SPD: Peer Steinbrück:Mit Helmut Schmidt ins Kanzleramt

Die Koalition regiert so mies, dass eine kürzlich noch schwer vorstellbare Situation eingetreten ist: Die SPD hat wirklich die Chance, 2013 den Kanzler zu stellen - allerdings nur mit Peer Steinbrück. Der nervt zwar alle mit seiner Bildung und seiner Ironie und wird im Wahljahr schon 66 Jahre alt sein, ist aber trotzdem der richtige Kandidat. Zumal er auf den 98er-Effekt und viel Aufmerksamkeit im Herbst hoffen darf - Helmut Schmidt und einem gemeinsamen Buch sei Dank.

Kurt Kister

Zu den Binsenweisheiten der politischen Debatte gehört, dass es einfacher ist, über Personen zu reden als über Gesetzentwürfe und Zielkonflikte. Allerdings kann eine Diskussion über Personen auch ein Hinweis darauf sein, dass man die Auseinandersetzung über bestimmte, auch große Fragen der Politik allmählich satthat, weil man von jenen, die diese Politik verantworten, nichts mehr erwartet.

Helmut Schmidt Peer Steinbrück

Helmut Schmidt (rechts) und Peer Steinbrück bei einer Diskussion von Steinbrücks Buch "Unterm Strich" im vergangenen Jahr.

(Foto: picture alliance / dpa)

Eine eindeutige Mehrheit der Deutschen erwartet von der schwarz-gelben Regierung, die noch nicht einmal ihre Halbzeit erreicht hat, kaum mehr etwas. Dass Angela Merkel und ihre FDP-Hintersassen die Sympathisanten von SPD, Grünen und Linken nicht zufriedenstellen können, ist nicht verwunderlich.

Alarmierend aber muss für Merkel und Rösler sein, wie groß die Enttäuschung unter jenen ist, die im September 2009 dieser Koalition eine klare Mehrheit verschafft haben. Selbst wenn der Regierung hin und wieder etwas gelingt, wie zum Beispiel der jüngste Brüsseler Euro-Gipfel, dann wird dies tendenziell Einzelnen zugemessen - der Kanzlerin, dem Finanzminister - und keineswegs der Regierung.

Es nimmt also nicht wunder, dass die Debatte über die Ablösung dieser Regierung interessanter erscheint als die Beschäftigung mit ihrer Politik. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Schwarz-Gelb vor dem Sommer 2013 auseinandergeht. Ja, man mag spekulieren, dass die FDP eine Lazarus-Option wählen könnte: Ausstieg aus der Mesalliance mit der Merkel-CDU, Vergraben der Westerwelle-Vergangenheit und Wiederbelebung an der Seite der SPD. Nett, aber unwahrscheinlich. Und außerdem ist die politische Stimmung absolut nicht danach. Die FDP wird 2013 abgestraft werden, egal was sie tut.

Weil das so ist, hat nun die Debatte über die Kanzlerkandidaten Fahrt aufgenommen. Die Sozialdemokraten haben, wie 1998, eine realistische Chance, 2013 den Kanzler zu stellen. Nicht weil die SPD so erfolgreich oder auch nur populär gewesen wäre in den vergangenen Jahren, sondern weil sich Union und FDP in der tapsigen Machtausübung erschöpft haben. Die Schwäche des Gegners ist wieder einmal die Stärke der SPD.

Links, wenn es sich ergibt

Noch deutlicher als 1998 aber wird die potentielle Stärke der SPD 2013 mutmaßlich eine von den Grünen geliehene Stärke sein. Auch wenn die Grünen unterhalb der 20-Prozent-Marke bleiben sollten, werden sie wohl ein Ergebnis erreichen, das besser sein wird als jenes der FDP 2009 (14,6 Prozent). Wenn es 2013 für Rot-Grün reichen sollte, dann wird die SPD dies in erster Linie den Grünen zu verdanken haben. Zwar werden auch die Sozialdemokraten hinzugewinnen, Aber dies ist nicht schwierig, haben sie doch 2009 mit dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945 erzielt.

Und damit zu den Personen. Die SPD hat wieder einmal ein Führungstrio, was in dieser Partei stets ein Zeichen dafür war, dass es einen gab, der sich zu viel zutraute; einen, dem die anderen zu wenig zutrauten und schließlich einen, der sich traute. Steinmeier ist der mittlere des Trios; der, dem man traut, aber zu wenig zutraut. Bis heute ist er geblieben, was er schon immer war: ein sympathischer Mann, nachdenklich bis zögerlich, der Kanzler sein könnte, es aber mangels Ausstrahlung beim Volk und in der Partei nicht werden wird. Als Gerhard Schröders Kanzleramtschef war er einer der Erfinder der Agenda 2010 und steht in einigen wichtigen Fragen vermutlich Angela Merkel näher als Andrea Nahles.

