Parität:Die halbe Welt

Die Frauen wollen ihren Anteil an der Macht. Jetzt. Quotierte Wahllisten wären ein Anfang. Das könnte auch die Debatte über das Zusammenspiel von Familie und Arbeit beleben.

Von Henrike Roßbach

Jeder zweite Mensch auf der Erde ist eine Frau, da ist halbe-halbe nur fair. Das findet auch die Bundeskanzlerin. Parität, sagt Angela Merkel, die Physikerin, erscheine ihr "einfach logisch". Und im Herbst, beim Festakt zu 100 Jahren Frauenwahlrecht, sagte sie: "Das Ziel muss Parität sein, Parität überall!"

Frauen gehört die halbe Welt. Warum auch nicht? Aber ach, natürlich ist das bloße Theorie, so trist und grau, wie Theorie überhaupt nur sein kann. Im wahren Leben gehört den Frauen hierzulande keineswegs die Hälfte von allem, sondern nicht einmal ein Drittel der Bundestags- und Landtagsmandate. Ihnen gehören acht Prozent der Vorstandsposten, ein Fünftel der Regiesessel beim Film und ein Viertel der Professuren. Dafür aber stellen sie 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten, erledigen 65 Prozent der Hausarbeit und Kinderbetreuung und sind zu 100 Prozent Adressatinnen der Frage: "Kinder und Vollzeit? Verrückt, wie schaffst du das nur?"

Das, mit Verlaub, gehört sich nicht. Und weil immer mehr Frauen (und durchaus auch Männer) das ebenso sehen, geraten die Besitzstandswahrer, die es sich auf dem Fell des Bären gemütlich gemacht haben, mächtig unter Druck. Diese Woche hat Brandenburg - in Anlehnung an Frankreich - ein Parité-Gesetz beschlossen und damit Geschichte geschrieben. Bei Landtagswahlen müssen die Parteien künftig gleich viele Frauen und Männer auf ihre Wahllisten setzen. Weil Direktmandate ausgenommen sind, wird das Gesetz zwar nicht zu einem zur Hälfte weiblichen Landtag führen. Dennoch ist Brandenburg das erste Bundesland, das etwas sehr Sichtbares tut für eine bessere Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten.

Justizministerin Katarina Barley und Frauenministerin Franziska Giffey, beide von der SPD, können sich ein solches Gesetz auch im Bund vorstellen. Und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gibt nicht nur unumwunden zu: "Ich bin eine Quotenfrau." Sie lässt ebenfalls durchblicken, dass sich ihrer Meinung nach der Frauenanteil in der Bevölkerung im Parlament widerspiegeln müsste - und sie ist der beste Beweis, dass Quoten nicht den Siegeszug der Unqualifizierten einleiten.

Eine Welt, in der durch Regulierung der Wahllisten und Direktmandate jeder zweite Sessel in den Plenarsälen einer Frau zustünde, wäre eine deutlich andere. Zum ersten Mal wäre der Bundestag, zumindest was die Geschlechter angeht, ein Abbild der Gesellschaft. Es würden nicht länger mehrheitlich Männer darüber entscheiden, ob Informationen zu Abtreibungen auf den Internetseiten von Frauenärzten Werbung sind. Oder ob Konzerne sich ungestraft das Ziel von null Frauen im Vorstand geben dürfen. Der weibliche Blick auf die Welt hätte mehr Bedeutung, und Frauen hätten mehr Macht als je zuvor.

Dass es ihnen schon heute nicht verboten ist, in Parteien einzutreten und für den Bundestag zu kandidieren, taugt nicht als Gegenargument. Es ist Frauen auch nicht verboten, Maschinenbau zu studieren und danach Vorstandsvorsitzende zu werden. Und doch ist es für sie viel schwieriger, diesen Weg zu gehen, als für Männer. In der Wirtschaft wurde die Frauenquote für die Aufsichtsräte unter anderem mit der Hoffnung begründet, dass diese Frauen an der Spitze dann dafür sorgen könnten, anderen Frauen genau dorthin zu verhelfen. Auch in der Politik könnte ein Paritätsgesetz Einlasskarte sein für eine Welt, die bislang von Männerbünden und Ortsvereinsterminen zur besten Sandmännchenzeit geprägt ist. Parteien müssten sich wandeln - und würden dadurch attraktiver für Frauen.

Allerdings, das gehört zum Gedankenspiel dazu, wäre diese Welt auch eine, in der die Wählerinnen und Wähler womöglich immer eine Frau mitwählen müssten, wenn es um die Direktmandate geht, obwohl sie das vielleicht gar nicht wollen. Nicht mehr die Parteien würden gemäß ihrer Wählerschaft und Mitgliederstruktur vorsortieren, wer sich zur Wahl stellen darf - sondern der Gesetzgeber. Manche Juristen nennen so etwas verfassungsrechtlich bedenklich. Nicht-Juristen könnten es zumindest ein bisschen unheimlich finden, dass ein Parité-Gesetz letztlich ein Misstrauensvotum ist. Wer dafür ist, zweifelt offen an, dass der freie Abgeordnete wirklich das ganze Volk repräsentiert, egal zu welchem Teil er selbst gehört. Hinzu kommt: Frauen machen nicht automatisch Politik für Frauen. Auch die Vorstände der großen Unternehmen sind weiterhin Männerdomänen, trotz all der neuen Frauen in den Aufsichtsräten.

Und dennoch muss der Versuch unternommen werden, ein verfassungskonformes Gesetz hinzubekommen oder ansonsten die Verfassung selbst zu ändern. Die Sehnsucht der Frauen nach einem bedeutsamen Schritt ist übergroß - zu Recht. 100 Jahre nachdem sie das erste Mal wählen und gewählt werden durften, wollen sie nicht mehr vertröstet werden. Sie wollen ihren Anteil, und sie wollen ihn jetzt. Frauen sind nicht irgendeine Minderheit, sie sind gar keine Minderheit. Sie sind die Hälfte von "Wir sind das Volk", und das Parlament ist ihre Vertretung. Quotierte Listen wären ein Anfang. Und sie würden vielleicht auch die - jenseits der Paritätsdebatte - seltsam ermattete Sachpolitik wiederbeleben. Denn wo bitte ist sie, die Familienarbeitszeit, die es verlockender macht für Paare, Beruf und Familie gerechter aufzuteilen? Wo sind die vier Mindestmonate für Väter beim Elterngeld? Vermutlich in der gleichen Schublade wie die Sanktionen für Firmen, die sich nicht verpflichten wollen, Frauen in ihre Vorstände zu holen.

Frauen wollen nicht länger die "bessere Hälfte" genannt werden. Sie wollen sie besitzen. Selbst mit einem Paritätsgesetz würde sie ihnen nicht serviert. Aber es wäre ein guter Ausgangspunkt. Den Rest müssen sie selbst schaffen. In Parteien eintreten, die Spielregeln mitbestimmen, den Stil verändern. Die Hälfte der Macht? Noch erscheint das als ungeheuerlicher Gedanke. Ein ungehöriger ist es nicht.

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