Politik in Frankreich:Marine, das Schreckgespenst

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"Tous pourris" - übersetzt in etwa "Alles verfault" -, flüstert Marine Le Pen dem Volk mit Blick auf die Regierenden zu.

(Foto: AFP)

Immer mehr Franzosen wenden sich angeekelt von der Politik ab. Weil den etablierten Parteien die unverbrauchten Kräfte fehlen, bleibt weit und breit nur das Schreckgespenst des rechtsextremen Front National übrig.

Kommentar von Stefan Ulrich

Bis jetzt diente Madame den Mahnern in Frankreich als Schreckgespenst: Wenn die Politiker nicht endlich ehrlich, transparent und effizient im Sinne der Bürger regierten, komme Marine Le Pen mit dem großen Besen. Dann werde die gewiefte Chefin der Rechtsaußen-Partei Front National bei der Präsidentschaftswahl 2017 die moderaten Kräfte hinwegfegen und als Rächerin der Enttäuschten den Élysée-Palast erobern. Eine beängstigende Vorstellung ist das, bislang aber auch eine unwahrscheinliche.

Doch was tut die politische Elite in Paris? Sie zerlegt sich genussvoll selbst. Der Reigen der Affären, der nicht erst mit dem Sexskandal um Dominique Strauss-Kahn begann, dreht sich immer schneller. Jüngster Fall: Der einstige Premier des Ex-Präsidenten soll einen Top-Berater des heutigen Präsidenten angestachelt haben, ein Comeback des Ex-Präsidenten zu verhindern, weil er, der einstige Premier, selbst Präsident werden möchte. Das klingt grotesk? Das ist der Fall auch. Und er wird nicht dadurch klarer, dass der Top-Berater nun auch noch als ein Lügner dasteht.

"Alles verfault", flüstert Marine Le Pen dem Volk zu

Immer mehr Bürger wenden sich angeekelt ab. Sie haben den Eindruck, hier tanze eine manisch intrigante, elitäre Clique in den Pariser Palästen um sich selbst, während die Menschen draußen unter der Krise leiden und vergeblich auf Besserung warten. "Alles verfault", flüstert Marine Le Pen dem Volk mit Blick auf die Regierenden zu - und wird sich bestätigt fühlen.

Gewiss, Frankreich ist das Land der Vernunft, und die Franzosen werden nicht einfach aus Frust ihr Schicksal in die Hände einer Hasardeurin legen. Wenn Frust jedoch in Verzweiflung umschlägt und Ärger in Abscheu, kann vieles möglich werden.

Die Themen der Zeit - Wirtschaftskrise, Zweifel an Europa und an der Globalisierung, Wut auf die Finanzwelt, Angst vor Migranten und Sorge um die eigene Identität - spielen dem Front National zu. Und die etablierten Politiker der Zeit tun das auch. Weder der sozialistische Präsident François Hollande, das traurige Gesicht der Krise, noch dessen affärenbelasteter Vorgänger Nicolas Sarkozy sind glaubwürdige Kandidaten für die Wahl 2017.

Auch Sarkozys früherer Premier und heutiger Intimfeind François Fillon muss angesichts der jüngsten Palast-Intrige als ungeeignet gelten. Bleibt Alain Juppé, der tüchtige Bürgermeister von Bordeaux, den es ebenfalls in den Élysée zieht. Nur: Taugt ein 69-Jähriger, der schon einmal wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung verurteilt wurde, wirklich als Hoffnungsträger der Moderaten gegen die dynamische Marine Le Pen?

In anderen Staaten bringen die gemäßigten politischen Parteien in Zeiten der Krise und Verkrustung junge Talente hervor. Die drücken die Alten beiseite und nehmen die Bürger zumindest zeitweise für sich ein. Angela Merkel in Deutschland und Barack Obama in den USA waren solche Talente, Matteo Renzi in Italien ist eines. In Frankreich dagegen fehlt bislang eine solche frische Kraft. Hier ist weit und breit nur ein Schreckgespenst zu sehen.

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