Parlamentswahl in Ungarn:Viktor Orbán kehrt zurück

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Er bewundert Silvio Berlusconi und verachtet das Parlament: Ungarns Ex-Premier Viktor Orbán steht kurz vor einem triumphalen Wahlsieg - auch wegen seiner nationalistischen Parolen.

Michael Frank, Budapest

"Das geht doch nicht, dass die Heimat in die Opposition muss!'' Die ganze Entrüstung, die Viktor Orbán vor acht Jahren in diesen Ausruf legte, unterteilt unmissverständlich die Welt: Hier er selbst, Heimattreue und Volksliebe, Wahrhaftigkeit und Reinheit; dort die vaterlandslosen Gesellen, deren Liebe zur Heimat in äußerstem Zweifel steht.

Orbán hatte gerade die Parlamentswahl und sein Amt als Ministerpräsident der Republik Ungarn verloren. Doch nun steht "die Heimat", um im pathetischen Bild zu bleiben vor einem großen Sieg. Für Sonntag, dem ersten Durchgang der Parlamentswahl, sagt man Orbán und seinem Bund der Jungdemokraten (Fidesz) einen Kantersieg voraus, der sogar die Zweit-Drittel-Mehrheit bringen könnte.

Kompliziertes Wahlsystem fördert extreme Mehrheiten

Alle Prognosen nehmen die absolute Mehrheit für ausgemacht, strittig ist allein, ob es für die verfassungsändernde Mehrheit der Mandate reicht und die Fidesz künftig aus eigener Macht Ungarn umkrempeln könnte. Ein kompliziertes Wahlsystem befördert extreme Mehrheiten im Parlament. Das war schon so, als der heute 46 Jahre alte Orbán aus dem westungarischen Székesfehérvár 1998 die Regierung in Budapest übernahm in einer Koalition mit der reaktionären Kleinlandwirtepartei und dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), das 1989/90 ein wichtige Kraft für Umbruch und Ende des Kommunismus war.

Städtische Liberale und Intellektuelle blicken furchtsam in die Zukunft, denn niemand weiß, was Orbán wirklich vorhat. Dennoch sehnen die meisten Ungarn, auch jene, die Orbáns Fidesz fürchten, die Wahl herbei: Es soll Schluss sein mit Jahren der Agonie, mit dem Dauerbombardement der von gegenseitigem Hass zerfressenen politischen Lager; endlich soll jemand die ganze Verantwortung haben und dafür gerade stehen müssen, wie es mit der krisengebeutelten, zerrissenen Gesellschaft weitergehen soll.

Die vergangenen Jahre hat sich eine Koalition aus Sozialisten und Freien Demokraten in Reformversuchen heillos verheddert, die - obwohl teils überlebenswichtig - auch unter dem Trommelfeuer der Opposition zumeist scheiterten. Korruption und Mauscheleien der Regierungsparteien mit öffentlichen Unternehmen taten ein übrigens.

Orbán, trotz grauer Strähnen im dunklen Haar noch immer eine Tatkraft suggerierende jugendliche Gestalt, will die Übeltäter in Handschellen vorführen, auch wenn manches faule Geschäft bis in seine erste Regierungszeit zurückreicht. Die Hoffnung keimt dennoch, dass er, erst einmal im Amt, unter dem Druck der Verantwortung für den zentraleuropäischen Schlüsselstaat seinen Kurs innerer Konfrontation und verstörender Ansprüche nach außen aufgeben könnte. Neue Konkurrenz von rechts, wo man sie lange am wenigsten erwartet hätte, lässt ihn in der letzten Wahlkampfphase sogar die Hasstiraden gegen Linke und Liberale abmildern, um für die bürgerliche Mitte akzeptabler zu werden.

Auftritt wie ein Donnerschlag

Als eines der jungen, dynamischen Talente der ersten Stunde landete der Chef der Fidesz im Juni 1989 einen Auftritt wie ein Donnerschlag. Ungarns sich damals rasch lockerndes kommunistisches Regime ließ Imre Nagy feierlich umbetten, den hingerichteten tragischen Helden des Volksaufstandes von 1956.

Dabei forderte der studentische Heißsporn Orbán in einer flammenden Rede den sofortigen Abzug aller Sowjettruppen. Ein ungeheuerliches Ansinnen damals, das die Verzagten als Provokation verurteilten, das dem Feuergeist aber bei anderen schlagartig Heldenstatus einbrachte und Bekanntheit in aller Welt.

