Organspende:Der Leib ist kein Ersatzteillager

Ein Chirurg trägt ein Spenderorgan

Ein Chirurg trägt eine Spenderniere in den nebenan liegenden OP.

(Foto: AP)

Spahns Vorstoß für eine Widerspruchslösung bei Organspenden ist falsch. Der Mensch hat seinen Körper nicht geleast, er muss ihn nach dem Ende der Laufzeit nicht zurückgeben.

Kommentar von Heribert Prantl

Deutschland ist ein Land der Geldspender; ein Land der Organspender ist es nicht. Gesundheitsminister Jens Spahn will das ändern, notfalls offenbar mit Zwang, also per Gesetz. Dieses sähe dann so aus: Wer nicht zu Lebzeiten einer Organentnahme ausdrücklich widerspricht, der wird als Verstorbener automatisch zum Organspender. So ist das schon in zahlreichen europäischen Ländern geregelt. Der Minister verweist darauf, dass die Zahl der Spender in Deutschland sinkt und sinkt. Er verweist darauf, dass eine Organspende Leben retten kann. Das ist richtig: Jedes Jahr sterben in Deutschland tausend Menschen, die vergeblich auf ein gespendetes Organ warteten. Aber es ist falsch, Nächstenliebe per Gesetz zu erzwingen.

Es ist falsch, die Menschen gesetzlich unter Druck zu setzen, die ihre körperliche Integrität im Sterben und im Tod gewahrt wissen wollen. Die Widerspruchslösung tut so, als sei der menschliche Körper ab dem Tod ein legitimes Ersatzteillager. Das ist nicht so; das darf nicht so werden. Die Menschenwürde hört mit dem Hirntod nicht auf.

Zur Menschenwürde gehört, dass der lebendige Mensch die Integrität seines Leibes auch über den Tod hinaus, auch wenn er die Kontrolle über seinen Körper verloren hat, als selbstverständlich voraussetzen darf. Man darf den Wunsch eines Menschen, dass sein Körper unangetastet begraben wird, nicht abqualifizieren, indem man ihn gegenüber dem Interesse, ein anderes Leben zu retten, abwertet.

Vertrauen schafft man nicht per gesetzlicher Anordnung

Gesundheit, Krankheit und Transplantationsmedizin sind ein Geschäftsmodell, das in Konkurrenz von Ärzten und Kliniken organisiert ist, in der die Zahl erfolgreicher Operationen über das Überleben, das Renommee und den Gewinn entscheidet. Solange das so ist, ist es leider nicht auszuschließen, dass über die Organentnahme und Organtransplantation nicht allein nach edlen humanitären Gesichtspunkten entschieden wird. Der Organspendeskandal von 2012 ist noch in schlechtester Erinnerung. Und Vertrauen schafft man nicht per gesetzlicher Anordnung; wenn die Widerspruchslösung per Gesetz erzwungen wird, dürfte dies das Misstrauen eher erhöhen.

Gewiss: Wer erwartet, als Kranker ein Spendeorgan zu bekommen, der sollte als Gesunder selbst bereit sein, zu spenden. Aber aus der Spende darf keine Pflicht werden. Wenn Menschen vor der postmortalen Organspende Angst haben, darf man ihnen diese Angst nicht per Gesetz als unsinnig oder unmoralisch austreiben wollen. Der Mensch hat seinen Körper nicht von einer Handelsgesellschaft geleast, er muss ihn nicht nach dem Ende der Laufzeit zurückgeben. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist eine Kernfrage des Menschseins. Diese Kernfrage soll, diese Kernfrage darf nicht der Staat für den Menschen beantworten.

Der Gesetzgeber könnte es sich leicht machen: Er könnte in die Kiste der juristischen Formeln greifen und den Spruch zitieren: Wer schweigt, wird so betrachtet, als hätte er zugestimmt. Das mag bei Kleinkram angehen; das mag auch angehen, wenn geschäftliche Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden. Aber es geht bei der Organentnahme nicht um Kleinkram; und das Leben und Sterben ist kein Geschäft, das im Umlaufverfahren erledigt werden kann.

"Eigentum verpflichtet", steht im Grundgesetz. Es wäre die wildeste Pervertierung dieses Satzes, wenn der Körper per Transplantationspflicht ökonomisiert und sozialpflichtig gemacht würde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: