Polen:Im Land des Hasses

Polen: Trauernde zünden für Danzigs getöteten Bürgermeister Pawel Adamowicz Kerzen an.

Trauernde zünden für Danzigs getöteten Bürgermeister Pawel Adamowicz Kerzen an.

(Foto: AP)

Die Regierenden vergiften das politische Klima. Danzigs Oberbürgermeister bezahlte dafür mit dem Leben. Ob das Land nach dem Mord endlich zur Ruhe kommt? Die Chancen stehen schlecht.

Kommentar von Florian Hassel, Warschau

Wenige Tage bevor Danzigs Oberbürgermeister Paweł Adamowicz am vergangenen Sonntag bei Polens wichtigster Benefizveranstaltung "Großes Orchester für Weihnachtswohltätigkeit" auftrat und dort von einem Fanatiker tödlich verletzt wurde, strahlte der staatliche Fernsehsender TVP Info einen Satireclip über den Organisator der Veranstaltung aus. Das "Große Orchester" sammelt jedes Jahr Millionen Euro für den Kauf medizinischer Geräte zur Behandlung kranker Kinder in Polens oft unterfinanzierten Krankenhäusern - ein nobler Zweck, ganz nach dem Geschmack der Regierenden.

Allerdings ist der Chef des "Großen Orchesters", Jerzy Owsiak, ein scharfer Kritiker der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis). Deshalb wurde Owsiak in dem Spot des von der Regierung kontrollierten Fernsehens als Marionette der Opposition dargestellt. Selbst der bei manchen Polen latent schwelende Antisemitismus kam zum Einsatz: Auf einer Banknote für Owsiak war ein Judenstern zu erkennen.

Der diffamierende Spot ist nur ein Beispiel für die ebenso häufigen wie üblen Attacken auf polnische Oppositionelle. Dahinter stecken die Regierung sowie ihr unter- oder nahestehende Medien und politische Gruppen. Auch der seit Langem mit Owsiak zusammenarbeitende Paweł Adamowicz wurde immer wieder zum Ziel der Attacken. Man diffamierte ihn als Vertreter deutscher Interessen, als Kommunisten, als Marionette der EU, als korrupten Verbrecher oder als Verteidiger der angeblich das Land ruinierenden Migranten und Homosexuellen.

Ein Attentat wie jenes auf Adamowicz war angesichts des vergifteten politischen Klimas in Polen nur eine Frage der Zeit. Adamowiczs mutmaßlicher Mörder Stefan W. ist möglicherweise psychisch gestört, doch er handelte planmäßig und schlug symbolträchtig zu. Die Abschlusskundgebung des "Großen Orchesters" war nicht nur eine Benefizveranstaltung, sondern auch ein über Danzig hinausreichendes politisches Zeichen für Toleranz und Mitgefühl - in einer Stadt, die sich als Gegenentwurf zum nationalistisch-engen Gesellschaftsentwurf der Pis und der Ultrarechten versteht.

Nach seinen drei Messerstichen auf Adamowicz warb der mutmaßliche Täter um die Zustimmung des ultrarechten Lagers. Er behauptete, er sei ein Opfer der Bürgerplattform, also der bei Ultrarechten verhassten früheren Regierungspartei Polens. Nun habe er sich an deren langjährigem Vertreter Adamowicz gerächt.

Gewiss, kein führender Politiker hat im modernen Polen Gewalt gegen politische Gegner gutgeheißen. Doch Attentate mit politischem Hintergrund entstehen nicht im luftleeren Raum. Seit dem Regierungsantritt der Pis erlebt Polen eine Radikalisierung - vor allem durch die Regierenden und die erstarkende Ultrarechte. Polens mächtigster Politiker, Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński, sprach schon kurz nach dem Antritt seiner Regierung Ende 2015 von "nationalem Verrat" und von "Polen der schlechtesten Sorte", nachdem liberale Oppositionspolitiker rechtswidrige Handlungen der Pis auch im Ausland kritisiert hatten.

Da war es nur folgerichtig, dass Aktivisten des National-Radikalen Lagers (ONR) zwei Jahre später Bilder von sechs polnischen Europaabgeordneten an Galgen aufhängten; sie hatten für eine Resolution gestimmt, die Sorge um den polnischen Rechtsstaat ausdrückte.

Danzigs Oberbürgermeister ist das erste Todesopfer des Hasses

Danzigs Oberbürgermeister Adamowicz erhielt 2017, gemeinsam mit zehn anderen Stadtoberhäuptern, von der gleichfalls rechtsradikalen Allpolnischen Jugend wegen seiner liberalen Politik einen "politischen Totenschein" ausgestellt. Der Vorgang blieb trotz Strafanzeigen ungeahndet. Die Staatsanwaltschaft, die dem zur Regierung gehörenden Justizminister-Generalstaatsanwalt untersteht, stellte eine entsprechende Ermittlung wenige Tage vor der Ermordung Adamowiczs ein. Das überraschte niemanden in Polen.

Schon bevor die Regierung Anfang Januar zum ersten Mal einen Ultrarechten zum Vizeminister ernannte, pflegte die Pis eine lockere Allianz mit Polens Rechtsradikalen. Die führte im November 2018 dazu, dass der Kabinettschef des Ministerpräsidenten mit rechten Führern den Marsch zum 100. Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit absprach. Auf dem Marsch waren von den Rechtsradikalen Sprechchöre zu hören wie: "Auf den Bäumen werden statt der Blätter die Kommunisten hängen!" Oder: "Tod den Feinden des Vaterlandes!"

Danzigs Oberbürgermeister ist nun das erste Todesopfer dieser Atmosphäre des Hasses. Dem Land wäre zu wünschen, dass Ruhe einkehrt und die Regierenden und ihre Verbündeten sich endlich mäßigen. Doch die Chancen dafür sind schlecht. Im Mai steht die Wahl zum Europäischen Parlament an, im Herbst folgt die Wahl zum polnischen Parlament, und wenige Monate später wird auch der Präsident gewählt. Der politische Kampf dürfte eher noch an Schärfe zunehmen.

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