Parteitag der Grünen:Blumen, Drama, Abrechnung

Bundesparteitag von Bündnis90/Die Grünen

Neu und alt: Cem Özdemir will Parteichef der Grünen bleiben, Claudia Roth tritt ab.

(Foto: dpa)

Erst Anti-Merkel-Wahlkampagne, dann doch am Tisch mit der Union. Wo stehen die Grünen jetzt? Ein Parteitag in Berlin soll das klären, die Debatte dürfte hitzig werden. Ein mächtiger Landesverband will künftig weniger ehrlich sein - und Cem Özdemir dürfte zittern.

Wichtige Entscheidungen im Überblick. Von Michael König, Berlin

17 Stunden Zeit wollen sich die Grünen nehmen, um auf ihrem Parteitag im Berliner Velodrom das maue Ergebnis von 8,4 Prozent zu erklären. So viele Zweitstimmen holten sie bei der Bundestagswahl. "Eine Niederlage", wie der Bundesvorstand einräumt. 17 Stunden - ab heute bis Sonntag? Vermutlich wird es noch mehr Zeit kosten, Gesprächsstoff gibt es genug. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Streit um zukünftige Bündnispartner: Hui, ging das hin und her. Im Wahlkampf hatten sich die Grünen als Anti-Merkel-Partei positioniert, fest an der Seite der SPD. Nach der Wahl saßen sie mit der Union an einem Tisch, zu einer schwarz-grünen Sondierungsrunde. Der linke Flügel fand das zum Teil gar nicht gut. Beim Tagesordnungspunkt "politische Aussprache" am Freitagabend dürfte deshalb kontrovers diskutiert werden: Wie weit rechts stehen die Grünen eigentlich? Der Bundesvorstand versucht eine Antwort, in seinem Leitantrag wird geklagt, "für viele konservative Gruppen" seien die Grünen "an Stelle der SPD zu den eigentlichen Gegnern geworden". Mit einem rot-grünen Bündnis sei man "dreimal gescheitert", jetzt müssten andere Optionen möglich sein: Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün. Das sehen längst nicht alle so: 27 Änderungsanträge liegen vor. So möchte der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour lieber abwertend von "konservativen Besitzstandswahrern" sprechen und nicht von "konservativen Gruppen". Das Parteiratsmitglied Rasmus Andresen und andere Antragssteller möchten rot-rot-grüne Übereinstimmungen betont wissen, während Schwarz-Grün in ihren Augen "eher eine Komplementärkoalition" ist. Und der Kreisverband Peine fordert in einem eigenständigen, vier Zeilen umfassenden Antrag klipp und klar: "Keine Koalition mit der CDU. Die klaren Aussagen im Wahlkampf und die differierenden Wahlprogramme schließen diese Verbindung aus."

"Belohnt wurde die Ehrlichkeit nicht"

  • Zu viel Detail? Neben der engen Bindung an die SPD ist auch das eigene Wahlprogramm umstritten. Viele Realos meinen, die Forderung nach Steuererhöhungen habe die Wirtschaft verschreckt - und damit viele Wähler. Die Linke hält dagegen: Stimmt nicht, wir sind nur missverstanden worden. Der Leitantrag des Bundesvorstands bietet als Kompromiss an, man habe sich "im Wahlkampf zu sehr in den Details verloren" und sei "zu sehr mit dem Vorrechnen unserer Konzepte beschäftigt" gewesen. Der einflussreiche Landesverband Nordrhein-Westfalen geht noch weiter: Zwar sei das Steuerkonzept "durchgerechnet" gewesen, "dieser Ansatz ist ehrlich und richtig". Doch "belohnt wurde diese Ehrlichkeit nicht". Also künftig weniger Ehrlichkeit im grünen Wahlkampf? "Dass wir unsere Pläne durchrechnen, muss weiterhin gelten, um glaubwürdig zu bleiben. Diesen Punkt dürfen wir aber nicht als zentrale Botschaft setzen."
  • Özdemir fürchtet schlechtes Ergebnis: Die Grünen sind nicht nur fähig zur Selbstkritik, sie berauschen sich daran. Die Fraktionsspitze wurde deshalb komplett ausgetauscht, auch Parteichefin Claudia Roth tritt ab. Nur ihr Ko-Vorsitzender Cem Özdemir will bleiben. "Meine Aufgabe hier ist nicht beendet, in mir brennt es nach diesem enttäuschenden Wahlergebnis", schreibt er in seiner offiziellen Bewerbung. Als Gegenkandidat hat sich bislang nur Thomas Austermann gemeldet, ein Pazifist mit geringen Aussichten. Bei der Urwahl der grünen Spitzenkandidaten 2012 bekam er 0,32 Prozent der Stimmen. Für Özdemir stehen die Zeichen also auf Wiederwahl. Wenn auch "sicher nicht mit dem allerbesten Ergebnis", wie er sagt. Sein bislang schwächster Wert waren 79 Prozent bei seinem Amtsantritt 2008. Zuletzt erhielt er 83 Prozent, Roth 88 Prozent. Für Roths Nachfolge bewirbt sich Simone Peter, ehemals Jamaika-erfahrene Umweltministerin im Saarland. Peter hat keine Gegenkandidatin.

"Ein Leben ohne Alkoholwerbung"

  • Vorstandswahlen: Neben Özdemir und Peter sind vier weitere Plätze im Bundesvorstand frei. Als Bundesgeschäftsführer bewirbt sich Michael Kellner, als Bundesschatzmeister Benedikt Mayer. Für die beiden übrigen Plätze, die wegen der Quotenregelung mit Frauen besetzt werden müssen, bewerben sich Bettina Jarasch und Gesine Agena. Auch der Parteirat, nach dem Vorstand das zweitwichtigste ständige Gremium, wird neu gewählt.
  • Alkoholwerbung verbieten? Die Grünen wollen den Ruf der Verbotspartei dringend abschütteln, auch er gilt als Grund für das schlechte Wahlergebnis. Einige Anträge dürften da eher hinderlich sein. So möchte Philipp Schmagold vom Kreisverband Kiel den Menschen "ein Leben ohne jegliche Alkohol-, Zigaretten- und Glücksspielwerbung ermöglichen". Ein Gesetz soll her, das entsprechende Werbung in Zeitungen, auf Plakaten, im Radio, im Fernsehen und im Internet verbietet. Schmagold möchte außerdem bezahlte Nebentätigkeiten hauptamtlicher Politiker generell verbieten: "Die Veröffentlichung (...) reicht nicht, das zeigt das Beispiel Peer Steinbrück." In anderen Parteien wären solche Vorstöße zum Scheitern verurteilt, die Grünen aber sind unberechenbar.
  • Der Zeitplan: Der Freitag ist für die politische Aussprache reserviert. Um 17 Uhr geht es los, das Ende ist für 21 Uhr anvisiert. Vermutlich wird es später. Am Samstag werden rührende Szenen erwartet: Parteichefin Claudia Roth wird verabschiedet, vermutlich mit Blumen und Drama. Das können die Grünen. Dann folgen die Schiedsgerichts-, Vorstands- und Parteiratswahlen. Das Ende ist für 20 Uhr anvisiert. Vermutlich wird es später. Am Sonntag geht es mit den Punkten Verschiedenes und Europa weiter. Um 12 Uhr ist Schluss - vermutlich relativ pünktlich, weil viele Delegierte weite Heimreisen vor sich haben.
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