Im Duo mit Jürgen Trittin

Dann gibt es Sigmar Gabriel, der als Parteichef nach der Niederlage 2009 einsprang, weil er keinen anderen außer sich sah und dies schnell mit dem Wahlverlierer Steinmeier klarzog. Gabriel ist zwar nicht so proletenpoltrig, wie er manchmal wirkt, aber dennoch ähnelt er in vielem seinem einstigen Mentor Schröder, dessen Erfolg 1998 die SPD bis ungefähr 2003 dazu zwang, sich wie seine politische Heimat zu fühlen. Gabriel würde wohl gerne, weiß aber, dass es jetzt mindestens noch zu früh für ihn ist. Politisch ist er flexibel und kann, wenn es sich ergibt, auch links sein.

Bleibt der, der wohl gekürt werden wird, wenn die Partei auf Nummer sicher gehen möchte: Peer Steinbrück. Er ist im Januar 1947 geboren und wurde politisch wirklich sozialisiert, als Helmut Schmidt regierte. Die Schmidtianer waren in der SPD lange unbeliebt, heute ist das wieder ganz anders. Steinbrück ist außerordentlich pragmatisch und lösungsorientiert, außerdem ist er gebildet und ironisch. Das lässt er gerne alle spüren, was ihm nicht nur in der SPD auch zum Nachteil gereicht.

Steinbrück hat nun so lange mit der Möglichkeit, Kandidat zu werden, kokettiert, dass er jetzt unterm Strich so weit ist, es auch werden zu wollen. Im Herbst wird es einen Publizitätssturm geben, weil er gemeinsam mit Helmut Schmidt ein Schachspiel-Politplauderbuch veröffentlicht, das mutmaßlich dazu beitragen wird, jene heimlichen Hauptzweifel an Steinbrück etwas zu zerstreuen: Er wird 2013 relativ alt sein, 66 Jahre. Andererseits wirkt er, vergleicht man ihn mit dem Kriegsteilnehmer Schmidt oder, pardon, sogar mit Angela Merkel, immer noch irgendwie knackig im politischen Sinne. Gegenüber Gabriel wiederum wirkt Steinbrück reif.

Sollte sich die SPD für Steinbrück entscheiden, mag es sein, dass er von einem 98er-Effekt profitieren wird. Im Angesicht des möglichen Sieges stellte die SPD 1998 alle Flügelkämpfe hintan und scharte sich um Gerhard Schröder. Auch dies trug ihn damals zum Sieg, Oskar Lafontaine später aus der Kurve.

Steinbrücks grünes Pendant in einer rot-grünen Koalition würde wohl Jürgen Trittin werden. Trittin ist ebenfalls völlig von sich überzeugt. Gefühlt ist er nur wenig jünger als Steinbrück, auch wenn er eigentlich nur so alt ist wie Merkel. Sollten die Grünen einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen, könnte nur die Entschlossenheit, eine Frau zu benennen, Trittins Nominierung verhindern. Allerdings ist aus dem gegenwärtigen Spitzenpersonal keine ernsthafte Konkurrentin für Trittin in Sicht.

Acht Jahre Merkel sind genug

Trittin, in seiner Jugend ein Sektierer-Kommunist, galt in den Pubertätsjahren der Grünen als Linker. Das Fundi-Realo-Ding spielt heute bei den Grünen, zumal bei den vernünftigen Jüngeren, keine so große Rolle mehr. In gewissem Sinne apart wäre ein Spitzenduo Steinbrück/Trittin, weil dies die wohl letzte Regierung mit ausschließlich westdeutschen Wurzeln bei Kanzler und Vizekanzler wäre.

Und dann bleibt natürlich noch Angela Merkel, die Kanzlerin und Kandidatin der Union. Sie hat eine, heute eher als gering einzuschätzende, Chance, als Kanzlerin weitermachen zu können. Dazu müssten SPD oder Grüne oder beide zusammen so schwach abschneiden, dass nur eine neuerliche große Koalition ginge. (Rot-Rot-Grün wird Steinbrück nicht machen, da kann man bei diesem Schmidtianer sicher sein.) Einerseits war Merkels beste Zeit als Regierende genau diese große Koalition mit Steinbrück als Finanzminister an der Seite. Andererseits sind acht Jahre Angela Merkel dann auch genug.

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