Damals wäre der Jungspund noch links vom Ungarischen Demokratischen Forum einzuordnen gewesen, also als linksliberal, wie der damals führende österreichische Christdemokrat Erhard Busek erläutert, einer der großen Förderer der jungen Demokraten im Osten.

Als Orbán dann 1998 Premier in Budapest wurde, hatte er einen krassen Schwenk hinter sich: Er war längst dem magyarischen Trauma von Trianon erlegen, jenes Vertrages, der nach dem Ersten Weltkrieg Ungarns Territorium dezimierte und Teile des Volkes zu Minderheiten in anderen Staaten machte. Auch Orbán kultivierte nun die These von der Bedrohung eines kulturell isolierten Volkes. Bitterkeit darüber, dass Ungarn als Avantgarde-Staat von Demokratisierung und Marktwirtschaft seinen Vorsprung wieder verspielt hatte und ins Hintertreffen geraten war, sollte ein aggressiver Kult am "reinen, echten Ungarntum" kompensieren.

Mitverantwortlich für die Radikalisierung der Rechten

Depressionen auf nationale Träume umzulenken, davor ist in Ungarn keine Partei gefeit. Bis dahin hauptsächlich von alten Männern wie dem dröhnenden Dichter István Csurka repräsentiert, gelang es Orbán, dem Nationalismus ein jugendliches Gesicht zu geben. Und er radikalisierte die nationale Rechte mit immer aggressiveren Tönen, zerrieb so die Kleinlandwirtepartei, grub dem MDF das Wasser ab - bis die neue extremistische Partei Jobbik ("Bewegung für ein besseres Ungarn") ihn mit noch aggressiverem Chauvinismus ein- und überholte.

Seinen schwersten Schlag führte Orbán gegen den Parlamentarismus an sich. Er war die vergangenen acht Jahre Oppositionsführer, hat aber manches Jahr praktisch nie das Parlament betreten, geschweige denn im Plenum das Wort ergriffen. Die Koalition aus Sozialisten und Freien Demokraten sollte als illegitim dastehen, als staatsgefährdendes Kartell, das im Parlament "volksschädliche" Dinge tut, die von den "wahren und echten Ungarn" in einer Volksbewegung zu bekämpfen seien.

Nach der berüchtigten "Lügenrede" des früheren sozialistischen Premiers Ferenc Gyurcsány, der 2006 nach der gewonnen Wahl vor Funktionären eingestanden hatte, Versprechen der Partei seien Lügen gewesen, erklärten Fidesz und Jobbik die Parlamentsmehrheit schlichtweg für irrelevant. In gewaltigen Aufmärschen wurde von Rechtsaußen gar die Wiederherstellung des alten Ungarn und die "Befreiung" der Magyaren in den umliegenden Staaten gefordert. Orbán suggerierte den Massen, sie allein verkörperten den legitimen Volkswillen.

Nun schickt sich Orbán an, mit dem als obskur diffamierten Parlament "das System" zu ändern, wie er sich ausdrückt, ohne allerdings zu sagen, wie ein neues aussehen soll. Dennoch trauen auch Kritiker dem Fidesz-Führer durchaus konstruktive Ideen zu, wenn er erst einmal wieder die Macht hat.

Den Schaden, den er selbst am Sinn für den Parlamentarismus angerichtet hat, wird er nicht wieder gutzumachen können. Doch will er das überhaupt? Pessimistische Historiker beschwören schon die Zeiten des Reichsverwesers Miklós Horthy zwischen den Weltkriegen, mit der "weichen Diktatur" einer autoritären nationalen Rechten und einer Art Scheinparlament als Legitimation. Sie verweisen auf Orbáns offene Bewunderung dafür, wie sich der Cavaliere Silvio Berlusconi sich in Italien den Staat gefügig macht.

Ungarns Mehrheit sieht darin Schwarzmalerei, auch wenn Orbáns durchaus gelungener Versuch, als Premier die Medien auf Linie zu bringen, nicht vergessen ist. Der Österreicher Erhard Busek äußert dazu kühl: "Da hat die EU eine wirklich große Aufgabe."

© SZ vom 8.4.2010/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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