe Grillo). "Die EU ist wie die Sowjetunion" (Le Pen). "Die EU ist eine neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" (Linkspartei in einem Leitantrag für den Europaparteitag).
  • Einfache Lösungen für komplexe Probleme. Raus aus dem Euro (Le Pen, Wilders, Grillo, AfD), raus aus der EU (Farage, Le Pen, Wilders). "Daham statt Islam" (Strache/FPÖ). "Wer betrügt, der fliegt" (CSU).
  • Sonderfall Rechtspopulismus. Oft kommt noch eine nationalistische Grundstruktur hinzu: Fremde, Ausländer und Einwanderer (insbesondere muslimische), sowie kulturelle und religiöse Minderheiten dienen als Feindbilder. Etwa: Ausländer sind böse, weil sie sich am deutschen Sozialstaat bedienen wollen.

Der Populismus macht auf einen unschönen Webfehler unseres demokratischen Systems aufmerksam: Was, wenn die Mehrheit bestimmte Minderheitenrechte ablehnt? Was, wenn die Mehrheit undemokratisch sein will? Die Folgen sind zum Beispiel in Ungarn zu beobachten, wo Ministerpräsident Viktor Orbán ohne Rücksicht auf die parlamentarische Demokratie regiert und die Opposition entweder diffamiert oder sie ignoriert. Auch Orbán punktet mit Kritik an der EU, etwa wenn er auf das "Brüsseler Imperium" schimpft.

Kritik an der EU ist berechtigt

Nicht jede Kritik an der EU ist populistisch, nicht jede Form von Europaskepsis ist gleich rechtspopulistisch. An der EU ist sehr vieles kritikwürdig. Dies zu benennen und die Arbeit der europäischen Institutionen kritisch zu hinterfragen, gehört zu einem normalen, demokratischen Diskurs. Es bringt nichts, die EU pauschal zu dämonisieren, wie es die Populisten tun. Genausowenig bringt es, die Populisten zu dämonisieren.

Auch in Deutschland gibt es Skeptiker, die profunde Kritik an Kanzlerin Merkels vermeintlich alternativlosem Euro-Kurs üben. Doch ein offener, vielschichtiger Diskurs, wie er etwa in den Niederlanden geführt wird, fehlt bislang.

Linktipp: In diesem Artikel stellen SZ-Korrespondenten die bekanntesten Europa-Skeptiker vor - von Marine Le Pen bis Nigel Farage, von Beppe Grillo bis Geert Wilders.

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